Es ist 1 Uhr nachts. Ich sollte schlafen, aber sowohl der Husten, der mich plagt als auch die Gedanken, die mich nicht loslassen, lassen das heute nicht zu.
Ich bin auf etwas gestoßen. Ich habe es sicher früher schon geahnt. Aber jetzt kann ich es greifen. Mir fehlen die psycholgischen Fachausdrücke für das, was in meinem Kopf passiert.
Aber ich glaube, ich hab es verstanden. In der Hoffnung, meinen Kopf zu leeren, schreibe ich es also auf. Es wird mein Problem nicht lösen. Aber schreiben hat nun mal schon immer irgendwie geholfen.
Mein Kopf, mein Herz, meine Psyche, im Moment ist es ein Trümmerfeld. Ich habe alles, was ich hatte, mit einer Abrissbirne selbst in Schutt und Asche gelegt. Das Gebälk war sowieso morsch. Die Fassade abgeblättert. Die Wände instabil.
Es musste weg. Also habe ich mich lieber selbst auf die Abrissbirne gesetzt, anstatt zu riskieren, unter den Trümmern lebendig begraben zu werden.
Ich hatte keine schwere Kindheit. Viele Menschen haben viel schlimmere Dinge erlebt,als ich. Auf den ersten Blick war meine Kindheit sogar Bilderbuchartig.
Aber ich habe schon als kleines Kind die Spannungen in der Beziehung meiner Eltern gespürt. Erst vor ein paar Monaten hat meine Mutter mir erzählt, dass das Verhalten meines Vaters sich ins Negative verändert hat, als sein Vater gestorben ist - mein Opa starb 4 Monate vor meiner Geburt.
Meine Mutter hat mir auch erzählt, dass meine Oma ihr mal gesagt hat, dass es bei meinem Opa genauso war. Sein Vater starb... und mein Opa hat sich verändert. Ich kenne meinen Opa nicht. Aber meinen Vater.
Mein Vater hat sich stetig weiter verändert. Er wurde immer lauter, immer launischer, immer sturer. Heute, 23 Jahre nach dem Tod seines Vaters, habe sich selbst die engsten Freunde abgewendet. Niemand erträgt meinen Vater länger, niemand möchte länger mit meinem Vater Zeit verbringen. Auch ich nicht. Oder meine Mutter.
Warum meine Mutter sich nicht von meinem Vater trennt - sich nicht schon längst getrennt hat, habe ich nie verstanden.
Als Kind habe ich meine Elten oft gegeneinander ausgespielt Mama sagte nein, also ging ich zu Papa. Papa sagte ja - und meistens hatte das laute Streitereien zur Folge. Als Kind habe ich natürlich nur meine eigenen Interessen verfolgt. Heute bin ich erschrocken über das, was ich meiner Mutter damit angetan habe. Mein Vater ist nie handgreiflich geworden, jedenfalls nicht, soweit ich mich erinnere.
Er ist nur laut.
Heute habe ich großes Mitleid mit meiner Mutter. Ihre erste Ehe ging ganz hässlich zu Bruch und ihr Mann hat letztlich seine Affäre geheiratet. Meine Mutter musste mit 2 kleinen Kindern alleine zurecht kommen. Sie hat mir erst letztes Jahr mal erzählt, wie sie dann mit meinem Vater zusammengekommen ist. Der Mann, den sie mir beschrieben hat, hat mit dem, den ich kennengelernt habe, aber nur wenig gemein.
Meine Mutter tut mir so leid... 2 gescheiterte Ehen. 3 Kinder, von denen 2 sich kaum melden und das dritte 400 Kilometer weit weg geflohen ist - das bin ich. Das Kleine. Das Küken. Das emphatische. Heute tut es mir weh, meine Mutter so zu sehen.
In meiner Kindheit und besonders in der Pubertät, war das aber anders. Damals habe ich mich vor der Welt und besonders vor meiner Familie, verschlossen. Mein Bezug war meine Katze. Als sie starb, war ich 14. Es ist jetzt 9 Jahre her. Und es verfolgt mich noch immer. Vorher musste ich nicht mit dem Tod umgehen. Meine Großväter starben beide vor meiner Geburt, die Mutter meiner Mutter, als ich 4 war - zu klein, um zu verstehen, was das bedeutet.
Und meine Oma väterlicherseits war zu dem Zeitpunkt noch rüstig und auf zack.
Als Josie starb, hat das meine kleine Welt zum Einsturz gebracht. Ich habe mir selbst die Schuld gegeben - ein Umstand, den ich bis heute, 9 Jahre später, nicht ändern konnte.
Diesen Schmerz habe ich in Alk. ertränkt. Mit 15 war ich seelisch im Grunde gebrochen. Ich war der Außenseiter. Ich wollte aber auch gar nicht dazugehören. Meine Freunde waren Außenseiter wie ich. Keiner war an meiner Schule. ich habe unter der Woche funktioniert und am Wochenende war ich durchgehend Alk..
Der erste Junge, in den ich mich wirklich und wahrhaftig verliebt habe, hat mir mir gespielt. Heute denke ich, dass das sicher keine Absicht war. Er hatte seine eigenen psychischen Probleme. Er hat mir nicht wehtun wollen, dennoch, er hat es getan. Er wollte keine Beziehung, aber mit mir reden ging immer. Mich küssen auch. Wenn er wollte, versteht sich. Ob er zu dem Zeitpunkt mal wieder eine seiner 4-Wochen-Beziehungen hatte, hat ihn nicht interessiert. Mich schon, sofern ich es wusste. Wenn ich es wusste, habe ich ihn nicht an mich rangelassen. Wenn nicht, natürlich schon. Ein Jahr hat er das mit mir gemacht. Und immer wieder habe ich mich gefragt, warum, um alles in der Welt, ich für diesen Jungen, für den einzigen, den ich wollte, nicht genug sein kann. So viele Kerle wollten mich... aber der, den ich haben wollte... für den war ich nicht gut genug.
Ein Jahr hat er mich gequält.
Und er hätte es noch länger tun können, wäre ich nicht im Sommer 3 Wochen im Ausland gewesen. Und dann weitere 2 Wochen von Festival zu Festival getourt. Fast 2 Monate, ohne ihn zu sehen, haben gereicht, um mir zumindest eine kleine Chance zu geben, mich freizumachen. Auf dem letzten Festival des Sommers, auf dem ich mit meiner besten Freundin war, habe ich den besten Freund ihres Cousins kennengelernt. Er war ganz nett, er war rein optisch nicht der größte Fehlgriff und ich habe mich in eine Beziehung mit jemandem gestürzt, den ich keine 24 Stunden kannte. Nach dem Festival kam der Schulwechsel - zum Glück für mich. Die Zeiten von Mobbing und Außenseitertum waren vorbei, meine neue Klasse war toll.
Das ging ein Jahr gut. Ich hatte keinen Kontakt mehr zu meinen Freunden, war nur noch bei ihm. Das hat mir gut getan, Alk. habe ich in dieser Zeit überhaupt nicht mehr getrunken. Ich habe mich auf die Schule konzentriert. Es ging mir gut. Bis er mit mir Schluss gemacht hat, weil er - O-Ton schon länger spürt, dass ich nicht mehr glücklich mit ihm bin. - Ahja. Im Nachgang kam dann raus, dass er mich betrogen hatte. Das Thema war abgehakt. Und trotzdem konnte ich auch hier nicht genug sein. Ich konnte es nicht retten, ich konnte, wie immer, Dinge nicht sehen, erkennen, verhindern, von denen ich aber an mich den Anspruch stellte, es zu können.
Wie bei Josies Tod.
Die Trennung hat mich sehr hart getroffen. Ein Freund, den ich schon vorher kannte, war da. Wir haben nächtelang geskypet, sind beide vor unseren PCs eingeschlafen dabei. Haben lange SMS geschrieben, telefoniert. Der Rest ist Geschichte. 5 lange Jahre. Damals habe ich mir geschworen, nie wieder für eine Beziehung meine Freunde zu vernachlässigen, mein Leben nur noch an meinem Partner auszurichten.
Das habe ich anfangs auch nicht. Ich habe ihn mal mitgeschliffen, wenn ich was unternommen habe. Oder mal ein Wochenende ausgesetzt, um was mit meinen Freunden zu machen... am Anfang. Nach spätestens 2 Jahren nicht mehr. Die Kämpfe waren ermüdend. Egal, um was es ging, einen Tag - oder auch mal 2 Stunden vorher - wollte er nicht mehr. Oder fühlte sich schlecht. Wir haben zu Weihnachten einmal Karten für Dieter Nuhr von meinen Eltern bekommen. Den mochten wir beide. Und am Abend vorher hatte er plötzlich keine Lust mehr, das sei ja so stressig, aber ich könne ja alleine gehen.
Ich hab damals auf Facebook gepostet und hatte schon jemanden, der mitwollte - da wollte mein Partner dann doch wieder. Also alles wieder abgesagt, wir sind zusammen hin. Das war nur exemplarisch, aber irgendwann habe ich es aufgegeben. Denn wenn keine Karten vorhanden waren, war nix zu machen, dann ist das, was wir geplant hatten, eben ausgefallen.
Auf Geburtstagen von meinen Freunden war er dann stets müde, schlecht gelaunt, krank.. oder alles auf einmal. Ich wollte ihn nirgendwo mit hinnehmen, natürlich wollte ihn auch irgendwann niemand mehr dabei haben. Irgendwann habe ich einfach von vornherein abgelehnt.
Ich habe mein Leben aufgegeben. Mal wieder. Bin zu ihm gezogen und hatte plötzlich nicht mal unter der Woche ein Sozialleben.
Er hat Angst vor Menschenmassen. Das weiß ich, das wusste ich auch damals, dennoch, erklärt hat er es nie, es war immer 'Unlust' - ich hatte im Grunde keine Chance, das zu verstehen.
Und heute stehe ich wieder da. Diesmal, das erste Mal, bin ich gegangen. Um mich selbst zu beschützen. Und trotzdem. Ich hätte es erkennen müssen. Ich hätte dafür sorgen müssen, dass wir ein Gleichgewicht haben.
Ich weiß, dass das nicht rational ist. Aber ich wiederhole Muster. Gedanklich, aber auch praktisch, ganz real.
In Gedanken steht am Ende einer gescheiterten zwischenmenschlichen Beziehung immer der Gedanke, dass ich es hätte verhindern müssen. Es hätte besser wissen müssen. Es besser hätte machen müssen.
In Bezug auf meine Katze hat meine Psychologin mal gesagt, dass ich einfach annehmen muss, dass ich alles im Rahmen meiner beschränkten Möglichkeiten Mögliche getan habe.
Aber das hilft mir nicht. Es hilft mir nicht, weil auch der Gedanke, dass alles, was ich hätte tun können, nicht genug war.
Weil ich nie genug bin.
Das ist Punkt eins. Ich denke, das liegt in meinem Elternhaus. Die Beziehung zwischen meinen Eltern, aber auch zwischen meinem Vater und meinen Halbgeschwistern, waren schwierig, frostig, laut, unterkühlt. Und ich habe - vermute ich - schon als kleines Kind das Gefühl gehabt, es läge an mir, ich wäre nicht gut genug.
Ich habe das Wichtigste in meinem Leben verloren, weil ich sie nicht schnell genug zum Notfaltierarzt habe bringen können - oder besser: meine Mutter nicht schnell genug habe dazu drängen können. Sie ist tot. Wegen mir.
An diesen Schmerz habe ich mich gewöhnt. Es ist das Loch in meinem Herzen, das nie vergehen wird. Das ist okay. Ich kämpfe nicht mehr dagegen. Das, dieser Schmerz, ist ein Teil von mir.
Und natürlich ist mir bewusst, dass sie heute schon lange tot wäre, selbst, wenn das damals nicht passiert wäre, sie nicht krank geworden wäre, sondern gesund und munter geblieben wäre. Sie wäre vielleicht noch 3, 4 Jahre älter geworden. Aber das ändert nichts an den Gedanken, dass wir durch meine Schuld diese 3 Jahre nicht hatten. Und verdammt, sie wurde mir zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt genommen.
Genau diese Gedanken finden auch auf Beziehungsebene statt. Ganz egal, wer wann was verbockt hat, am Ende stehe ich, die Supergirl hätte sein müssen. Ich kann die Welt nicht retten, ich weiß... aber ich muss doch das retten können, was mir am Wichtigsten ist.
Der zweite Punkt ist, dass ich immer von Beziehung zu Beziehung rutsche. Ohne das, was vorher war, zu verarbeiten. Warum das so ist... keine Ahnung. Natürlich verarbeite ich, aber ich verarbeite während der nächsten Beziehung - und anscheinend falle ich am Ende dann doch wieder in dieselben Muster zurück. Ich denke, dass auch das damit zu tun hat, dass ich einfach geliebt werden will. Und ich will lieben. Ich will immer alle beschützen. Ich brauche Menschen, um die ich mich kümmern kann.
Nach der Trennung von meinem Ex wollte ich eigentlich Zeit für mich. Um endlich herauszufinden, wer ich bin und was ich will. Nach Hamburg gehen war meine Entscheidung, ganz allein meine. Weil ich diese Stadt liebe. Nicht wegen irgendjemandem. Nur um meinetwillen. Und dann kam mein Neuer und hat mir etwas gegeben, was ich anderthalb Jahre.. eigentlich 6 Jahre lang, nicht hatte - ein Sozialleben. Normalität.
Ich zahle dafür einen sehr hohen Preis. Schuldgefühle. Dem Alten, dem Neuen und auch gegenüber mir selbst.
Zweifel. Selbsthass.
Ich bin schon wieder von einer Beziehung in die nächste gerutscht, ohne es zu wollen.
Und der Gedanke, dass jetzt mit dem Umzug abzubrechen, kommt mir mittlerweile auch absurd vor. Das ganze geht jetzt seit 8 Monaten. Im September, wenn ich definitiv weg bin, sind es 10 Monate. Das ist fast so lang, wie meine erste Beziehung war. Ich kann doch nicht nach 10 Monaten sagen Hey, war nett mit dir, aber ich bin dann jetzt weg, wusstest du ja vorher - ciao!
Ich habe jetzt das Gefühl, ich muss das einfach durchziehen. Mindestens 2 Monate muss ich dem eine Chance geben.
Das hilft mir nicht weiter, aber ich musste es mal niederschreiben. Bitte weitergehen hier gibt es nichts zu sehen.
10.07.2017 01:02 •
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