Schon länger lese ich hier im Forum mit, und heute habe ich beschlossen mich anzumelden, weil mich dieses Thema mehr berührt und auch triggert als andere. Es wird lang, und ich entschuldige mich jetzt schon, dass es viel zu lesen sein wird.
Ich bin dick. Zwar nicht mit einem hohen BMI, aber mit 85kg auf 1,68m sichtbar übergewichtig.
Und ich bin nicht faul. Auch wenn das einige anders sehen.
Warum bin ich dick? Die Antwort ist einfach, egal in welcher Lebenslage. Ich esse zuviel und bewege mich zu wenig. Aber warum ist das so? Was führte mich da hin?
Ich kam vor fast 41 Jahren fast 6 Wochen zu früh zur Welt und hatte ein Gewicht von 3,1kg. Ein stattliches Gewicht für diese Schwangerschaftswoche, aber es wurde erklärt mit der Schwangerschaftsdiabetes meiner Mutter. Als meine Mutter früh wieder arbeiten musste, passte meine Oma auf mich auf und fütterte mich recht gut, was man mir bis zum Kindergartenalter auch ansah. Dort allerdings war ich sehr aktiv und sperrte auch nicht mehr bereitwillig den Schnabel auf, wenn Oma mit dem Löffelchen für xy lockte. Meine Oma war ein Kriegskind, litt öfters unter Hunger und Entbehrungen und das machte sich ein Leben lang bemerkbar. Am Essen wurde nicht gespart, es wurde üppig und fettreich gekocht, denn Hunger leiden wollte man nie mehr.
Ab Beginn der Grundschule war ich dann wieder bei meinen Eltern, wo das Augenmerk nicht allzu sehr auf Essen lag. Ich erlebte dort allerdings häusliche Gewalt, vor der ich regelrecht davon lief, in dem ich zu einem Gossenkind mutierte. Stritten meine Eltern, und ich konnte nicht raus, dann mopste ich mir etwas aus dem Kühlschrank. Kauen lenkte dann ab. Die Figur war altersgerecht, weder dürr noch mollig. Eben ganz genau wie es sein sollte.
Mit ca. 9 Jahren ließen sich meine Eltern scheiden. Die häusliche Gewalt verschwand, aber glücklich war ich trotzdem nicht. Meine Mutter war mehr mit sich und der jüngeren Schwester beschäftigt und die Besuche bei Oma, meiner Herzmama, wurden häufiger, und somit auch die Naschereien. Ich war immer noch nicht wirklich dick, aber die mütterlichen Kommentare klangen anders. Auch heute noch behauptet meine Bauchmutter, dass ich damals viel zu dick gewesen sei, obwohl zahlreiche Fotos das Gegenteil beweisen. Ich aß allerdings noch mehr, denn ihre Kommentare waren sehr verletzend, auf eine bessere Ernährung hat sie dennoch nicht geachtet.
Richtig schlank wurde ich mit 17, als ich von zuhause auszog, und eine eigene Wohnung bezog. Das Lehrlingsgehalt reichte grade für das nötigste und essen war eher unwichtig. Heute ist es mir kein Wunder warum mein Kreislauf ständig in Keller absackte und ich regelmäßig am Boden lag. Aber mein Gewicht war im unteren BMI angesiedelt, 50kg Lebendgewicht.
Die erste Schwangerschaft kam und ich legte 25kg zu. Ich genoss die Zeit, ich war jung ( heute würde ich bei Teeniemüttern mitmachen) und wollte mir und dem Baby gutes tun. Die tägliche Schokobanane musste einfach sein. Und diverse andere Sachen auch. Das rauchen hatte ich stark reduziert und als Ersatz einfach gegessen. Schwangerschaft Nr.2 nahm ich erst einmal stark ab, da Essen so gar nicht ging. Und durch die viele Bewegung mit Neugeborenem und Kleinkind nahm ich wieder richtig ab. Ich passte wieder in Kleidergröße 38 und war normalgewichtig. Nach meiner Scheidung wog ich kurzfristig stressbedingt weniger, aber das relativierte sich dann auch wieder.
Dieses Normalgewicht hielt ich bis vor ca. 7 Jahren, trotz insgesamt vier Schwangerschaften. Damals war ich ständig schlapp, Bewegung fiel mir schwer. Diverse andere Symptome fielen immer mehr auf und beim Neuro bekam ich letztendlich die Diagnose MS. Vom Gewicht legte ich eher wenig zu, aber mir fiel es auf. Ich nehme bis heute keine Medis deswegen und sitze meine leichten Schübe einfach aus. Allerdings wurde bei mir extremer Bluthochdruck festgestellt, der behandelt werden muss. Ich nehme zwei Blutdrucksenker und einen Betablocker und genau diese Medis führten zu meinem Übergewicht. Sehr schleichend. Nicht von heute auf morgen, nein schön langsam. So dass man es schön reden kann, die Hose eine Nummer größer? Jo, die Hersteller haben ja alle unterschiedliche Schnittmuster, etc. Dazu kamen ein paar Schicksalschläge, die vermehrt zum Essen greifen ließen. Und nein, in dem Moment fiel das nicht auf, weil man mit den Gedanken ganz woanders war. Ein paar Kilos kamen noch hinzu, weil das Nichtrauchen erfolgreich war. 10 kg in den letzten knapp drei Jahren, aber immerhin Nikotinfrei.
Faul bin ich nicht. Ich gehe arbeiten, gehe jede Strecke zu Fuß, da ich nicht mobil bin. Ich wandere viel und gehe geocachen. Ich mache öfters Happywalks zuhause, wenn meine Beine nicht zu sehr schmerzen durch die MS. Aber ich bin ruhiger geworden, nicht mehr so zappelig wie früher. Ich verbrenne nicht mehr soviel. Und ich esse für diesen Zustand zuviel.
Faul wäre ich, wenn ich mir keinen Kopf darum machen würde. Wenn ich die Kalorienzählapp unbeachtet ließe, den Schrittzähler nicht tragen würde. Wenn ich keine neuen Rezepte suchen und ausprobieren würde. Ich weiß, dass ich zuviel wiege, und auch wenn manch einer denkt das bißchen. Es ist für mich zuviel. Und das bißchen hält sich hartnäckig. Denn im unteren Übergewicht biste hier alleine gelassen, noch mehr sobald Einschränkungen dazu kommen. Esse ich zuviel Proteine, dann krieg ich Probleme mit dem Magen-Darm-Trakt. Von zuviel Kohlenhydrate steigt der Diabetes -Wert. Ich beschäftige mich sehr viel mit Ernährung und den Fehlern. Meinen Fehlern. Das Büchlein, welches hier schon erwähnt wurde habe ich zweimal gelesen. Mich in vielem wieder gefunden, aber vieles ist unterbewusst und das nachhaltig zu ändern ist so schwer. Manchmals ist etwas schneller gegessen als der Kopf reagieren kann. Und doch bin ich nicht faul. Ich bin in einem Forum angemeldet, es nennt sich Ohne Unsinn abnehmen, dort lese ich mich schlau, leide mit anderen Leidensgenossen und schreibe in meinem Blog/Tagebuch. Es ist nicht so, dass ich mein Übergewicht einfach so akzeptiere und nichts dagegen versuche.
Ich bin übergewichtig, nicht weil ich es gerne bin und mich dazu mäste. Ich bin nicht faul, und blöde schon gar nicht. Aber trotz meines Übergewichtes, meinen Erkrankungen, meiner Art bin ich ein toller Mensch. Auch wenn mein Mann das nicht zu schätzen weiß und unsere Ehe auch wegen meines Gewichts und meinen Einschränkungen kriselt. Es muss mich nicht jeder mögen und schon gar nicht lieben. Das gibt mir die Freiheit ebenso nicht jeden mögen zu müssen.
Es hat ein bißchen gedauert zu lernen, dass man mit sich selbst zufrieden sein muss. Nur dann kann man glücklich sein. Und man kann trotz Übergewicht, Krankheit oder sonstwas mit sich zufrieden sein. Ich lass mich von den Ansprüchen anderer nicht mehr runterziehen. Mein Gewicht gehört zu mir, egal ob zuviel, genau richtig oder zu wenig, so wie man an mir Narben, Schwangerschaftsstreifen, Cellulite und ne Menge Muttermale findet. Aber müsste ich jedem Anspruch gerecht werden, dann bliebe von mir nichts mehr über.
Jene, die in meinen Augen oberflächlich sind, muss ich nicht um mich haben. Und mir spendet der Gedanke Trost, dass sie es eines Tages besser sehen. Es ist nicht ihre Schuld, dass sie es noch nicht besser können. Und nein, ich will kein Mitleid, ich will nicht einmal diskutieren was ich besser machen könnte, und schon gar nicht von Leuten, die kein Problem mit dem Gewicht haben. Ich trage mein Päckchen und verstehe andere, die ebenfalls ein Päckchen zu tragen haben. Und ich wünsche mir, dass jene Leute immer mehr werden, die von Cellulite und Speckrollen nicht angewidert sind und den Menschen hinter den Kilos sehen. Und was den anderen Thread betrifft, Cellulite haben auch viele schlanke Menschen. Hagelschaden, wie es eine sehr schlanke, betroffene Freundin benennt, kann jeden treffen. Mein Körper hat seine Geschichte und wer sie kennt, sieht ihn mit anderen Augen...
22.06.2018 21:15 •
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