Ich kann Dir eine kleine Geschichte erzählen. Die Rahmenbedingungen waren andere, aber mein Glaube an das Schicksal war ein ähnlicher. Der Mann, den ich liebte und ich blieben nicht zusammen. Die Rahmenbedingungen passten nicht. Wir lebten an vollkommen unterschiedlichen Orten und hatten eine Fernbeziehung durch die gesamte Republik. Er konnte damals seinen Wohnort wegen der Kinder nicht verlassen und ich meinen aus beruflichen Gründen nicht. Ja, es ist möglich, dass man einen Beruf quasi nur an einem einzigen Ort ausüben kann.
Wir trennten uns. Seit dem Moment der Trennung - vor nun fast 20 Jahren - trug ich den Gedanken in mir, dass wir noch einmal zueinander finden würden, wenn seine Kinder auf eigenen Füßen stehen würden, weil er dann an jedem Ort leben könnte. Wir blieben bis heute in Kontakt - eher durch ihn forciert als durch mich. Wir hatten andere Beziehungen, wir trösteten uns in schwarzen Stunden und begleiteten uns durchs Leben. Oft hatten wir monatelang keinen Kontakt, doch wir wussten immer, der andere ist da. Immer war da dieses Gefühl der Verbundenheit, des Verständnisses und die Aussicht darauf, dass sich die Wege noch einmal kreuzen. Etwa 15 Jahre nach der Trennung, als seine Kinder längst aus dem Gröbsten raus waren, war er für mich als Mann, als Partner nicht mehr von Interesse. Er ist immer noch ein toller Mensch, aber er hat seinen Zauber verloren. Es ist vollkommen uninteressant für mich, an eine mögliche Partnerschaft mit ihm zu denken, während das 15 Jahre im Hintergrund immer präsent war.
Was will ich damit sagen? Ich würde nicht darauf warten, hoffen oder spekulieren, dass das Schicksal Euch noch einmal zusammenführt. Ich würde raten (das war auch damals mein Wunsch, dem er sich beharrlich widersetzte), den Kontakt komplett abzubrechen, denn nur so kann eine verloren gegangene Liebe heilen, oder Nägel mit Köpfen zu machen und die Konsequenzen zu ziehen, etwas zu riskieren und das Leben anzugehen. Denn die Sehnsucht durch Kontakt über Jahre aufrecht zu erhalten, ist eine heraus fordernde und kräftezehrende, wenn vielleicht auch eine sich romantisch anfühlende, Sache.
Als Tochter, die sich wünschte, dass ihre Eltern sich trennen und als Frau, die gern selber entscheiden würde, ob sie an einer Beziehung arbeiten möchte, in der der Mann eigentlich eine andere liebt, oder ob sie ihn gehen lassen will, möchte ich an Dich appellieren, offen zu sein. Ich würde mich um mein Leben und meine Zeit betrogen fühlen, wenn dieses eines Tages ans Licht käme. Ich würde mich um die Chance betrogen fühlen, mit einem Partner glücklich zu werden, der mich aufrichtig liebt und nicht nur aus Mitleid für mich und die Kinder bei mir bleibt. Ich würde Dir das nicht danken. Ich würde Dich wegen der Zeit, die Du mir gestohlen hast, verfluchen.
Mit anderen Worten: diese Entscheidung, die Ihr da getroffen habt, hätte ich Dir weder als Tochter noch als Frau verziehen oder hielte sie für anerkennenswert.
Als Beobachterin der Situation, wie Du sie schilderst, kann ich mich auch des Eindrucks nicht erwehren, dass es nicht allein das Verantwortungsbewusstsein ist, dass Euch diese Entscheidung treffen lässt, sondern vielleicht auch die Angst, ohne alles da zu stehen, falls die sog. Liebe des Lebens sich als Trugschluss herausstellen sollte.
02.05.2018 20:59 •
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