@thegirlnextdoor
Mh, also bei meinem Punkt 3 war das tatsächlich so, dass es um die Vergangenheit ging.
Bei Punkt 2 war es so, dass die Frau ab dem Punkt, wo ich Ruhe gegeben habe, Geschichte war. Es ging also nie um sie, sondern war immer nur ein Machtkampf zwischen uns. Aber das wusste ich ja damals noch nicht.
Punkt 1 allerdings ist 8 Jahre her. Ich habe diese Entscheidung also zu einem Zeitpunkt getroffen, wo das Thema für mich, für uns, hoch akut war. Ich, damals 35, mit ganz ganz tiefem Kinderwunsch. Und ich habe eben entschieden, dass es meine Wahl ist mit ihm zusammen zu bleiben, der sich damals und noch 3 weitere Jahre unsicher war. Ich habe vorher lange versucht seine Entscheidung zu beeinflussen, zu beschleunigen. Irgendein Versprechen aus ihm rauszuquetschen. Aber das ging nicht. Er hatte sein Tempo und ich hatte meine Wahl und die Verantwortung für meine Entscheidung. Deren Konsequenzen mich mein Leben lang begleiten werden.
Du bist nicht mit dem Mann zusammen, den du gerne hättest, sondern mit dem, der er ist. Er wird bestimmte Dinge nie so tun, wie du, wie du sie brauchst oder erwartest. Er wird bestimmte Dinge nie können, auch wenn du sie ihm täglich vorbetest. Er wird immer anders sein als du, ihr werdet immer in unterschiedlichen Dingen gut sein. Du wirst dich an gewissen Punkten immer allein gelassen fühlen und er sich auch.
Das ist völlig normal. Eine Beziehung besteht immer aus zwei Individuen und zu lieben bedeutet auch, den anderen so anzunehmen, wie er ist.
Und das ist eben die Entscheidung, die du treffen musst.
Darüber hinaus kann man natürlich jederzeit gucken, an welchen Stellen ihr euch das Leben erleichtern könnt. Wenn du etwas von ihm brauchst, was er so nicht leisten kann, dann erwarte nicht, dass er es auf einmal kann. Das ist kein Liebesbeweis. Der Liebesbeweis ist anzuerkennen, wo er (und auch du und überhaupt jeder) seinen blinden Fleck hat und dann Brücken ins Leben einzubauen, die euch dennoch ans gemeinsame Ziel bringen. Da gibt es ja tausende von Möglichkeiten. Eine davon ist, zu akzeptieren, dass du an einigen Stellen seine Sekretärin bist und ihm Dinge nur zur Unterschrift vorlegst, er dich dafür an aber vielleicht ganz unsichtbaren Stellen entlastet. Mein Mann ist zum Beispiel absolut unfähig in diesen ganzen praktischen Lebensdingen (auch Autist), aber er ist fantastisch darin mir Kraft zu geben, um diese Dinge dann für uns beide zu machen. Das klingt erstmal unfair und unausgeglichen, aber beide Dinge kosten Kraft, beide Dinge sind wichtig, und wenn man das sieht, dann sieht man auch kein Ungleichgewicht mehr. Denn das ist wieder mehr ein gesellschaftliches Konstrukt, als die Realität.
Hol deinen Mann bei den Dingen ab, in denen er stark ist. Und kämpfe nicht an den Stellen, die er nicht kann. Denn damit stellst du ihn immer und immer wieder in Frage und das tut weh. Und es löst dein Problem nicht und raubt dir nur die Kraft, die du ja eigentlich gewinnen willst.
Ja, du kannst entscheiden, dass er für das kranke Kind nicht mehr die gleichen Verantwortung trägt wie du.
Denn alles andere kannst du nicht in ihn hinein prügeln.
Aber: du kannst außerdem schauen, was es braucht, um damit besser umzugehen. Welche Routinen im Alltag würden dir diese alleinige Verantwortung erleichtern? Was kann er, damit er dich entlastet? Wie geht ihr damit um, wenn er alleine mit dem Kind ist (irgendwelche Kontrollinstrumente, mit denen er klar kommt)? Und so weiter.
Du arbeitest dich ab mit dem, was nicht ist und nie sein wird. Arbeite lieber mit dem, was da ist. Das zieht viel weniger Energie.
Und arbeite an deinen Glaubenssätzen, die nichts mit irgendwelchen Traumata zu tun haben. Wie ist dein Bild von Familie, von Emanzipation? Wie denkst du, sollte Familie funktionieren, sollte ein Mann, ein Vater funktionieren? Wieso denkst du ist das so, dass du diese Bilder und Erwartungen hast? Was sagt es über dich aus, dass eure Ehe diesen Vorstellungen nicht zu entsprechen scheint? Sagt das überhaupt etwas über dich aus? Bzw. Sollte es etwas aussagen?
Wie sehr sind wir alle eigentlich von diesen Bildern und Erwartungen geprägt?! Und dann haben wir einen autistischen Ehemann, einen Mann mit Päckchen, der diesen Bildern und gesellschaftlichen Erwartungen nicht entspricht, und es fällt uns schwer. Es fällt uns einfach schwer. Und dabei übersehen wir, dass da vielleicht oder wahrscheinlich ein Mensch ist, der uns ganz andere Dinge gibt. Dinge, die vielleicht sogar viel wichtiger sind. Grade in der heutigen Zeit. Loyalität zum Beispiel. Treue. Liebe. Ruhe. Abstand vom Strudel. Eine neue Perspektive aufs Leben.