Zitat von SelinaRo: Sind Menschen in dieser Situation in der Lage ihrer Arbeit nachzugehen? Wie viel vom Alltag ist noch möglich? Vielleicht kann das gar nicht so generell beantwortet werden, würde mich aber sehr interessieren.
Das ist sicher individuell sehr verschieden. Es gibt Menschen, die zunächst unbemerkt in eine Depression schlittern und sie gar nicht als solche erkennen und weiter machen wie bisher. Das sind oft diejenigen alles geschafft haben und weiterhin schaffen wollen, aber darüber auch ihr Innenleben ignorieren und übergehen. Zähne zusammenbeißen und weiter, ist die Devise. Stell dich nicht an, reiss Dich zusammen und dabei steht die Ampel längst auf dunkelgelb. Das ist vor allem in der älteren Generation stark verbreitet, denn die wurde so kondtioniert. Aufgeben gilt nicht, Schwäche zeigen und sich eingestehen, ist schwächlich.
Und dann kann eines Tages einfach der Zusammenbruch kommen. Hat eine Freundin von mir erlebt. Sie stand auf, schaute raus und fühlte nichts mehr. Keine Freude, keine Zuversicht, aber alles fühlte sich dunkel und aussichtslos an. Keine Hoffnung mehr, nichts. Sie war eineinhalb Jahre krankgeschrieben und unfähig zu arbeiten oder am Leben teilzunehmen.
Sie ging nur raus weil sie einen Hund hatte, was sich damals als wichtig erwiesen hat.
Anderes Beispiel ist der Mann einer Freundin. Jobverlust, Zukunftsängste lösten eine Depression aus. Er lag auf der Couch, starrte Löcher in die Luft und sagte zu ihr: Bring mir einen Strick, damit ich mich aufhängen kann.
Er war ebenfalls lange krank und über Monate in stationärer Behandlung. Die erste Behandlung war zu kurz und er wurde rückfällig, die zweite war dann ziemlich lang.
Erstaunlich und auch erschreckend, wie sich sein Gesichtsausdruck veränderte. Die Mimik war wie eingefroren.
Jetzt geht es wieder, aber ich habe in den letzten Jahren auch den Kontakt verloren. Aber durch die Depression wurde aus einem lebensfrohen Menschen ein seelisches Wrack, das allein nicht mehr auf die Beine gekommen wäre. Er muss sicher permanent Medikamente nehmen wie mein Mann auch. Die Depressiven kommen oft nicht mehr davon weg bzw. werden sofort rückfällig wenn die Dosis nachlässt.
Für meinen Mann sind die Medikamente ein Segen, trotz allem.
Eine frühere Mitschülerin stand eines Tages in der Zeitung, mit einer Traueranzeige. Sie war vielleicht damals gut 50 Jahre alt. Verheiratet, Haus auf dem Land, 4 Söhne, tätig im Pfarrgemeinderat, Job als Fachlehrerin, gute Tennisspielerin im örltichen Verein. Ein Bilderbuchleben auf dem Dorf, das alle Klischees erfüllte. Alles richtig gemacht. Ich hörte, sie habe Depressionen gehabt und sei schon länger nicht mehr in der Arbeit gewesen. Sie starb, weil sie sich im Treppenhaus aufgehängt hatte. Der jüngste Sohn fand sie, stelle Dir das mal vor. Mehr weiß ich nicht, aber Depressionen können Todessehnsucht auslösen. Sie sind gefährlich.
Der Mann einer Kollegin war auch betroffen. Tüchtig im Beruf, einer der sich aufarbeitete und alles machte, was anfiel, pflichtbewusst und zuverlässig. Und dann Burnout. Er fehlte auch ein Jahr in der Arbeit und muss nun kürzer treten. Die Kollegin sagt, die Depression hat viel verändert, er ist anders seither und damit muss auch sie leben und umgehen.
In einer Beziehung mit einem Depressiven ist die Krankheit eigentlich immer präsent. Es gibt Phasen, bessere und schlechtere, aber die Depression lauert oft auch im Hintergrund auch wenn sie momentan überdeckt ist.
Depressive kreisen um sich , um ihre Befindlichkeit, wissen um ihren Zustand und hassen sich oft regelrecht dafür, aber kommen doch nicht raus. Das Selbstwertgefühl kann darunter stark leiden. Und der Partner schaut meist hilflos zu, möchte unterstützen und sieht doch, wie wirkungslos seine guten Absichten sind. Ein gefundenes Fressen für Menschen mit Helfersyndrom. Dann kommen die zwei richtigen zusammen. Der Hiflebedürftige und der Partner der helfen will, weil er auch etwas für sich und seinen Selbstwert daraus zieht. Das sind oft keine guten Kombinationen weil der Helfer in die Rolle eines Therapeuten rutscht und diese einnehmen möchte, was oftmals der Todesschuss ist. Hilfe kann hier nur ein unvoreingenommener und neutraler Außenstehender leisten. Da muss sich der Depressive dann auch nicht so schämen. Er weiß ja, dass er die Beziehung torpediert und schwer macht, aber die Depression ist stärker. Und wenn er schlau genug ist, geht er erst mal gar keine Beziehung ein, bis er gefestigter sein kann.
Wenn Jemand sagt, im Moment kann ich keine Beziehung eingehen, dann muss man das unbedingt respektieren, denn er trifft eine Entscheidung für sich, aber auch für den potentiellen Partner, den er vielleicht sogar schützen will. Der stellt sich ja unter einer Beziehung auch was anderes vor, aber Lebensfreude und positive Zuversicht lassen sich nicht verordnen und kommen nicht. Der Partner kann mit seiner gesunden Art sogar zu einer Last werden die der Depressive los werden möchte.
Alles in allem schwierig. Eine langwährende Partnerschaft kann so etwas aushalten, aber eine neue Beziehung nur schwer. Da spielen zu viele emotionale Faktoren mit hinein. Scham, mangelndes Selbstwertgefühl, Lebensuntüchtigkeit und der gesunde hält dem depressiven praktisch einen Spiegel vor. Das schafft von Anfang an ein Ungleichgewicht, das sich dann oft manifestiert und die Beziehung kaputt macht.
Es gibt viele Menschen, die Hilfe brauchen und auch annehmen. Aber wer diese nicht will, dessen Einstellung muss man auch respektieren und auch Achtung zollen. Er tut es oft auch um den Partner zu schützen weil er weiß dass er derzeit kein vollwertiger Partner sein kann. Meiner Meinung nach ein Zeichen von innerer Größe in einer behandlungsnötigen Phase keine Beziehung einzugehen zumal er Zeit und Energie für sich braucht, aber nicht noch in eine neue Beziehung investieren kann. Wer mit sich nicht klar kommt, kommt auch mit einem Partner oft nur schwer klar.