1998 gab es schon das Internet und auch reichlich Chat-Möglichkeiten.
In einem Chat lernte ich einen jungen Mann aus Mönchenglladbach kennen, mit dem mich bald ein intensiver Mailverkehr verband. Er schrieb sehr schön auf poetische Art und Weise. Irgendwann tauschten wir Fotos. Ich mochte ihn leiden und fand, dass er sehr schöne Zähne hätte. Eine von mir befragte Gutachterin .. äh ... Freundin befand, dass das eher ein Pferdegebiss wäre, aber ICH konnte nichts derartiges erkennen.
Meine Semesterferien zu der Zeit hatte ich wochenlang tiefenfrustriert am Wohnzimmerfenster verbracht, weil ich nicht wusste, wann der Mann, in den ich schwer und unglücklich verliebt war, aus dem Urlaub zurückkommen würde. Ich wartete darauf, dass er sein Wohmobil parken und auspacken würde. Ja, das habe ich gemacht. Schwamm drüber!
Das war aber unergiebig und ich wusste ja auch selbst, dass es total bescheuert war. Also dachte ich mir Was soll´s, triff dich halt mit deinem Brieffreund irgendwo auf halber Strecke, damit du in den Semesterferien überhaupt IRGENDETWAS gemacht hast.
Wir verabredeten uns für einen Sonntag in Hannover und sollten beide mit dem Zug anreisen. Boah, war ich aufgeregt. Das war das erste Blind Date meines Lebens. Als der Zug auf dem Bahnhof einfuhr, versuchte ich natürlich ihn zu erspähen. Es stand wartend ein schöner Mann auf dem Bahnhof und ich wusste, wenn das mein Blind Date sein würde, würde ich einen Totalausfall meines Kommunikationszentrums erleiden. Doch nein, der Mann begrüßte auf dem Bahnsteig Frau und Kind.
Aber dann kam ER! Ich weiß nicht recht, wie ich es in Worte fassen soll. Die Älteren von uns erinnern sich an Diether Krebs mit Ich bin der Martin?
Gut! Dann habt Ihr jetzt einen Eindruck davon, was auf mich zugeschlorft kam. Der Typ trug allen Ernstes einen Norwegerpulli mit Laufmaschen, verbeulte Jeans, Sandalen mit Strümpfen und er hatte die Originalfrisur von Martin, nä! sowie ein Pferdegebiss vom Feinsten. Zu allem Überfluss hatte er wohl ein paar Tage vorher einen kleinen Motorradunfall gehabt, der dazu geführt hatte, dass er sich die Nase ramponiert hatte. Puuuuuuuuuuuuuh.
Aber ich hatte ja allen Ernstes schon immer viel zu viel Mitgefühl mit allen und jedem. Und er tat mir irgendwie leid. Also beschloss ich, das Beste aus der Situation zu machen und eben einen halben Tag in Hannover mit ihm zu verbringen.
Das gestaltete sich schwierig. An einem Sonntag. Im Regen. In Hannover. Ende der 90er. Ihr versteht?
Wir sahen uns den Umgebungsplan am Bahnhof an, um uns zu überlegen, wohin wir gehen wollten/sollten. Von ihm kam da keine Idee. Also Hirschpark (heißt das so?). Ja, fand er gut und rannte auch prompt in die falsche Richtung davon.
Ich kürze fasse den Mittelteil mal so zusammen: Er war unbeholfen und ich musste ihm jedes Wort aus der Nase ziehen. Die Konversation war schwierig und er sprach sehr leise, fast flüsternd. Im Laufe des Tages sah er aus wie ein begossener Pudel, denn es regnete unaufhörlich. Von seinem verfilzten Pulli perlten die Tropfen, aber ansonsten war er von oben bis unten durchnässt. Mit anderen Worten, er wurde immer attraktiver.
Nach zwei Anstandsstunden (er hatte wenig Geld und die Fahrkarte war Luxus für ihn) begaben wir uns wieder Richtung Bahnhof, wo wir vor Abfahrt unserer Züge noch einem italienischen Restaurant einen Cappucino trinken wollte Also genau genommen wolle ich das. Denn ich erfuhr ja den ganzen Tag nicht, was er gern gemacht hätte. Das Restaurant war gut besucht und meine Hoffnung, ihn zum Reden zu bringen, wenn ich ihn nach seiner kleinen Tochter fragen würde, erfüllte sich sogar. Yeah!
Denn erst erzählte er etwas von seiner Tochter, um dann anzuheben und immer lauter zu werden und mich zu fragen:
.... und weißt du was meine Ex letzte Woche zu mir gesagt hat?
Wumms .. die Köpfe der anderen Gäste drehten sich schon um.
Er brüllte das Folgende fast vor lauter Empörung:
Sie sagte, ich sei der totale Versager im Bett und hätte sie noch nie befriedigt!
Für einen kurzen Moment war es mucksmäuschenstill und dann ging an den anderen Tischen das Gekicher los.
Ich stammelte etwas von Das ist aber wirklich nicht nett. und dachte mir, dass das wirkllich so unnnett ist, dass seine Ex vermutlich Recht gehabt hätte und er ihr unfassbar auf die Nerven gegangen sein muss, was ich gut verstehen konnte.
Ich wäre am liebsten im Boden versunken. Schon auf der Heimfahrt im Zug schwor ich mir, dass ich nie, nie, nie wieder ein Blind Date haben würde, weil das ein absoluter Horrotag gewesen ist.
Als ich zuhause war, hatte ich schon eine Mail von ihm.
Das wäre der schönste Tag in seinem ganzen Leben gewesen und er wolle mich unbedingt wiedersehen.
21.01.2017 23:27 •
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