Eine ganz alte Geschichte,die ich nie vergessen werde. Ich weiß, dass sie sehr alt ist, weil ich a) in meiner ersten Wohnung wohnte und b) den Typen über eine Zeitschriftenanzeige kennenlernte, die in der Szene veröffentlich war. Papier usw. Erinnert sich jemand?
Also: in der ersten eigenen Wohnung und zuvor von Jugendliebe verlassen, war ich darauf aus zu erfahren, was mir das für neue Freiräume bescheren würde.
Ich weiß nicht mehr, ob ich auf eine Anzeige schrieb oder ob ich eine aufgegeben hatte. Ich glaube, ich habe nie eine Anzeige aufgegeben, aber mal auf welche geanwortet. Das Schreiben passierte übrigens auch auf Papier und zunächst an die Redaktion, die die Briefe sammelte und dann weiter schickte an den Inserenten. Nur mal so als Erklärung für die jüngeren unter uns
Oh, jetzt fällt es mir ein, ich habe doch mal eine Anzeige aufgegeben. Es war spannend all die verschiedenen Briefe in den Händen zu halten und zu lesen, wenn man diese von der Redaktion in einem großen Umschlag gesammelt zugesandt bekam (ein bisschen wie, wenne eine bestimmte TV-Moderatorin 50 m vor einem Hof auf ihr Fahrrad steigt, nachdem es vom Requisitenwagen herunter geholt wurde, um pseudoidyllisch einen mit Blumen umrankten Korb, der mit einer größeren oder kleineren Anzahl von Briefen bestückt ist, an einen einsamen Bauern zu übermitteln, der sich genau von diesem Moment an zum Vollhorst machen wird).
Wie dem auch sei. Das sind spannende Momente gewesen und so ganz andere, als wenn man heute von überall und zu jeder Zeit seine Post abrufen kann. Btw. manchmal stelle ich mir die Frage, ob die Menschen sich vor 100 Jahren auch ständig damit beschäftigt haben, ob das OdB gerade handschriftlich einen Brief an eine andere Frau oder einen anderen Mann verfasst, so wie heute so viele permanent versuchen das Online-Verhalten ihrer OdBs zu interpretieren. Aber das auch nur am Rande.
Ich lernte also diesen jungen Mann über eine Zeitschriftenanzeige kennen. Nennen wir ihn Thomas. Wir telefonierten viel und redeten über alles. Von Politik über SB bis hin zu Freizeitbeschäftigungen, Essverhalten usw. Dabei erklärter Thomas mir u.a., er habe - seit er seine eigene Wohnung und keine Freundin habe - S. mit Wassermelonen. Wassermelonen würden sich so ähnlich anfühlen wie Frauen von innen - zumindest, wenn sie nicht gekühlt wären.
Jahhhhhhhhhhh, ähm, naja. Okay, jedem das seine. Im Grunde ist es ja fast egal, welche Hilfsmittel man so nutzt, solange man niemanden zwingt, etwas zu tun. Aber ein bisschen suspekt war es schon. Wer setzt sich eigentlich für die Rechte der Wassermelonen ein? Ich konnte nicht umhin, mir so etwas bildlich vorzustellen.
Unsere Telefonate zogen sich überr eine ganze Weile, bis wir uns zu einem Treffen verabredeten. Ich weiß gar nicht mehr, was wir gemacht haben. Vermutlich waren wir essen. Anscheinend hatten wir uns viel zu erzählen. Denn meine Erinnerung setzt da wieder ein, wo ich in seiner Küche am Küchentisch sitze. Wir trinken Wein und unterhalten uns.
Dort sitzend, fiel mir die Geschichte mit der Wassermelone wieder ein, denn hinter ihm auf der Arbeitsplatte stand ein Obstkorb mit, ja, mit einer Wassermelone. Seit ich sie erblickt hatte, konnte ich mich nicht mehr auf das Gespräch konzentrieren, denn ich hatte Kopfkino.
Das war eine der Situationen im Leben, in denen man sich fragt, ob das eigentlich alles real ist. Ich bin meist sehr neugierig bzw. direkt und interessiert an allem. So fragte ich ihn, ob er eine neue Freundin habe, und wies auf die Melone.
Darauf lachte er verlegen und antwortete verzagt, sein großer Traum wäre, dass eine Frau ihm mal die Melone halten würde, während er, nunja, sie liebt und fragte, ob ich das machen würde.
Äh, nö! Ist ja bestimmt auch ne ziemliche Sauerei. Ich lehnte dankend ab und sagte ihm, dass ich keinesfalls die Intimität zwischen ihm und der Melone stören wolle und verabschiedete mich dann auch schnell.
Gern hätte ich diese Begebenheit betitelt mit Ich habe keine Wassermelone getragen, aber das hätte die Pointe vorweg genommen.