Verweigert habe ich den Sechs nur manchmal. Meistens ließ ich mich dann doch überreden. Nach dem wir unser Kind bekommen haben, war es aber schwierig mit dem Überreden. Das kennt ja wohl jedes Paar. Die Nachtruhe ist gestört, man hat Schlafmangel und bei beengten Wohnverhältnissen ist das Kind oft auch mit im Schlafzimmer oder sogar Ehebett. Bei uns war das lange so. Dann kamen andere Problemchen und so wurde unser Sechsleben immer weniger. Wenn wir dann mal Zeit für uns hatten, konnte ich im Gegensatz zu meinem Mann nicht auf Knopfdruck umschalten. Aus anfänglich 2x die Woche wurde 1x dann alle 2 Wochen, dann einmal im Monat, dann alle 2 Monate und dann nur noch 3 bis 4 x im Jahr. Da unser letzte Sechs aber nun schon 9 Monate her ist, gehe ich davon aus, das es damit jetzt ganz vorbei ist. Und wie gesagt, je mehr ich dränge oder weine oder beleidigte Leberwurst spiele, desto mehr zieht mein Mann sich zurück. Der Besuch beim Paartherapeuten brachte dann soviel Druck mit sich, das wir sogar unsere Schlafzimmer trennten. Mein Mann brauchte Abstand von allem und besonders von mir. Tagsüber verstehen wir uns gut, sind ein eingespieltes Team und haben auch Spaß zusammen. Besonders natürlich, wenn unser Kind nach Hause kommt. Aber die ruhigen Stunden werden immer mehr. Und in Corona-Zeiten ist es sogar für mich inzwischen unerträglich geworden. Obwohl ich noch nie großen Wert auf Vereinsleben oder Partys gelegt habe, fällt mir jetzt mit meinem Mann die Decke auf den Kopf. Und das fehlende Sechsleben steht wie eine Wand zwischen uns. Niemand wagt es mehr, dieses Problem anzusprechen. Ich warte darauf, das er von sich aus wieder auf mich zukommt aber es stimmt schon, er scheint mich nicht mehr als seine Frau wahrzunehmen. Ich bin irgendwie zum Neutrum geworden und so fühle ich mich inzwischen auch.
Wenn ich so nachrechne, wie alt meine Eltern wurden, habe ich nicht mehr viel Zeit. Ich bin 54, mein Mann einige Jahre älter. Er geht auf die 60 zu. Meine Eltern und auch mein Schwiegervater wurden alle keine 80. Nur meine Schwiegermutter lebt noch und ist bei bester Gesundheit trotz ihrer aktuell 92 Jahre. Sie ist aber auch ein ganz anderer Typ als ich. Sie war immer sehr umtriebig und in positivem Sinne egoistisch. Sie war trotz ihrer 5 Kinder immer berufstätig und in diversen Vereinen aktiv. Mein Mann wurde von seiner Oma groß gezogen. Manchmal denke ich, er hängt deshalb so an mir, weil er in mir einen Mutterersatz sieht. Er war immer schon sehr anhänglich und wir leben sehr viel Nähe, wenn wir auch nicht mehr miteinander schlafen. Diese Nähe erdrückt mich einerseits und andererseits fehlt mir mein Mann als Mann.
Ich denke, aus diesem Dilemma würden wir nur heraus kommen, wenn wir beide uns verändern. Diese Bereitschaft sehe ich aber bei meinem Mann nicht und ehrlich gesagt, wüsste ich nicht, was ich jetzt tun sollte, um seine männliche Seite und sein Interesse an mir als Frau wieder zu wecken. Ich bin eben eher der Mama-Typ. Ich bin kein männermordender Vamp, das war ich noch nie. Ich glaube auch nicht, das die glücklicher sind als ich. Dennoch hätte ich gerne wenigstens einmal in meinem Leben sowas wie Leidenschaft erlebt. Ich wäre so gerne einmal eine femme fatale gewesen, die geliebt und verehrt wird. Wenigstens von meinem Mann hätte ich mir gewünscht, das er mir dieses Gefühl manchmal gibt. Meine Realität war aber eine andere und das wird sich nun nicht mehr ändern lassen.
Wie so viele andere Wünsche und Sehnsüchte wird sich auch das nicht mehr erfüllen lassen. Ich wäre z.B. gerne mal in die Welt gereist. Ich hätte gerne mal New York gesehen oder die Serengeti oder wenigstens die ewige Stadt Rom. Wir aber fahren jedes Jahr an die Nordsee und selbst das wird in diesem Jahr wohl ausfallen. Manchmal denke ich, ich habe mein Leben nie wirklich leben können. Dabei war ich eine fleißige Schülerin, habe Abi und sogar einen 1 er Schnitt. Aber auch beruflich konnte ich mein Potential nie nutzen. Ich wurde von meinen Eltern in einen ungeliebten Beruf gedrängt, der zwar ganz ordentlich bezahlt wird, den ich aber nie geliebt habe. Auch die große Familie, die ich mir immer wünschte, habe ich nicht bekommen. Es blieb bei einem Kind.
Es war ein ruhiges Leben voller Entäuschungen, Grenzen und unerfüllter Träume. Es mag Jammern auf hohem Niveau sein, denn ich lebe ja das typische Durchschnittsleben, das viele so anstreben. Aber mich hat es nie zufrieden oder gar glücklich gemacht. Ja, ich bin traurig darüber. Sehr traurig im Moment aber ändern werde ich es nicht mehr können. Die Angst vor dem Absturz in die Einsamkeit ist zu groß. Alleine säße ich in einer kleinen Wohnung und wäre noch einsamer als jetzt. Ich bin 54 und mein Leben wird noch ein paar Jahre dauern. Aber eigentlich ist es jetzt schon vorbei!
Danke, das ich mich hier wenigstens mal ausheulen durfte.