Chronik einer vorhersehbaren Katastrophe

E
Hallo Lilac,

ok, mein Zusatz (wenn wir ihn uns verdient haben) war verwirrend und deshalb in dem Zusammenhang überflüssig.
Nein, ich meinte nicht, dass wenn wir bei der Trennung respektlos und unehrlich behandelt werden, es selbst verursacht haben.
Ich meinte das ganz grundsätzlich. Oftmals verhalten sich die verlassenden Partner gerade deshalb so respektlos, weil sie sich nicht anders zu helfen wissen. Gerade, weil sie vielleicht soviel Respekt haben und damit nicht zurecht kommen. Dafür kann es viele Ursachen geben.

Aber Du hattest völlig recht, mich in der Hinsicht so kritisch zu betrachten

Hubi

10.04.2002 17:40 • #16


E
Heute habe ich wieder gekocht, sie rief mich wie im Büro an, wir checkten ab, dass ich wie immer, wenn mein Sohn bei mir schläft, etwas besorgen und kochen würde. Habe Ratatouille auf dem Markt besorgt, ohne Rücksicht darauf, das die Kids das viel Gemüse eigentlich nicht mögen, ich wollte ihre Grenzen heute mal nicht respektieren, es hat ihnen dann aber doch geschmeckt.

Nach dem Essen schnappte sie sich ihren elektronischen Translator und übersetzte Worte wie Flasche, Rechnung, Sand, Sonne, Leben, *beep* und andere in Spanisch, Französisch, Holländisch, Englisch, Italienisch. Sie will ein unbedingt paar Brocken Spanisch lernen für die Reise mit ihrem neuen Lover nach Gomera in zwei Wochen.

Ich sah ihr zu, wie sie lachte, wie ihre Augen blitzten, wie sie ihre Hände bewegte, wie sie ihren Kopf zurückwarf, wie ihre Zähne funkelten, gab ihr Tips für Worte zum Übersetzen, irgendwie waren wir ausgelassen, lachten über die lustigen Worte in  den unterschiedlichen Sprachen und freuten uns, wenn uns die richtige Übersetzung einfiel oder wir die Wörter erraten konnten.

Es war spielerisch und kindisch, wie wir es oft vorher erlebt hatten, wir blödelten rum, waren lustig und ausgelassen,  ich fand sie wunderschön, und ich hatte Sehnsucht danach, sie zu umarmen, ich hatte nur ein T-Shirt an, meine Haut kribbelte, wenn ich daran dachte, dass sie mit ihren Händen an den Seiten meines Rückens hochfahren könnte.

Als ich dann die Situation nicht mehr aushalten konnte, ging ich zum Waschbecken, um die Töpfe zu spülen. Einmal ging sie in meine Richtung auf mich zu, um sich ein Glas in dem Schrank hinter mir zu holen, sie beugte ich hinter mir vorbei, und ich phantasierte, dass sie ihre Hände unter mein T-Shirt schieben könnte und erschauerte bei dem Gedanken daran.  

Sie verhält sich wie ein Kind, das sich nicht darum kümmert, wie es auf andere wirkt und nur an sich und nicht an die Auswirkungen seines Verhaltens auf andere denkt. Genau das habe ich oft an ihr geliebt, und sie hat oft immer davor gewarnt.

Wenn ich ihr sagen würde, wie sehr ich ihr Lachen genossen habe, und ihr von meiner Sehnsucht erzähle, wird sie sich in der restlichen Zeit, in der wir noch zusammen wohnen werden, nicht mehr so locker verhalten, wäre verschlossen, das würde mir auch nicht gut tun.

She's got everything she needs,
She's an artist, she don't look back.
She's got everything she needs,
She's an artist, she don't look back.
She can take the dark out of the nighttime
And paint the daytime black.

(Dylan, She belongs to me)

Wie würdet ihr euch verhalten?  

11.04.2002 21:53 • #17


A


Chronik einer vorhersehbaren Katastrophe

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E
hallo moritz,
es spricht für dich, wie tapfer du dich hältst und wie du versuchst, es den kindern schön zu machen.

ich habe am Anfang auch oft noch die linke backe hingehalten (=hinnahme der gedankenlosen fröhlichkeit der ex, die schon einen neuen hatte, in der hoffnung, noch ist nichts wirklich vorbei), würde es aber heute in der gleichen situation nicht mehr tun.

man bestärkt die betrügenden doch nur nur in ihrer überheblichkeit und es bringt dich in eurer auseinandersetzung kein stück weiter.

schmeiß sie raus, behalte die kinder bei dir (denn sie will ja die familie verlassen) oder ziehe zu einem freund, aber tue dir solche abende nicht an ( wir scherzten gemeinsam über fremdwörter für ihren urlaub mit dem neuen lover in gomera).

durch deine duldung und scherze retardierst zu in ihren augen nur zu einem schwächling, sorry, aber das ist so.

ich drücke dir die daumen, es wird noch hart

mick

12.04.2002 06:49 • #18


E
Hallo Moritz,

Mick hat absolut Recht.
Und ich bin sicher, Du hast bereits selbst gemerkt, dass es sich eigenartig anfühlt, dem Menschen gegenüber, der uns verlassen will und uns schon sehr weh getan hat, so freundschaftlich begegnen zu müssen. Das Müssen kommt aus Deinem Zwang heraus, weil Du sie liebst und nicht verlieren möchtest. Aber ich fürchte, das hast Du bereits.....wenn Du dennoch dieses Verhalten zeigst, machst Du Dich zu ihrem Skalven. Zu jemandem, der bittelt und bettelt - in der Hoffnung, alles möge noch gut werden. Und das ist etwas gänzlich Charakterloses. Und in einer Situation ohne Charakter und ohne Courage sein zu müssen, ist etwas sehr schlimmes wie ich meine.

Manchmal ist es nötig, sein Ego zu überwinden. Vor allem, wenn wir schwerwiegende Fehler gemacht haben. Aber wenn jemand nicht oder nicht mehr bereit oder fähig ist, sich auf mich einzulassen, muss ich aufhören. Ich verliere sonst meine Selbstachtung!

Bemühe Dich darum, Dich nicht so zu erniedrigen und finde den Mut, die Angst zu überwinden. Die Angst, dass sie Dich verlassen könnte.... Denn das hat sie vermutlich bereits getan.

Ehre und Stärke

Hubi

12.04.2002 07:51 • #19


E
Danke Mick und Huby für eure Hinweise. Ich hätte sie vorher lesen sollen, sonst wäre mir das folgende nicht passiert. Eigentlich bin ich durch dieses Erlebnis genau zum selben Ergebnis gekommen: Ich sollte mich aus dieser Skla. befreien.

Also passt auf, es kam noch fetter, es ist echt nicht erfunden, obwohl es eine schöne Story ist.

Heute habe ich mir frei genommen, es ist Freitag, ich habe bis halb 10 geschlafen, bin aufgewacht, als H. „Junimond“ von Rio Reiser in MTV ganz laut liefen ließ. Es ist vorbei, bye, bye! Ein Song, der mir die ganzen letzten Tage nicht aus dem Kopf geht.

In der Küche zeigte sie mir die SMS eines Arbeitskollegen. Sie lehnte sich ganz nah an mich, damit ich den Text auf dem kleinen Display lesen konnte. Danach ging sie Duschen., ich hörte Musik. Durch die Musik hörte ich etwas, was nach einem Ruf klang, mein Name?  Wegen der lauten Musik war ich mir nicht sicher, ob sie wirklich meinen Namen so laut durch die geschlossene Tür und die ganze Wohnung rief, oder ob ich mir das nur einbildete, weil ich es mir wünschte. Beim dritten oder vierten mal registrierte ich, dass sie wirklich meinen Namen schrie, es war keine Fata Morgana eines Verdurstenden in der Wüste.

Sie stand unter der Dusche, ganz nass und konnte das Shampoo nicht erreichen. Das war noch nie vorher passiert, besonders, weil das Shampoo seit vier Jahren nie woanders als neben der Dusche steht. Sie bat mich, es ihr zu geben, wenn die Türe offen wäre. Meine Gefühle brauche ich euch jetzt gar nicht zu beschreiben, als ich die Hand an Türklinke legte, um sie zu öffnen, das kann sich jeder selbst ausmalen.

Zum Glück hatte sie abgeschlossen, was sie sonst nie beim Duschen macht.

Ich weiß nicht, was sie sich dabei denkt, wenn sie mich in eine solche Situation bringt. Macht sie sich keine Gedanken Will sie mich provozieren? Will sie mir sagen, dass ich meine eigenen Wege gehen muss, wenn ich nicht immer wieder leiden will? Will sie sich lustig über mich machen? Macht es ihr Spaß, mich wie einen Marionette an ihrer Gefühlsfäden tanzen zu lassen? Ist das bewuß eingesetztes Double-Bind, um mich wahnsinnig zu machen?

12.04.2002 10:38 • #20


E
Hi Moritz,

ich denke, sie spielt (bewusst oder unbewusst) mit Dir. Sie geniesst das Oberwasser, das sie hat. In jeder Hinsicht.
Und Du pustest noch in die Glut, dass sie nicht ausgeht.
Spiel ihr Spiel nicht mehr mit. Vermittle ihr freundlich, höflich und bestimmt, was Du denkst und fühlst. Aber auch, was Du tun wirst.

Hubi

12.04.2002 10:57 • #21


E
Hallo Moritz,

es klingt nach einem Spiel, das sie mit dir spielt, ein Spiel in welchem Gewinner und Verlierer von Anfang an feststanden - gewinnen wird sie! Dieses Spiel ist nicht fair, hör auf mitzuspielen, sie kann dich nicht dazu zwingen. Tu das solange du noch einen Rest von Stolz in dir hast, lass dir nicht so wehtun! Sing du den Junimond! Du schaffst das!

lilac

12.04.2002 11:46 • #22


E
Hallo Moritz,

irgendwie kam mir das alles bekannt vor, was du über eure Trennungsgründe geschrieben hast.
Auch ich habe alle Warnlampen ignoriert, Drohungen missachtet bzw. ein mögliches Scheitern unserer Beziehung nicht wahrhaben wollen. Als es dann plötzlich 5 nach 12 war und ich merkte, dass sie von einem Dritten begehrt wurde, war es leider zu spät. Ich habe gekämpft und ihr alles das geben wollen, was sie zuvor vermisst hatte. Nur ich hatte keine Chance mehr. Sie hatte sich bereits entschieden. Für sie war schon lange klar, dass wenn das Sprungbrett ihr sicher ist, dass ich dann zum Abschuss freigegeben bin.
Solche Menschen sind immer gleich und lernen auch nie aus ihren alten Beziehungen. Fehler werden immer beim Partner gesucht und nie bei sich selber. Krisen-Management ist ihnen ein Fremdwort und wenn dir auch der Hund im Sturme treu bleibt, die Ex hat noch nicht mal den Wind aushalten können!
Bittere Erkenntnis daraus: Sie waren dann auch für uns nicht geeignet! Das muss man dann ganz neutral so anerkennen.

Dein jetziges Verhalten ist nur zu verständlich. Leider ist sie aber auf dem Holzweg, wenn du die alleinige Schuld für das Scheitern eurer Beziehung auf dich nimmst und es mit deinem Verhalten ihr auch noch so bestätigst.
Tue dir das nicht mehr an! Sie wäre nicht in der Lage dieses unfaire Spiel mit dir zu spielen, wenn sie nicht ihren Trennungsgrund gefunden hätte. Sie gehört zu der Kategorie Verlassender, die nur dann den Mut aufbringen, eine Beziehung zu beenden, wenn ein nahtloser Übergang in eine neue Beziehung ihr das notwendige Selbstbewusstsein geben. Oder können sie nicht alleine sein und bleiben von daher lieber in einer unglücklichen Beziehung?
Ich finde auch, wie die anderen hier gepostet haben, dass jeder das Recht hat, aus einer Beziehung auszubrechen. Wenn die Erkenntnis da ist, dass man nicht mehr zusammen passt bzw. gepasst hat, sollte man dann den Anstand wahren und nicht mit den Gefühlen des Ex noch spielen oder auf ihnen herum trampeln. Ist es ihr etwa nicht bewusst, dass sie dich damit schwer verletzt durch ihr momentanes Verhalten?

Für die Zukunft kann ich dir nur raten, die Prioritäten in einer Beziehung neu zu setzen und von Anfang an offen und ehrlich zu sein. Der Job muss nicht über der Partnerschaft angesiedelt sein. Wenn doch, dann gehört dazu auch eine Partnerin, die dafür Verständnis hat und dich entsprend unterstützt, inspiriert und neue Kraft gibt.
Oder kann sich einer vorstellen, wie Manager-Ehen funktionieren? Sind Top-Führungskräfte etwa alle solo bzw. Singles? Wohl kaum! Von daher stelle deiner Ex mal die Frage, was sie denn für die Entwicklung euerer Beziehung getan hat! Die Kommunikation kam wohl auch zu kurz und Ultimaten bzw. Drohungen sind nicht gerade förderlich für den Fortbestand einer Beziehung bzw. für das Überstehen von Krisen!

Aber vielleicht habt ihr ja doch nicht zusammen gepasst. Diese Erkenntnis wirst du allerdings erst in einigen Monaten haben!

Für die nächsten Wochen wünsche ich dir, dass du schnellstmöglich auch die räumliche Trennung schaffst, damit diese Spielchen der Vergangenheit angehören.
Ich hab damals bei mir auch sofort das Weite gesucht, um nicht in Gefahr zu geraten, seelisch kaputt zu gehen. Das habe ich nur einen Abend ausgehalten, das Turteln mit ihrem neuen Lover, der dann 2 Tage nach meinem Auszug bei ihr Unterschlupf fand. Ein nahtloser Übergang also!

In einigen Monaten wirst du auch sehr viel positives aus dieser Trennung ableiten können. Das wünsche ich dir jedenfalls:

Liebe Grüße

Hubby

12.04.2002 15:18 • #23


E
oops, das ist gerade noch mal gut gegangen. Ich bin froh, dass ich bei dem Erlebnis, das ich unten beschreibe, nicht ausgerastet bin. Wer ist dem Neuen seiner Ex schonmal begegnet? Der Text ist ein bischen lang, aber ich mußte meine Gewaltphantasien mit dem Aufschreiben verarbeiten, und jetzt geht es mir besser:

Dienstags kocht immer H.. Heute schickte sie mir eine SMS in die Firma: „Werde krank, kannst du einkaufen gehen?“  Ich antwortete: „ok, ich bringe um 19:00 etwas schnelles zum Kochen mit, weil ich vorher noch zwei Wohnungsbesichtigungen habe.“

Später rief sie an: „Ich habe heute morgen Halsschmerzen gehabt, aber jetzt geht es besser, ich habe doch schon eingekauft, du brauchst nichts zu besorgen.“

Ich erwähnte nicht, dass ich vor den Wohnungsbesichtigungen noch zu Hause vorbei kommen würde.  

Um 18:00 kam ich nach Hause, um die Unterlagen für die Wohnungen und mein Fahrrad zu holen. Sie war völlig erschrocken, als sie mich sah: „Oh, das wird aber jetzt peinlich. A. kommt gleich und klingelt.“ „Für wen ist das peinlich?“  

Sie wollt ihn abfangen, ihn anrufen, damit er nicht vorbei kommt, sie lief zum Fenster, um ihn zu warnen. Sie war völlig aufgedreht, sie wollte absolut nicht, dass wir uns begegnen. Ich war auch aufgeregt, mein Herz schlug heftig, ich zögerte mein Blättern in den Unterlagen heraus, wollte mich nicht vor ihm davonschleichen.

Sie fragte: „Du wirst doch keine Streit anfangen?“ „Warum, sehe ich so aus?“ „ Ja!“  „Solange er nicht in deinem Bett liegt, ist alles ok, aber dann würde ich zum Berserker werden!“

Ich fand sie so attraktiv, so begehrenswert, so schön, wie nie zuvor.

Ich wühlte in meine Unterlagen herum, ich wollte ihm endlich mal ins Gesicht sehen. Als er um 18:10, 5 Minuten, bevor meine Wohnungsbesichtigung ganz in der Nähe begann, immer noch nicht da war, schnappte ich mein Fahrrad und fuhr los, in Richtung des Besichtigungstermins und gleichzeitig in Richtung seiner Wohnung. Ich wusste, ich würde ihn treffen.

Auf der Höhe des Antiquariats sah ich ihn. Er kam mit auf dem Fahrrad entgegen. Ich stellte mich in seinen Weg, mitten auf die Straße und sagte: „Hallo“. Er musste stehen bleiben, und sagte: „Was kann ich für dich tun?“  „Du bist A.?“ „Ja“ „Ich bin M..“ „Ich hätte dich nicht erkannt.“ „Ich will dir sagen, dass ich sie immer noch verdammt liebe.“

Mir stiegen Tränen in die Augen bei diesen Worten, ich fühlte mich schwach und zittrig, aber ich wollte ihm meine Standpunkt vermitteln.

Er versuchte, sich zu rechtfertigen:„Ich habe gar nichts damit zu tun, dass ist eine Sache zwischen dir und H., sie sagte mir schon im November/Dezember, dass sie nicht mehr mit dir glücklich ist, dass es ihr nicht gut geht, dass es vorbei ist und sie sich von dir trennen will.“

Ich zitterte, war sehr aufgeregt, aber nicht zu kopflos, um nicht zu sehen, dass es gut wäre sich von unserem Standpunkt mitten auf der Straße zu entfernen, obwohl es dramatischer gewesen wäre, dort weiterzureden, und ich vermute, er würde sich dann entfernen, aber nein, folgte mir an den Straßenrand.

„Ich weiß, dass ich verdammte Fehler gemacht habe, ich hatte viel Stress auf der Arbeit, aber die drei ein halb Jahre vorher waren eine absolut tolle Zeit. Sie hat nichts für die Beziehung getan, als es schwierig wurde, sie flüchtet vor Schwierigkeiten.

Ich wünsche Dir, dass Du irgendwann mal so leidest wie ich jetzt. Ich wollte dir das nur sagen, es nutzt mir nichts, es nutzt dir nichts, aber ich muss es dir sagen: Behandle sie gut. Pass gut auf sie auf, sie ist sehr wertvoll und sehr verletzlich, Spiele nicht mit ihr und verletzte sie nicht!“ „Das kann sein, aber ich denke auch, H. kann sehr gut für sich selbst sorgen“ „Ja, das kann sie.“  

„Tschüß“ „Tschüß“

Ich fuhr zu meinen Wohnungsbesichtigungen. Eine zu klein und zu teuer, die andere bezahlbar, aber dunkel, schlecht geschnitten, mit Schimmel an den Wänden und runtergekommen.

Ich führ zurück, holt mir noch Zig., fuhr viermal an M. (H.s Ex-Mann) Friseurladen vorbei und kam um fünf vor sieben in die Wohnung zurück.

H. stand im Flur, mit erschrecktem Gesicht. Er saß in der Küche, an dem Platz, auf dem ich auch mal gesessen hatte, als G., H.s Partner vor mir eines Abends nach Hause kam. Auch mir hatte sie damals erzählt, alles sei vorbei, sie hätten keine Beziehung mehr.

Ich stürmte auf ihn zu: „Ich will nicht, dass Du in meiner Wohnung bist. Das ist auch meine Wohnung und ich will es einfach nicht. Gehe jetzt sofort!“ Er war lächelte nervös, sagte: „Gut, ich gehe.“, aber anstatt sich sofort auf den Weg zu machen, sah es so aus, als wolle er noch seine Zig. fertig rauchen. Das war nicht genau dass, was ich von ihm gefordert hatte: „Ich will, dass Du jetzt gehst, sofort!“

H. mischte sich ein: „Es ist gut, er hat nichts damit zu tun.“

Er sagte: “Aber du wusstest doch, dass ich H. abholen wollte“. Er bewegte sich immer noch kaum in Richtung Ausgang, saß unsicher auf dem Stuhl.

„Das ist die tollste Frau, mit der ich jemals zusammen war, und ich will, dass du sofort diese Wohnung verlässt. OK, ich zieh hier aus, aber solange, wie ich noch hier wohne, komme nicht mehr hierher, du kannst kommen, wenn ich nicht da bin, aber ich will dich nie hier mehr sehen, wenn ich nach Hause komme!“  

Für mich klang meine Stimme zittrig, meine Augen wurden wässrig, ich weiß nicht, ob ich ihm immer in die Augen sah, oder mich manchmal abwand, damit er dass nicht sehen sollte, aber vielleicht bemerkte er nicht meine Unsicherheit, oder er merkte trotzdem, dass es mir sehr ernst war, und dass ich nicht bereit war, mit ihm hier zu reden.

H. wiederholte: „Es ist alles ok, er hat nichts damit zu tun“

Ich wiederholte mich auch noch einmal, aber lauter und nachdrücklicher: „Jetzt sofort! gehe jetzt!“

Er schnappte sich die Jacke, ich folgte ihm zur Tür.

Ich glaube, wenn er in diesem Moment nicht auf meine Worte gehört hätte, wäre ich zu Handlungen übergegangen, obwohl ich ein friedliebender Mensch bin und mich seit meiner Grundschulzeit nie mehr geprügelt habe.

Er ging raus. Ich hatte die Tür in der Hand, wollte sie schließen, H. machte einen Schritt in Richtung Tür, ich öffnete sie wieder ein Stück,  sie ging doch wieder einen Schritt zurück, wollte selber die Tür in die Hand nehme, vielleicht wollte sie nur verhindern, dass ich die Tür zu schlug, aber ich hatte die Tür in der Hand, und schlug sie heftig laut zu, nicht so fest, dass Gefahr für die Fenster bestand, aber ziemlich laut.

H. öffnete die Tür wieder, ging ihm hinterher, ich schnappte mir eine Flasche B.. Nach dem ich sie schnell getrunken hatte, nach ca. 5 Minuten, kam sie zurück.

Sie musste ja kochen. Sie kramte in der Speisekammer herum, mit gesenktem Kopf, aber irgendwie routiniert und gefasst, ohne sich etwas anmerken zu lassen, sie kochte Spagetti mit Spinat und Schafskäse, ein einfaches essen, bei dem man nichts falsch machen konnte. Ich hätte aber in diesem Moment noch nicht einmal das hinbekommen, und ich war auch nicht in der Lage, ihr irgendwie behilflich zu sein, außer beim Tischdecken.  

Ich saß am Tisch, trank mein B., schaute ihren zügigen, schönen Bewegungen bei den Essensvorbereitungen zu, sie erschien im Gegensatz zu mir bemerkenswert gefasst, konzentrierte sich auf das Kochen, wie eine Maschine.

Ich begann zu reden: „Ich verstehe nicht, dass du so wenig Rücksicht auf meine Gefühle legst. Warum musste er hier rein kommen? Ich hatte gesagt, dass ich um sieben kommen würde.

Sie sah auf die Uhr: „Es ist drei vor Sieben! .... Du verstehst das nicht, Du hörst nicht zu! Hat er dir nicht gesagt, dass wir keine Beziehung haben?“ „Nein, das habe ich nicht gehört, weder hier, noch auf der Straße, und das ist mir auch egal, du schläfst mit ihm, du schmust mit ihm und er macht mich damit kaputt“

„Warum macht er dich kaputt?“

„Weil er mit dir zusammen ist und ich nicht mit dir zusammen sein kann. Soll ich lieber Aggressionen auf dich haben?“

„Ja, das wäre mir lieber. Was hat er gesagt?“

„Er hat gar nichts gesagt, nur dass es nichts mit ihm zu tun hat. Ich bin stinksauer, dass Du ihm im November gesagt hast, es wäre vorbei zwischen uns. Im November hast du ihm das gesagt, aber mir erst im Februar. Warum hast Du nicht mit mir geredet?“ Sie schwieg zu meiner Frage.

„Warum sagst Du ihm, dass er auf mich aufpassen soll? Ich konnte immer für mich alleine sorgen, ich brauchte nie jemanden, der sich um mich kümmert, ich bin immer alleine zurecht gekommen. Ich brauche keinen Aufpasser!“ „Ich meinte das nicht im Sinne von Aufpasser, sondern wollte sagen, dass er Dich gut behandeln soll. Aber warum brauchst Du niemanden? Was ist so schlimm daran, jemanden zu brauchen, dir geht es manchmal schlecht, und ich habe dich immer, bis auf die letzten Monate unterstützt und das tut mir verdammt leid. Ich verstehe nicht, warum mir das passieren konnte. War es der S., der dir gefehlt hat, den Du jetzt mit ihm haben kannst? Ich finde dich jetzt so begehrenswert, ich habe keine Erklärung dafür, warum ich dich in den letzten Monaten nicht begehrt habe. Ich muss aber herausbekommen und ich werde es herausbekommen in einer Therapie. Das wird mir nicht noch mal passieren.“

„Es ist nicht der S., es ist das Reden!“

„Ich hoffe, er wird auch für dich das sein, wenn es dir mal schlecht geht, und auch noch nach drei ein halb Jahren für dich da sein, dir wünsche ich nicht, dass Du mal so leidest, wie ich jetzt.“

„Das wird er dann bestimmt nicht nach drei ein halb Jahren, das ist nicht sein Ding. Ach was, das geht dich überhaupt nichts an.“

Ihr Sohn L. kam irgendwann rein, wie immer, fragte, wann das Essen fertig sei. Ich sagte: „Hast du das Schreien vorhin gehört?“ „ Ich weiß nicht“ „Ich will es dir sagen, was passiert ist: Ich habe A. gesagt, habe, dass ich nicht will, wenn er in dieser Wohnung ist, solange ich noch hier wohne.“

H. schaute mich total erschreckt an, wollte mir mitteilen, dass ich nicht weiter reden sollte. Ich sagte “Ich wollte es ihm nur erklären.“ L.: „ Es ist mir völlig egal, was ihr zusammen habt, aber lass ihn doch ausreden.“

„Ich glaube immer mehr, dass du vor deinen eigenen Problemen flüchtest, wir hatte ein gemeinsames Lernprogramm: uns trotz einer hoffnungslosen Situation unserer Gefühle zu bekennen. Du flüchtest lieber vor Schwierigkeiten, Du suchst das Gefühl, verletzt zu werden, weil es deinem Muster entspricht. Wir aber haben unsere Probleme  49 mal gelöst, ich habe 49 um dich gekämpft, nur einmal war ich nicht dazu in der Lage. Du hast nie um mich gekämpft und als ich nicht um dich kämpfen konnte, hast mir nicht geholfen.

Ich liebe dich immer noch, aber ich kann auch gut ohne dich zurecht kommen, ich bin mir jetzt sicher, dass ich das kann, ich bin nicht abhängig von Dir, ich suche mir eine eigen Perspektive, aber ich würde es lieber mit dir machen.“

„Das ist ja perv.“ „Ist es perv., etwas zu begehren, was man nicht bekommen kann? Das ist genau dein Problem! Du willst nicht um eine Beziehung kämpfen, Du willst sie lieber austauschen “

„Wenn du mir nicht antwortest, musst du damit rechnen, dass ich Vermutungen anstelle.“ „Ja, mach dir nur Vermutungen, da ist mir völlig egal!“

Zwischendurch suchte sie nach ihrem Pass. Sie braucht ihn für den Flug mit A. nach Gomera.  „Ich weiß genau, wo ich ihn hingelegt habe, da ist er nicht mehr! Du hast ihn genommen.“ Ich war total schockiert über ihre Vermutung „Es kann nicht wahr sein, dass Du mir das zutraust, ich verhalte mich doch nicht wie ein russischer Zuhälter.“ Ich schwor ihr, dass ich ihn nicht habe. Wenn sie ihn nicht findet, wird es Gründe geben. Sie hat irgendwie Angst vor dem Flug und der Reise.

Sie hörte mir zu, ohne viel selbst zu sagen, kochte das Essen. Als es fertig war, gab sie L. etwas auf sein Zimmer und nahm sich auch etwas, verschwand damit in ihrem Zimmer, sie muss es verschlungen haben, nach sehr kurzer Zeit holte sie sich einen Nachschlag.  

W. kam, ich fuhr mit ihm zu der Bandprobe, aber ich sagte, dass ich heute wahrscheinlich keinen Ton auf der Gitarre spielen könnte. Wir redeten lange, ich erzählte ihnen von dem Erlebnis und wie es dazu gekommen war.  W. und C. hörten mir zu, ich weiß nicht, ob sie meine Gefühle nachvollziehen konnten, es war mir auch egal, ich musste nur reden.

Irgendwann entfernte sich das Thema immer mehr von H., wir kamen auf Elternbeziehung zu sprechen, auf die Beziehung zu Vätern und sie redeten über traumatische Erlebnisse in ihrer Kindheit, von enttäuschten Erwartungen, Misserfolgen, Missverständnissen, sehr viel sehr persönliche Gefühle brachen auf, wir hatten noch nie so zusammen geredet.

Nach drei Stunden reden begannen wir zu improvisieren, denn ich wollte keine Stücke spielen, mich nicht an Regeln halten, ich war nur noch zu grobmotorischen Bewegungen fähig, deshalb setzte ich mich ans Schlagzeug.  Schon nach den ersten Tönen klang es verdammt nach BeBob Jazz, nach schwarzem Harlem, Ich hätte nie gedacht, dass ich BeBob am Schlagzeug spielen könnte, aber es klang, als hätte ich nie etwas anderes gemacht. W. blies ein irrsinniges Rohr zu dem räudigen Brummen des Bass und dem verzögerten, stolpernden, manchmal streichelndem, manchmal explodierenden Schlagzeug.  Jeder war ganz nah bei sich, deshalb konnten wir uns musikalisch ganz nahe kommen.

Irgendwann wechselte der Stil, wurde härter, der Bass gab ein Thema vor, und wir gröhlten in einer virtuosen, grausamen  und von Blut, Schweiß, B. und Sper. triefenden Version:

„Why don´t we do it on the road?
Nobody´s really watching us!
Why don´t we do it on the road?

W. sagte auf dem Rückweg: „Das war ein Abend, wie er sehr selten unter Männern vorkommt.“

17.04.2002 11:39 • #24


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