Zitat von Nostraventjo:Ich bin auch Tochter, aber ich habe es dadurch selbst Anerzogen bekommen mit Emotionaler Instabilität, Misshandlung seelischer und körperlicher Natur, überforderung, liebesentzug, narzismus und so weiter.
Ich nenne das Borderline by proxy.
So wie es eben Münchhausen by proxy gibt.
Und ja, ich weiß sehr genau, was Du meinst.
Zitat von Nostraventjo:Wie hast du es geschafft, da unbeschadet raus zu kommen?
Uns dürfte klar sein, daß dies eine sehr komplexe Antwort ist.
Sie beginnt mit einem, bin ich das ?
Weil heute ein sehr besonderer Tag ist und in spätestens drei Wochen, dieser Beitrag sehr verbuddelt sein wird, irgendwo in diesem Forum, so wie der ein oder andere Beitrag von mir zu diesem Thema sehr verbuddelt ist, hier ein paar (hundert, ich kann mich bekanntermaßen ja nicht kurz fassen) Zeilen.
Es beginnt neben einem, bin ich das?, mit einem Satz, der lautet, ich hatte Glück, meine Mutter ist aufgrund dieser Erkrankung vor bald zehn Jahren recht unüberraschend, überraschend gestorben.
Ein harter Satz, an dem ich jetzt fünf Minuten herum gewerkelt habe.
Es ist aber (leider) ein wahrer Satz. Ich weiß nicht, was passiert wäre, wenn dieses Ereignis nicht geschehen wäre. Familien sind Systeme und wenn man in einem solchen groß wird, dann gibt es kaum Möglichkeiten einfach mal so im Vorbeigehen auszubrechen. Dazu braucht es Leidensdruck und zumeist eben Ereignisse.
Familien sind eben auch Systeme, die man als Kind natürlich wahrnimmt. Auch irgendwie wahrnimmt, daß, was auch immer da abgeht, so nicht stimmig ist, aber das führt ja jetzt nicht gerade dazu, daß man sich wehrt. Man nimmt es wahr, aber weil es ja dann doch irgendwie immer weitergeht, ist man überrascht, daß das, was einen nicht überraschen sollte, doch irgendwann eintritt.
Der sehr unüberraschende überraschende Tod meiner Mutter, zeitgleich mit noch ein paar sehr wenig erfreulichen Ereignissen im gleichen Jahr, hat mich tief getroffen und dann doch auch irgendwie alles auf den Kopf gestellt.
Die Wahrheit ist, ich wusste nicht, was BL ist. Ich wußte auch ganz viele andere Dinge nicht. Ich hatte meine Schwierigkeiten mit dem Leben. Rückblickend Bilderbuch-typische, aber hinterher ist man immer schlauer.
Der nächste Schritt war dann, Trommelwirbel, Therapie. Huch schon ein bissl banal. Und danach folgte, Trommelwirbel, noch mehr Therapie. Und dann, naja die Antwort ist ja jetzt schon auch bekannt, ui, noch mehr Therapie.
Die ehrliche Antwort ist, ich hatte ein wirklich, wirklich, wirklich furchtbares Jahr (2010), dann habe ich noch etwa ein knappes weiteres durchgehalten und weiter so getan, daß eh alles gut ist. Konnte ich ja, tun Kinder von PS-Eltern, wir sind so katastrophenerprobt und spüren uns so wenig selbst, geht schon. Und dann ging es nicht mehr.
Was hat mich gerettet? Glück, Trotz und so doof wie es klingt eine ostdeutsche Pfarrerstochter zu sein.
Glück: ich hatte nicht einfach immer gluck, aber in den richtigen Momenten hatte ich totales Glück. Versteh mich richtig, daß meine Mama tot ist, schmerzt bis heute; tut aufrichtig weh. Ich weiß aber nicht, ob ich so zeitig nach Lösungen, Erklärungen oder eben Hilfe hätte suchen müssen, wenn dies nicht passiert wäre. Danach hatte ich Glück nen Job zu finden, der mich in die Lage versetzte, wenn auch zähneknirschend und nicht im Vorbeigehen, aber mir einen Therapeuten suchen zu können und mir das leisten zu können. Dann hatte ich Glück, weil ich ohne große Probleme, jemanden traf, der für mich, die richtige war. Und damit wir uns hier richtig verstehen, ich fand die richtig doof. Aber ich hatte von Anfang an Vertrauen in ihre Fähigkeiten.
Trotz: Das ist noch schwieriger zu erklären, als das Glück, welches ja eh nicht so wirklich eins war. Im Grunde meines Herzens bin ich ein sehr ängstlicher und fauler Mensch und ich finde Konflikte nicht so cool. Wenn man bei mir nachliest, dann entdeckt man, daß ich erst dieses Jahr angefangen habe, auch mal so richtig im Forum herumzuschreien (mein kleines Labor, bevor ich anfange, daß im RL anzuwenden).
ABER: ich kann es nicht erklären, es gab bisher noch immer einen Punkt in meinem Leben, an dem ich sage, nö, muß was anderes geben und alles, was mir bisher eingefallen ist, hat offensichtlich nicht funktioniert.
Ich habe immer geglaubt, ich werde genauso (enden) wie meine Mutter. Das war (sehr lange) meine größte Angst. Anfangs waren es nur die Wutausbrüche, das inkonsequente und die Angst sich selbst zu Grunde zu richten. Erst sehr viel später die Angst vor dieser Isolation, Verzweiflung und Wut.
Ich kann das schlecht beschreiben, bei mir ist Trotz nix böses, sondern eher so ein pfff, so will ich das aber nicht.
Schließlich, weißte, wenn Du aus einem ostdeutschen Pfarrhaushalt kommst zu Zeiten der Wende, dann kannste Dir entweder ne Ferrero Roche Kugel geben oder Du wirst Bundeskanzlerin. An beidem war ich jetzt nicht so interessiert. Aber das gute an so ner Biographie ist, daß Du ohnehin nirgendwo dazu gehört; das macht es leichter auch alle anderen Glaubenssätze in Frage zu stellen.
Auch das meine ich sehr ernst, egal wie salopp ich das jetzt formulieren, wenn Du sehr früh lernst, daß wenig Bestand hat, dann ist es, so denke ich, echt leichter, auf Sinn oder Erklärungssuche zu gehen. So absurd wie es klingt, aber zu Zeiten der Wende hat das BL meiner Mutter fast Sinn gemacht.
Schließlich zwischen uns beiden, liest ja hier keiner mit, ja ich war wütend, ich war unglücklich, ich war so tief verletzt. Dennoch hatte ich Glück, meinen etwas seltsamen Trotz und eine Biographie, die es leichter gemacht hat, Veränderung zu akzeptieren und dann, tja dann war es eben auch der eine Moment (der ja auch nur Ergebnis eines langen Weges ist), in dem ich zum ersten Mal spüren konnte, wie unpackbar sche**e es eben auch für meine Mutter gewesen sein muß. Der Moment, in dem ich las, daß, zumindest im Moment, BL als Belastungsstörung gilt. Also, neben genetischer Disposition, es eben auch (vermutlich) einen oder mehrere Auslöser gab. Der Moment, in dem ich spürte, daß es mir nicht dadurch besser geht, daß es anderen schlecht geht; sondern daß nur noch doofer ist.
Der Moment, in dem ich hier im Forum meinen ersten Beitrag voller Wertschätzung schrieb, der sicher nicht mein erster Beitrag per se hier war.
Weißt Du liebe @Nostraventjo , die Wahrheit ist, ich weiß nicht, ob man da wieder rauskommt, unbeschadet schon mal gar nicht. Ich weiß nicht mal, ob ich da wieder raus komme, ich habe Dämonen. Ne Menge.
Aber die Wahrheit ist auch, wenn Du ne BL Mutter hast, dann bist Du katastrophenerprobt. Und wenn man es irgendwie schafft, neben all dem Leid, auch die Liebe, und das ist eine einzigartige und tolle Liebe, die man erfahren hat, irgendwann wieder zu spüren, dann lässt sich damit schon etwas anfangen.
Habe ich mir mein Leben anders vorgestellt? 'türlich habe ich mir mein Leben anders vorgestellt.
Aber ich habe nicht nur überlebt, sondern lebe. So authentisch, connected und friedliebend, wie es mir möglich ist.
Sehe ich noch immer meine Thera? ja. Bin ich noch immer hier im Forum unterwegs?
Also, nein, ich bin da nicht unbeschadet rausgekommen. Aber ich habe mit Glück, Trotz und einer Herkunft, die eben nichts auf Wurzeln gibt, ein Leben aufgebaut, von dem ich nicht nur sagen kann, daß es mich glücklich macht und von dem ich glaube, daß es meine Mutter stolz gemacht hätte.
Borderline ist furchtbar, ich habe auch nur bedingt Verständnis für die, die hier im Forum ganz gern mal herumkrakelen, weil die hatten im Gegensatz zu mir oder einer Mutter ne Wahl. Aber dennoch wünsche ich einfach niemandem diese Erfahrung.
Ich bin noch immer sehr traurig über den Tod meiner Mutter und das Jahr 2010 hat mich für immer verändert. Ich bin nach wie vor erschüttert über diese Erkrankung und ich war extrem wütend. Ich maße mir nicht an zu wissen, wie es Dir als Kind ergangen ist, ich kann nur sagen, damit Kinder zu authentischen, erwachsenen Menschen heranreifen, braucht es neben Liebe, Stabilität und Grenzen, beides habe ich nicht erfahren. Abr ich weigere mich auch, zu glauben, daß es ein Nicht-Wollen war, es war schlicht ein Nicht-Können.
Jetzt als Erwachsene ist es an mir zu entscheiden, wieviel ich gedenke davon weiter zu geben. Denn seinen wir ehrlich, aus jedem verletzen Kind, wird irgendwann eine Erwachsene, die auf ein Kind (mag es auch nicht ihr eigenes sein) trifft.
Wie gesagt, ich denke nicht, daß ich da unbeschadet herausgekommen bin, ich bin nur trotzig genug, den Gedanken, andere Leute dafür zu bestrafen, für sinnvoll zu halten.
Ich kann aber verstehen und zwar sehr gut, wenn man es tut.
Ich wünsche Dir ein bezauberndes und schönes 2020.