Liebe pepitta,
ich möchte Dir auch noch ein paar Zeilen dazuschreiben. Soul und Micha haben schon vieles geschrieben, was ich ähnlich sehe (auch wenn ich es vielleicht nicht so deutlich wie Micha formuliert hätte) :).
Ich kenne die Erfahrung, mit jemandem in einer Beziehung zu sein, der extreme Nähe-Ängste hat, der nur ganz wenig an Nähe zulassen kann - oder dies nur über einen sehr begrenzten Zeitraum - und bei dem dann die o.g. Mechanismen einsetzen, sich Freiräume zu schaffen, sich quasi freistrampeln zu müssen aus einer vielleicht noch nicht einmal bewussten Angst heraus.
Ich kenne dieses bohrende, nagende Gefühl, es einfach nicht zu verstehen, wie zwei Menschen, die sich beide lieben, aus diesem Grund einfach nicht zueinander finden können. Mit dem Verstand ist das ja auch kaum zu be-greifen.
Leider habe auch ich keine Erfolgs-Story, kein Happy End zu berichten. Bei uns lief das so, dass wir immer eine sehr kurze, glückliche Zeit miteinander hatten bis er sich dann ganz plötzlich zurückzog. Am Anfang konnte ich noch eigene Anteile meines Verhaltens an den Situationen erkennen. Wie Du auch habe ich angefangen, an mir zu arbeiten. Ich habe gelernt, ihn so zu akzeptieren und zu nehmen, wie er ist, nichts zu erwarten oder gar zu verlangen, sondern das anzunehmen, was möglich ist, das zu genießen und darüber hinaus mein eigenes Ding zu machen, mich mit meinen Sachen zu beschäftigen. Natürlich blieben dabei viele Wünsche unerfüllt.
Aber egal, wie souverän ich mit der Situation umging, derselbe Kreislauf ging immer wieder von vorne los - genauso, wie Micha es beschreibt. Er hat sich diverse Male von mir getrennt, mal ein Vierteljahr, mal ein halbes Jahr. Zuletzt setzte dieses Rückzugs-Verhalten ohne jeden ersichtlichen äußeren Grund ein (kein Streit, kein Dissens, keine Meinungsverschiedenheit ... einfach so) ... und das, was an Gemeinsamkeit möglich war, schien immer weniger zu werden (schon EIN Telefonat pro Woche war manchmal zuviel!).
Da ist mir dann ganz deutlich geworden, dass dieser FILM, der da ablief, nichts mit mir zu tun hat, sondern ganz allein sein eigener - den er zu dem Zeitpunkt nichtmal selber erkannt hat - ist. Da ich auch nicht gesehen habe, dass er irgendetwas tut, um sein Problem anzugehen, daran zu arbeiten, habe ich mich irgendwann von ihm getrennt.
Ich habe nur noch ein paar Anregungen dazu:
Ich denke, dass es auch immer etwas mit einem selbst zu tun hat, warum man/frau sich gerade die Partner/innen sucht, mit denen man zusammen ist.
Für mich selbst kann ich nur sagen, dass es auch etwas mit meinen eigenen Ängsten vor Nähe zu tun hat, dass ich mir gerade DIESEN Partner ausgesucht habe. Man/frau könnte sich auch mal fragen:
Warum suche ich mir gerade eine/n Partner/in, bei dem so viele Wünsche unerfüllt bleiben? Micha drückt das etwas drastisch aus: Lass es (Dein Liebesgeschenk) nicht in irgendeiner Ecke im Leben eines anderen Menschen verroten und vor sich hingammeln. Es gäbe bestimmt viele Menschen, mit denen wir in Hülle und Fülle unsere Liebe teilen könnten, die geben und nehmen können. Warum wählen wir gerade DIESEN Menschen? Woher kennen wir das Gefühl, nicht das zu bekommen, was wir brauchen, dass unsere Liebe abgewiesen wird?
Es ist wahrscheinlich das schwerste zu akzeptieren, dass wir eben nur uns selbst ändern können, unseren Teil erfüllen können, aber dass wir keinen Einfluss darauf haben, dass auch der andere an sich arbeitet. Wir können nur gut auf uns selbst aufpassen und für uns selbst entscheiden. Das sehe ich genauso wie Soul und Micha.
Ich würde ihn nie für sein Verhalten verurteilen. Wie Du selber schreibst leidet auch Dein (Ex-)Freund an dem Käfig seiner eigenen Verhaltens-Strukturen, aus dem er scheinbar nicht ausbrechen kann.
Meines Erachtens gehen diese Mechanismen auf weit zurückliegende, möglicherweise in der Kindheit liegende Erfahrungen zurück (vielleicht hat er aber auch schlechte Erfahrungen in früheren Beziehungen gemacht). Deswegen lassen sie sich eben auch nicht so einfach durchbrechen - Voraussetzung dafür wäre, die Ursachen erst mal auf die Ebene des Bewusstseins zu heben, um zu lernen, zwischen früher und heute zu differenzieren und auf die heutige Situation angemessen zu reagieren. Vielleicht reagiert er mit seinen Nähe-Ängsten gar nicht auf Dich, sondern auf seine Mutter (um es mal platt auszudrücken). Was weißt Du über Deinen Ex? Wie ist er aufgewachsen? Wie war sein Verhältnis zu seiner Mutter? Hatte er Geschwister? Wie waren die Konstellationen? Wo war der Vater? etc. etc.. Als ich die Mutter meines Ex persönlich kennen gelernt habe und gesehen habe, wie die Familienmitglieder z.B. auf Familienfeiern miteinander umgehen und je mehr ich aus seiner Lebens-/ Familien-/ Kindheitsgeschichte erfahren habe, desto mehr hat sich das Puzzle zusammengesetzt und desto besser konnte ich verstehen, warum er heute so ist, wie er ist, woher diese extremen Nähe-Ängste kommen. Das erleichtert das Verstehen, aber es ändert noch nichts!
Wenn ich ihm auch nur mal zaghaft meine Gefühle mitgeteilt habe, wie ich diese Familienzusammenkünfte erlebe, was ich wahrnehme und wie ich das einschätze, hat er mit totaler Abwehr reagiert. Er hat es überhaupt nicht ertragen, da etwas gespiegelt zu bekommen. D.h. er war noch nicht bereit, da auch nur mal HINzugucken. Zu angstbesetzt??? Auch das kann man nicht verurteilen. Haben wir nicht alle unsere blinden Flecken, wo wir nicht so gerne hingucken? *Nasefass*
Ich glaube, ich will damit nur sagen, dass es keine einfache Lösung gibt ... auch wenn Liebe da ist. Wenn sich etwas ändern sollte, müsste er eine Menge lernen. Bei meinem Exfreund habe ich z.B. mit der Zeit beobachtet, dass es ihm nie gelang, sich mal zwischenzeitlich abzugrenzen, in kleinen Alltags-Situationen zu sagen: Das wird mir jetzt zuviel oder darauf habe ich keine Lust, einfach die Nuancen wahrzunehmen und auch auszudrücken, auch seine Wünsche zu äußern oder zu sagen, wenn er was richtig schei. findet. Anscheinend hat er immer eine ganze Zeit lang stillgehalten und als einziges Verhaltensmuster schien ihm dann der Total-Rückzug auf unbestimmte Zeit zur Verfügung zu stehen. Dabei kamen dann diese Extrem-Zyklen zustande. Diese Dinge zu lernen kann aber harte Arbeit sein und Zeit brauchen, wenn man das nie gelernt hat. Ob er das überhaupt lernen WILL kann nur er entscheiden.
Oh weh, das is´ ja ein halber Roman geworden. Das sollte es gar nicht :)
Es tut mir Leid, dass ich nichts Erfreulicheres zu berichten habe. Es tut mir heute manchmal noch weh, wenn ich mir bewusst mache, dass festsitzende, behindernde Altlasten eine Beziehung verhindern können, auch wenn Liebe da ist. Aber wenn so viel einfach nicht möglich ist ... kann ich mich irgendwann nur fragen: Was bin ich bereit mitzutragen? und Wo sind meine Grenzen erreicht? vielleicht sogar Wo ist die Grenze meiner Belastbarkeit erreicht?
Es stehen vereinzelt hier immer mal wieder Geschichten von Menschen, die nach einer Weile eine/n neue/n Partner/in gefunden haben und heute glücklicher sind als früher ... z.T. sogar dankbar für die Erfahrung der früheren Trennung sind, weil sie ungeahnte Möglichkeiten neuer Erfahrungen mit sich gebracht hat. Auch ich bewerte heute viele Verhaltensweisen meines Ex-Partners anders als früher, als ich noch in der Beziehung drinsteckte, z.T. auch weil ich inzwischen andere Vergleichsmöglichkeiten habe. Ich finde es ist auch ein Zeichen von Unreife und ein Zeichen dafür, dass jemand nicht die Verantwortung für sein eigenes Handeln übernimmt, wenn er sich nicht mit den Strukturen auseinandersetzt, die hinter solch offensichtlich schrägem Verhalten sitzen, sondern wenn er diese Muster einfach blind ausagiert. Auch das soll keine Wertung/Be-Urteilung sein. Es ist schwer genug, sich dem zu stellen. Die Frage ist nur: Möchte ich so jemanden als Partner? Oder möchte ich einen erwachsenen Partner, der auch in der Lage ist, sein eigenes Verhalten mal selbstkritisch zu hinterfragen, mit dem ich mich austauschen kann, ohne dass er gleich an die Decke geht oder wegläuft wenn er etwas hört, das ihm nicht gefällt ... der mir umgekehrt auch sagt, was ihm nicht passt, was er an mir nicht so gut findet, der in der Lage ist, über seine Gefühle zu sprechen, der versucht, sich auch in die andere Seite hineinzufühlen und sie zu verstehen ... so wie ich das auch versuche - der andere Möglichkeiten in seinem Verhaltensrepertoire hat als einfach wegzulaufen.
Puh ... wenn ich schon mal anfange zu schreiben ... :)
Bitte wundere Dich nicht, wenn Du nichts mehr von mir hörst. Ich bin im Moment nicht mehr viel im Forum.
Ich wünsche Dir alles Gute auf Deinem Weg und viel Kraft.
Jazz
31.10.2004 14:13 •
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