Es ist erstaunlich und auch ernüchternd, wie all diese Geschichten nach dem selben Muster verlaufen. Fast ausnahmslos hat man das Gefühl, über die eigene vergangene Beziehung zu lesen..
Ich ahnte irgendwann nach den ersten Monaten, auch vor dem Hintergrund seiner Biografie (welcher Mann ist mit Mitte 40 immer noch Junggeselle und hatte nie geheiratet ?), was ihm fehlte. Er hatte schlichtweg Probleme mit Bindungen. Ich googelte und mir fielen die Augen raus. Über dieses Phänomen gab es ja ganze Bücher! Ich las einige und sah meine Beziehung.
Die Probleme, die ich als einzigartig ansah, waren gewöhnlich. Fast erschreckend, wie wenig individuell das alles war.
Stefanie Stahl beschrieb in ihrem Buch Jein die Mechanismen, die ablaufen, ganz genau. Und sie beschreibt auch, warum man sich aus solchen Beziehungen oft kaum lösen kann. Eben weil die Bindungsvermeider ein gutes Gespür dafür haben, wann und wie sie sich beim Partner wieder melden und ins Spiel bringen, dass der automaitsch und glücklich über die Zuwendung sofort wieder erfreut bereit steht. Eine scheinbar liebevolle SMS, ein Anruf zu unerwartetet Stunde, eine liebe Mitteilung - der Wartende ist meist mit so wenig zufrieden, dass er sich an jeden Strohhalm klammert.
Die Taktik ist so: Da, darfst Du mal *beep*, wie es wäre, wenn Du den ganzen Bonbon bekommen würdest. Aber ätsch, den kriegst Du nicht, denn ich bestimme, wie oft Du daran *beep* und riechen darfst, ehe der Bonbon vor Deinem Mund wieder verschwindet.
Geschickt halten sie einen in der Warteschleife.Das geht natürlich nur mit den richtigen Partnern. Diese Partner sind meist auch ziemlich austauschbar und sich im Wesen ähnlich. Von einer großen inneren Sehnsucht nach Liebe und Verschmelzung geprägt, oft mit Defiziten aus der Kindheit wie Liebesentzug und zu wenig Beachtung geplagt, eiern sie ziellos durchs Universum. Bis sie dann in die Umlaufbahn von Mr. oder Ms. X finden und dann dort ihre Kreise ziehen. Sie sind zwar Mitglieder der Umlaufbahn, aber werden auf Abstand gehalten. Das traurige Schicksal ist immer dasselbe: Der Partner zieht voller Sehnsucht nach Nähe seine Kreise und wie weit er dem Zentralgestirn nahe kommen darf, entscheidet das Zentralgestirn.
Wie gerne wäre ich die Hauptperson in seinem tollen Leben gewesen, war aber im Endeffekt nur der Zaungast, der ihm oft eifersüchtig und missgünstig beim selbstständigen Leben zusah. Und indem ich sein scheinbar tolles Leben sah, wurde mir wieder mal bewusst, wie klein und unvollständig doch mein Leben war. Man weist sich selbst eine ungenügende Rolle zu.
Dazu braucht es auch eine bestimmte Wesensstruktur, die so ein Beziehungsmuster innerlich akzeptiert. Zwar leidet man innerlich oft darunter, aber im Grund genommen teilt man sich selbst etwas Unvollständiges zu. So, als ob man eine richtige Beziehung nicht wert wäre, begnügt man sich mit einer Pseudobeziehung, die diese Bezeichnung nicht verdient.
Der Grund dafür sind meist die unbewussten Muster, die wir oft aus der Kindheit ins Erwachsenenleben transportiert haben und dort wieder ausleben. Man lebt ja nur immer das, was man kennt und verinnerlicht hat. Fühlte sich das kleine Kind von den Eltern oft allein gelassen, unverstanden und gab man ihm das Gefühl, dass es eine uneingeschränkte Liebe nicht wert ist, setzt sich das im Kind schon fest. Man wächst heran, man macht Erfahrungen, man glaubt, die Kindheit abgestreift zu haben und wird doch gesteuert von den Dingen, die im Unterbewusstsein lauern.
Mangelndes Selbstwertgefühl ist der ideale Nährboden für toxische Beziehungen. Das betrifft den aktiven Bindungsvermeider, der meist auch süchtig nach Bestätigung und Zuwendung ist, weil er im Grund genommen weiß, dass er nicht viel wert ist. Und das betrifft den passiven Part, der von vorn herein davon überzeugt ist, dass er nicht viel wert ist.
Und so kommen zwei Partner zusammen, die beide defizitär um nicht zu sagen, krank sind. Im Grund genommen ist es eine Art Krankheit, die immer wieder aufflammt, sich zeitweise scheinbar bessert, ehe sie wieder akut zum Vorschein kommt. Genauso laufen diese Beziehungen ab.Zwei Kranke werden gemeinsam nicht heil, weil jeder in seiner Krankheit verharrt und nicht raus kommt.
Und ein gesunder Mensch mit einem gesunden Selbstwertgefühl und mit einem ausgeprägten Ehrgefühl würde sich ja nie auf so eine Schmalspurbeziehung einlassen bzw. beizeiten wieder verschwinden.
Was der passive Bindungsvermeider meist nicht weiß, ist , dass er selbst von dieser Krankheit betroffen ist. Er lebt und liebt ja leidenschaftlich und wünscht sich doch nichts mehr als eine schöne Beziehung auf Augenhöhe, die Glück und Zufriedenheit und innere Ruhe bringt. Aber er sucht ausgerechnet dort nach Liebe und Zuwendung, wo er sie nicht oder nur sporadisch bekommt.
Da werden scheinbar zufällig Partner gewählt, die schon vergeben sind - eigentlich, aber offen für Anderes oder solche, die sich gerade erst aus einer Beziehung gelöst haben, aber noch mit den Altlasten leben. Oder es kommen welche, die zu jung oder zu alt sind. Es sind immer Menschen, mit denen eine richtige Beziehung nicht möglich ist.
Dann kommt das Leid, aber dem Unterbewusstsein ist das egal. Soll er oder sie sich nur abquälen, ist mir doch egal, denn ich weiß, dass es keine richtige Beziehung geben wird. Denn Beziehungen sind gefährlich, sie schränken einen ein und vor allem sie tun zwangsläufig weh und man wird eines Tages eh verlassen. Also lieber Jemanden aufgabeln, der nicht geeignet ist.
Beide haben dieselbe Krankheit, leben sie nur unterschiedlich aus.
Ich habe mir oft Gedanken darüber gemacht, warum ich eigentlich nie Jemanden hatte, der als enger Partner in Frage kam. Ich glaube, ich weiß die Antwort. Hätte ich mit Mitte 20 oder so einen Mann gefunden, der gesagt hätte, was ist mit heiraten, was mit Familie, was mit Häuschen im Grünen? Ich wäre panikartig davon gelaufen und wäre geflüchtet.
Und so blieb es eben immer bei Beziehungsversuchen oder seltsamen Beziehungen, die in einem Auf und Ab dahin liefen, aber nie richtig stabil waren.
Ich war der Grund dafür, ich hätte es nicht gekonnt, mich richtig im Leben zu etablieren.
Erst spät habe ich mehr über mich begriffen, aber besser spät als nie. Und eine Beziehung halte ich erst jetzt gut aus, weil ich erstens mehr über mich und meinen Partner weiß und weil ich einen habe, der mir eine lange Leine lässt. Hier bin eher ich es, die ab und an wieder mal auf Abstand geht und ihr Ding macht.
Aber so eine symbiotische Ehe, die ich bei manchen Frauen und Männer sehe, ist etwas, was ich niemals können werde. So mit Hausbau und gemeinsamer Mailadresse, mit Kindern usw. Da stellen sich mir oft die Nackenhaare auf und ich frage mich, wie schaffen die das nur?
Es bleibt nur, mit den eigenen Defiziten zu leben, sie zu erkennen und sie anzunehmen und das Beste draus zu machen.Es ist es wie es ist und damit fertig.
Seltsam, wo eigentlich diese Träumereien vom Märchenprinzen geblieben sind, der in mein Leben kennt, meinen einzigartigen Wert erkennt und mich rettet. Sie sind einfach weg. Die Realität ist zwar ein gutes Stück kälter, aber doch lebenswert. Also machen wir das Beste draus.
Übrigens, Lebenskünstler, ich lese sehr gerne über solche Beziehungen. Dahinter stehen immer Menschen, die einiges mit gemacht haben und versuchen, sich selbst auf die Schliche zu kommen.
Begonie
20.12.2019 14:16 •
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