Ich war 24 Jahre alt als mich meine Mutter auf der Arbeit anrief und mir mitteilte, dass mein Vater gestorben sei. Auf der Arbeit erlitt er einen Herzinfarkt und erlag den Folgen. Ich hatte ein sehr gutes Verhältnis zu ihm und er war mit einem Mal nicht mehr da. Unsere wöchentlichen Besuche in einer Kneipe, in der wir Billard spielten und B. sowie Asbach-Cola tranken, sollte es nie mehr wieder geben. Keine Gespräche mehr, keine Ratschläge, kein Auf-die-Schuler-klopfen, nichts mehr... Im Gegensatz zu meiner Mutter, weiß ich heute nicht einmal mehr, was ich zuletzt zu ihm sagte - oder er zu mir. Dafür erinnere ich mich noch sehr gut an die Beerdigung. Es ist nicht unbedingt üblich aber ich wollte ihn auf seinem letzten Weg begleiten. Also war ich einer der Leute, die den Sarg trugen und ihn später an einem Seil in das Grab hinabließen. Nichts im Leben fiel mir schwerer und der Schmerz sitzt tief und wird niemals ganz schwinden, obgleich die Zeit die Wunde tatsächlich erträglicher gemacht hat...
Meinem mongoloiden Onkel, den ich auch sehr ins Herz geschlossen hatte, versprach ich, eine Partie Schach zu beenden sobald er aus dem Krankenhaus entlassen und wieder zu Hause wäre. Er starb in der Klinik...
Zu meiner Oma hatte ich ein sehr enges Verhältnis. Schon als Kind nahm sie mich in Schutz wenn ich etwas ausgefressen hatte und meine Eltern schimpften. Als mein Onkel - ihr Sohn - starb, erlitt sie kurze Zeit später einen Schlaganfall und behielt leider einige Schäden zurück. Ich machte ihr dann öfter mal etwas zu essen und blieb bei ihr wenn alle anderen außer Haus waren. Ich tat es sehr gerne und sie freute sich so sehr über jede kleine Gefälligkeit. Ein Herz von einem Menschen. Sie überlebte meinen Vater um ein paar Jahre...
Mein Opa war der erste aus der Familie, der starb. Er brachte mir das Schachspielen bei und ich besorgte ihm oft Zig. und bekam dafür ein Paar Groschen. Er war immer sehr lieb zu mir und meiner Schwester gewesen. Er kam eines Tages in die Klinik und erlag dort den Folgen eines Herzifarktes und Schlaganfalles.
Ich weiß sehr genau, was Schmerz bedeutet. Ich kenne viele Varianten davon. Nicht nur die Verluste der eigenen Familienmitglieder. Es gibt noch einiges mehr.
Aber der Schmerz, den ich jetzt empfinde, ist mit nichts vergleichbar. Es sollte doch langsam etwas besser werden aber sie fehlt mir so sehr. So unglaublich, wahnsinnig sehr. Ich vermisse ihre ewig kalten Füßchen, die so oft in diesen dicken, flauschigen Socken steckten. Abends im Bett schob sie ihre kalten Füße immer zu mir damit ich sie wärmen soll.
Wenn sie manchmal so vertieft in eine Zeitung oder ihr Handy war, zog sie eine furchtbar süße Schnute, die ich am liebsten jetzt sofort küssen möchte. Wir haben uns so oft geküsst und doch nicht annähernd oft genug.
Ich vermisse ihre Haare, die mich abends immer kitzelten. Und den Duft ihrer Haare. Sehne mich auch nach dem einmaligen Duft ihrer Haut, die so weich und zart ist. Ich weiß wo sich jedes Muttermal und jede Narbe befindet. Ihre kleinen Macken, die mich nie wirklich gestört haben, sehne ich mir nun herbei. Ihre Stimme fehlt mir und ihr wunderbares Lächeln. Welchen Wunsch konnte ich ihr abschlagen wenn sie ihr unschuldiges Kätzchengesicht aufsetzte, mich mit ihren großen Augen ansah und eine Miene aufsetzte, die ich einfach nur als unbeschreiblich süß bezeichnen kann? Ewig lange in der Küche zu stehen, zu kochen, zu spülen und abzutrocknen war plötzlich überhaupt nicht mehr schlimm wenn sie ab und an zu mir kam, ihre Arme um mich legte, mir einen zärtlichen Kuss auf den Hals oder die Wange drückte und mir ein ich liebe dich ins Ohr flüsterte.
Ich könnte die Liste der Dinge, die ich so sehr an ihr schätze / liebe wohl noch sehr, sehr lange fortsetzen...
Der verdammte Schmerz, die Erkenntnis, das alles wohl nie mehr wieder erfahren zu dürfen, ist geradezu lähmend.
Kennt ihr das? Ihr könnt euch zu nichts mehr aufraffen. Der vor euch liegende Tag scheint endlos zu sein, ohne Ziel. Das gesamte Leben scheint seines Zieles beraubt zu sein, kommt einem nur noch sinnlos vor.
Fühlt ihr euch auch wie ein Tier? Ein ehemals wildes Tier, das gefangen und eingepfercht wurde und sich nun seinem Schicksal ergeben hat und nur noch stumpfsinnig die Wände seiner Zelle abläuft? Resignation pur. Kein bzw. kaum noch essen. Dafür suchst du nach Betäubung, doch die Dosis, die nötig ist um den Zustand der Betäubung zu erreichen, wird von Mal zu Mal höher.
Bittet ihr auch insgeheim darum, abends ins Bett zu gehen, einzuschlafen und einfach nicht mehr aufzuwachen? Das wäre doch mal eine Gnade, oder? Im Himmel vereint zu sein mit den Menschen, die du liebst und gleichzeitig dem sinnlos gewordenen, trüben Dasein auf der Erde entfliehen zu können...
Wie ein Mensch es doch vermag, das Leben eines anderen Menschen gänzlich zu beeinflussen bzw. zu zerstören. Ob er das nun absichtlich tut oder nicht. Wäre es nicht besser, niemals jemandem sein Herz zu öffnen? Sind skrupellose Menschen, die einzig und allein ihr ureigenes Wohl zum Ziel haben und sich nicht um die Gefühle anderer kümmern, nicht absolut im Vorteil? Nein, ich denke nicht. Wenn du dich einem Menschen öffnest und ihm deine Liebe und dein Vertrauen schenkst, dann bist du zwar sehr verletzlich und kannst letzten Endes zerstört werden aber du kannst auch das absolute Paradies erfahren.
Ich erfuhr mit meiner Freundin das Paradies. Und jetzt füllt mich ein Schmerz und eine Leere aus, die alles bislang Erlebte in den Schatten stellt.
Wie seid ihr darüber hinweg gekommen? Ihr habt doch Ähnliches erlebt. Bitte verkneift euch aber so abgedroschene Phrasen wie die Zeit heilt alle Wunden... das einzige, das meiner Meinung nach, tiefe Wunden heilen kann, ist ein Mensch an deiner Seite, der dich aufrichtig liebt. Dem du uneingeschränkt vertrauen und auf den du in jeder Lebenslage zählen kannst.
Vielleicht wird ja auch mal ein Wunsch gewährt... man schläft irgendwann ein... und wacht einfach nicht mehr auf........