@ begreifen2023
Ich beginne mal mit diesem Satz:
Zitat: So schob ich alle Bedenken weg und genoss dieses neue Glück. Ach was war ich selig, wir sahen uns sehr oft. Schnell ging es dazu über dass ich einmal in der Woche und jedes Wochenende mit ihm verbracht habe. Spannende Zeiten, neue Leute, viel Zärtlichkeit, Leichtigkeit, unfassbar viel Nähe.
Es gibt also eine Zeit, in der du auch im Nachhinein betrachtet mit ihm wirklich glücklich warst, in der du mit ihm „im Moment leben“ konntest. Und die erste Gute Nachricht: Diese Zeit kann dir niemand mehr nehmen. Es mag sein, dass du damals hofftest, es würde den Rest deines Lebens so bleiben. Aber darum geht es zunächst nicht. Er konnte dir etwas geben, das dir fehlte und womit du glücklich warst. Und das ist nun Teil deiner persönlichen Geschichte.
Glück lässt sich weder festhalten noch konservieren. Es ist DA. Und dann sieht und fühlt man es. Das durftest du und dafür kannst du dankbar sein. Dass diese Gefühle nach etwa einem halben Jahr sich völlig verändern, wenn die Hormone verbraucht sind, ist eine Binsenweisheit. Aber viele schaffen es, auch danach noch Glück zu empfinden, auch ohne Hormone. Nur ist es da nicht mehr so leicht.
Zitat:Nach einiger Zeit kamen natürlich Vorfälle, die ich anfangs auch ansprach. Sein Trinkverhalten zb. , sein grosses Ego, sein Umgang mit anderen Menschen, seine wirklich anstrengenden Krankheiten. Seine bisherigen Beziehungen.
Hier also die erste Ernüchterung, egal ob man das red flags nennt oder wie auch immer. Es ist die Realität und es sind die anderen Anteile am Partner. Die sind nicht so liebenswert und hier beginnt man abzuwägen, ob daraus eine Liebe werden kann oder soll. Jeder der beiden zeigt in dieser Phase mehr und mehr diese Anteile und wenn der andere darauf nicht abweisend reagiert, steht fest: „Ich darf so sein. Ich bin so. Man muss mich so nehmen. Wer das nicht will, muss gehen!“ Man schlägt also feste Eckpfosten ein, zwischen denen die Beziehung sich in Zukunft bewegen wird. Du hast entschieden, dass du mit seinem Trinkverhalten und seinem Umgang mit Menschen leben kannst. Sonst wärest du gegangen.
Zitat:Er hat mich Glück fühlen lassen, sich gekümmert, bekocht, gereist, mir einfach Sicherheit gegeben. So hab ich mich drauf eingelassen. Jeder beglückwünschte mich .
Auch hier wieder: ER konnte dich Glück spüren lassen und das ist nicht weg. Es bleibt dort in der Erinnerung, es gab diese guten Tage, auch wenn es später ganz anders wurde. Daran, dass es anders wurde, hast du ja zunächst mal mitgewirkt.
Zitat:Wenn ich kritisierte, weil er zb ständig Frauen vor mir anflirtete, ich daneben stand wie vom Donner gerührt. Dann gab es grosse Streits, Drama, ich bin ja die krankhaft eifersüchtige, soll mir Hilfe holen. Da wäre nichts dabei, er würde das auch nicht bleiben lassen. Ein paarmal hab ich es dann geschafft, bin mitten in der Nacht weggefahren, voller Verzweiflung, Angst. und fühlte mich schuldig. Am nächsten Tag wieder Gespräche, ich wollte ihn natürlich nicht verlieren.
Okay, hier ist ein wichtiger Punkt erreicht. Du wolltest mehr von ihm als er geben wollte. Du wolltest nicht, dass er andere Frauen begehrt und dass ihn mit diesen Frauen etwas verbindet, was du ausschließlich und allein haben wolltest. Du wolltest ihn nicht teilen, auch nicht seine Aufmerksamkeit und Zuwendung. Die sollte dir gehören, denn du wolltest „ihn nicht verlieren“. Man kann nur verlieren, was einem gehört. Er gehörte dir aber nicht, sondern nur sich selber. Das führte zum Streit, denn er stellte klar, dass er darauf nicht verzichten will. Hier also der nächste Eckpfosten, der eingeschlagen wird: „Mich gibt es nur mit der Lizenz zum Flirten!“ Und weil du am nächsten Tag festgestellt hast, dass du ihn nicht verlieren willst, hast du ihm diese Lizenz erteilt. So hat er es zumindest interpretiert. So entstehen nun mal Rahmenbedingungen für Beziehungen. Und man hat jederzeit die Möglichkeit, seine Grenzen zu zeigen und zu gehen, wenn der andere sich nicht ändern will. Tut man das nicht, erteilt man „Lizenzen“.
Zitat:Und mit der Zeit? ja, da passt man sich an, denkt vermeintlich es tut zwar weh, aber im Grunde will er ja nur mich.
Genau. Es wird mehr und mehr zur Normalität, wenn es nicht dauerhaft angesprochen, verändert oder beendet wird.
Zitat:Wenn er zb. kochte, ich geholfen habe, dann konnte ich es ihm nie recht machen. Sein grösstes war für mich und Freunde zu kochen und sich loben zu lassen. Jeden Tag ein Statusbild seines Essens für seine Follower. Leute die ihn kritisiert haben wurden aussortiert.
Sein gewaltiges Ego steht also auf tönernen Füßen. Bleibt die Anerkennung aus, muss er neue erwerben. Er fordert sie ein und sucht sich Menschen, die sie ihm gern geben. Das ist bei Freunden leicht, beim Partner schwierig, denn der ist ja dauerhaft gefordert und nicht nur stundenweise.
Zitat:Ich wusste irgendwann das ich mit reden nicht weiterkam, ich kam nicht gegen ihn an. Also hab ich geschluckt, wurde immer nervöser, verkrampfter. Und meine Gedanken nur noch bei ihm und seinem Verhalten.
Ab diesem Punkt war die Ebenbürtigkeit zwischen euch verschwunden. Du ordnetest dich unter, er begann abzuwerten und dabei herauszufinden, wie weit er gehen konnte. Da er mit Korrekturen, Anweisungen und Kritik bei dir immer wieder „das innere Kind“ lebendig machen konnte, war ab da von Ebenbürtigkeit keine Spur mehr vorhanden. Er war sich deiner sicher, das hinderte ihn aber nicht daran, die Abwertungen und Respektlosigkeiten auszuweiten. Denn es reicht nicht, was er hatte, er wollte mehr. Mehr Einfluss, mehr Oberhand, mehr Macht über dich.
Zitat:Ich muss sagen, ich hatte letztes Jahr (auch von ihm initiiert) eine Knie Op, leider hab ich schon lange Probleme beim Laufen. bzw. kann mit ihm nicht Schritt halten. Aber auch daran arbeitete ich. Trotzdem war ich ihm immer zu langsam, das brachte ihn dann wieder zum ausflippen.
Hier wird es fatal. Denn er konnte sich sicher sein, dass du nach der OP seine Ansprüche an das Lauftempo nicht mehr erfüllen würdest. Wäre nur eine Spur von Liebe, Respekt oder Zuneigung bei ihm vorhanden, dann hätte er darauf Rücksicht genommen. So aber war er auf der sicheren Seite. Er musste nur immer wieder dein Lauftempo kritisieren, dann kamen seine Demütigungen totsicher bei dir an. Und er braucht das, dich zu demütigen. Das macht ihn größer, stärker und wichtiger.
Zitat:Jeden Tag fiese Bemerkungen, (…) Immer wieder Abwertung, nicht mehr viel Nähe, Gleichgültigkeit. Ich hab gemerkt, da verändert sich etwas. war bemüht , wurde immer unsicherer, letze verzweifelte Versuche, es sollte doch auch mal mich verstehen auf mich eingehen, nicht immer so mit mir sprechen.
Auch hier war wieder eine Grenze erreicht, bei der die meisten Frauen einfach gegangen wären. Du hast das nicht getan, weil er dir immer noch mehr geben konnte als er genommen hat. Das Fass war noch nicht voll. Sonst wärest du nicht geblieben. Es ist sinnvoll für dich, darüber nachzudenken, warum du das mit dir hast machen lassen. Damit es nicht wieder passieren kann. Dass du es da so weit hast kommen lassen, musst du dir noch vergeben. Das geht.
Zitat:ich bin ihm zu langsam die Treppe hintergelaufen, da bekam ich einen (aus Spass) Tritt in den Hintern. Im Urlaub als ich dachte ich hätte meinen Ausweis verloren, ein genervter Schlag auf dem Arm, an den er sich aber nicht erinnern kann. und dann auf Heimreise bei einem Stop, hab ich beim Kaffee holen einen falschen knopf gedrückt, da hat er mich mit den Worten : Schätzelein du bringst mich aber auch immer zur Weissglut, am Ohr zu sich gezogen .
Die psychischen Demütigungen reichten ihm nicht mehr, um sein Überlegensheitsgefühl zu puschen. Er musste die nächste Grenze überschreiten und hat das auch getan. Die ersten physischen Demütigungen sind als Strafen zu verstehen: Ein Tritt – ein Schlag – ein Ohrenziehen. All das ist geschehen um die Grenzen weiter zu verschieben, dein Ego sollte sich in Nichts auflösen. Und er wird festgestellt haben, dass ihn das trotzdem nicht glücklich macht.
Zitat:Ich konnte wieder mal nichts recht machen. Gar nichts. Bin dann nachhause, am nächsten Tag dann von ihm eine Nachricht, dass er Zeit zum nachdenken braucht, er über sich selbst ja erschrocken ist, wie aggressiv ihn meine Äusserungen machen und dass es ihn zerstört.
Schau genau hin, er sagte: DEINE Äußerungen machen IHN aggressiv. Er war also gar nicht aggressiv, sondern wurde es durch dich und deine Äußerungen. DU bist also die Ursache für seine Aggressivität. Er war also gar nicht für sein unglaubliches Verhalten verantwortlich, er wollte das an dich delegieren. Da muss über die nächste Strafe nachgedacht werden, den Liebesentzug. Er sagt dir, dass er darüber nachdenkt, die Beziehung in Frage zu stellen. Grund ist, dass du dich noch weiter zurück nehmen sollst. Und das ist dann ENDLICH für dich der Punkt, an dem du gehst. Gott sei Dank!
Zitat:bin zum Arzt und bin jetzt krankgeschrieben, pflanzliche Tropfen und ein Beruhigungsmittel für die nacht. Und eine Liste mit Psychologen , denn ich habe verstanden, dass ich mir Hilfe holen muss. Nur wie?
Ich kann mir gut vorstellen, dass du auch ohne Psychologen es da noch heraus schaffen kannst. aber schau, ob du jemanden findest. Hauptsache du lernst wieder, dich selber als den wichtigsten Menschen in deinem Leben zu sehen, ihn da zu lassen, wo er ist und diesem Mann all seine Wichtigkeit zu nehmen. Er spielt ab jetzt keine Rolle mehr in deinem Leben. Du kannst ihm das alles wieder wegnehmen, was du ihm gegeben hast. Er wird es sich anderswo holen.
Zitat:Seine einzige Sorge war, wie er jetzt da steht, nicht dass einer denkt, er hätte mich zum Psychiater getrieben. (…) Deswegen Trennung, aber bitte doch einvernehmlich. Das kann er doch jetzt so seinen Leuten sagen, dass wir uns im Guten getrennt haben. Das war ihm das wichtigste an dem Gespräch.
Klar. Und willst du ihm das gönnen? Es fehlt dir nichts, wenn er es so darstellen darf. Denn andernfalls wärest du ja auch noch gezwungen, die Demütigungen öffentlich zu machen. Das würde ich mir nicht antun.
Zitat:Und nun? War es das denn wirklich? Ich steh noch unter Schock, sollte froh sein, hab aber alles noch nicht begriffen. Wie soll ich denn die nächste Zeit überstehen? Ich kenn mich, ich werde leiden wie verrückt, meine Verlustangst greift so sehr.
Ja, du solltest froh sein, das braucht aber noch etwas Zeit. Zunächst wurde dir ja ein Lebensinhalt genommen, weil es zu deinem Leben aktuell dazu gehörte, seinen Willen zu erfüllen, damit er nicht zornig sein musste. Du musst auch lernen, dir das selber zu vergeben, denn du hast etwas zugelassen, das dir nicht gut tut. Aber der Grund war verständlich, denn du hattest ja etwas dafür zurück bekommen. Und nun war da nichts mehr, was er dir wirklich geben konnte oder wollte. Die Demütigungen blieben aber. Darum hast du gesund gehandelt. Und du kannst dir jetzt verzeihen, was du getan hattest.
Verlustangst sitzt tief. Menschen tun verrückte Dinge, um sie nicht haben zu müssen. Sie wollen Bindung um jeden Preis und dann nehmen sie sogar in Kauf, für SCHULDIG erklärt zu werden. Denn durch Schuld kann man famos jemanden an sich binden. Du wirst aber feststellen, dass dir wenig fehlt, wenn er nicht mehr da ist. Du wirst feststellen, dass du freier bist und dass du wieder selbstbetsimmt handeln kannst. Und das sind schöne Erfahrungen. Darauf kannst du dich freuen.
Aber erst mal tief durchatmen: Du hast es GESCHAFFT, dich zu schützen.