Hallo Jeanne!
Ja, diese Kindheitserfahrungen können eine solche Prägung verursacht haben, zumal es ja etwas war, was sich immer wiederholt hat. Dann ist es um so wahrscheinlicher, daß es zu einem Muster wird.
Du hast den Vater sozusagen immer wieder verloren - ein kleines Kind hat natürlich noch nicht die intellektuellen Fähigkeiten zu verstehen, warum das so ist, sondern es erlebt quasi völlig ungeschützt allein den emotionalen Verlust. Offenbar hast Du darauf sogar sehr heftig reagiert, indem Du jedesmals sogar krank geworden bist.
Das heißt, man kann annehmen, daß das nicht spurlos an Dir vorübergegangen ist und Deine Erfahrungen im Erwachsenenleben diese damalige Situation wiederholen, vor allem das emotionale Szenario, die emotionale Tragödie.
Wie Du schreibst, hattest Du zwei Affären mit verheirateten Männern und warst Dir bewußt, daß das zeitlich begrenzt ist. Es war auch so, daß Du diese Männer ja nicht ganz für Dich haben konntest (und vielleicht auch gar nicht wolltest). Es war, vermutlich, wie damals mit dem Vater - intensive Nähe, dann wieder Trennung, Distanz, dann wieder Nähe.
Und damit, nehme ich an, konntest Du auch halbwegs gut leben. Es war, emotional gesehen, das, was Du kanntest. Mit dem Unterschied, daß Du nun über die Dinge Bescheid wußtest, also die jeweiligen Trennungsmomente nicht mehr wie einen völligen Verlust erlebt hast, sondern sie rational verstehen konntest.
(Oder es kann natürlich auch sein, daß Du Dich bei den Affären emotional gar nicht so darauf eingelassen hast.)
Wenn Du Dich dann aber so wirklich auf eine Beziehung einläßt, dann kann Dir das eben ziemliche Probleme verursachen, weil dieses Muster des Verlustes ja auch dann gleichsam aktiv wird - und je stärker das Nähegefühl, um so stärker die Verlustangst.
Du schreibst auch, daß es für Dich nur 100% gibt, und 80% kannst Du Dir gar nicht vorstellen (das geht natürlich auch gar nicht, weil man sich Gefühle auch nicht vorstellen kann). Und ich glaube, das rührt auch daher, daß es für Dich (bzw. für beide) immer 100% waren, wenn Dein Vater da war. Wenn Du also eine Beziehung eingehst, dann gibt es für Dich nur diese 100% (emotional gesehen), wie damals.
Das kann aber natürlich in einer realen Beziehung ziemliche Probleme verursachen, weil eben dann auch heftige Verlustängste auftreten können und Du vermutlich dazu neigen wirst, sehr zu klammern und zu kontrollieren, eben um einem Verlust vorzubeugen.
Wie auch immer: Ich denke auch, daß es sehr gut wäre, wenn Du dieses Thema aufarbeiten würdest. Denn so schön 100% sind - wenn sie zugleich mit so großen Verlustängsten verbunden sind, entwickelt man ein Verhalten, das den Verlust geradezu provoziert. Man will gleichsam mit aller Gewalt das verhindern, was man in der Kindheit erlebt hat und nicht verhindern konnte, und beschwört gerade dadurch diese schlimme Erfahrung des Verlustes wieder herauf.
Vielleicht würde es Dir zumindest schon einmal ein wenig helfen, wenn Du die damalige Situation mit dem Vater bewußt realisierst. Also Dir (immer wieder einmal) vor Augen führst, daß er Dich ja nicht tatsächlich verlassen hat, sondern daß dies in den beruflichen Umständen begründet war.
Es dauert zwar eine Weile, bis das Unbewußte darauf reagiert, bis es versteht, aber ich würde das auf alle Fälle versuchen, da man wirklich davon ausgehen kann, daß Deine starken Verlustängste damit zu tun haben.
Versuche Dir das alles aber möglichst bildlich vorzustellen, also gleichsam zu erleben, wie Dein Vater wiedergekommen ist, und das auch zu fühlen. Denn wenn Du Dir alleine gedanklich sagst: Er ist ja wiedergekommen, dann hat das auf das Unbewußte und emotionalen Muster so gut wie keine Wirkung, da das Unbewußte nur in Bildern denken kann und nur darauf reagiert.
Das Zweite ist: Du solltest versuchen zu fühlen, also so richtig, nicht es nur denken, daß Du diese Trennung jetzt überlebt hast, daß Du nicht untergehst. Denn solche ganz realen Erfahrungen bewirken ebenso eine Veränderung unbewußter Muster, wenn man bewußt damit umgeht.
Es wäre jedenfalls wirklich wichtig, daß Du die Realität der Situation siehst und vor allem auch fühlst, nämlich daß es zu einer Trennung gekommen ist, Du sie aber - trotz aller Schmerzen - überlebt hast.
Denn bei solchen Verlusterfahrungen in der Kindheit wird der Verlust ja nicht einfach als Verlust empfunden, sondern als ginge es um Leben und Tod. Das heißt, diese Angst war eine existenzielle (weil man als Kind ja tatsächlich auf Leben und Tod von anderen abhängig ist).
Und je bewußter es Du es Dir machst, daß Du den Verlust überlebt hast, um so verändernder wirkt es sich aus. Was wiederum für Deine Zukunft wichtig sein wird, um eben nicht wieder in eine solche Situation zu geraten.
Ja, über meine Trennung bin ich mittlerweile ganz hinweg. Was mir sehr geholfen hat war die Einsicht, daß sie eine Persönlichkeit hat, die eine langfristige glückliche Beziehung unmöglich macht. Eine solche emotional instabile Persönlichkeit neigt zu extremen Reaktionen, das ist leider so. Und wenn sich jemand wegen solcher Dinge radikal trennt und einem dann auch noch einen Haufen absurdester Vorwürfe und Eigenwahrheiten hinterherwirft, dann ist ein Zusammenleben einfach nicht möglich. (Wobei ich sagen muß: es hat lange gedauert, bis ich das so rational sehen konnte - denn wenn man jemanden über alles liebt, dann dauert es und braucht viel Abstand, bis man die Dinge unverfälscht erkennen kann ...)
Ich hoffe auch, daß Du das morgen mit der Arbeit hinbekommst! Aber wenn es Dir gelingt, Dich darauf zu konzentrieren und die Gedanken nicht zu sehr abschweifen zu lassen, so wird es Dir sogar helfen, in der Arbeit zu sein. Denn auch das ist Ablenkung, und ich glaube, jede Art von Ablenkung ist zur Zeit gut für Dich. Weil sich dann die Seele doch etwas erholen kann.
Liebe Grüße