Von den südlichen Ausläufern der Pyrenäen her trabte ein Reiter auf die altberühmte Stadt Manresa zu. Er ritt ein ungewöhnlich starkes Maulthier, und dies hatte seinen guten Grund, denn er selbst war von hoher, mächtiger Gestalt, und wer nur einen einzigen Blick auf ihn warf, der sah sofort, daß dieser riesige Reitersmann eine ganz ungewöhnliche Körperkraft besitzen müßte. Und wie man die Erfahrung macht, daß gerade solche Kraftgestalten das frömmste und friedfertigste Gemüth besitzen, so lag auch auf dem offenen und vertrauenerweckenden Gesichte, und in den treuen, grauen Augen dieses Mannes ein Ausdruck, der keinen Glauben an den Mißbrauch so außerordentlicher Körperstärke aufkommen ließ.
Sein blondes Haar und seine Züge ließen vermuthen, daß er kein Südländer sei; doch war sein Gesicht von der Sonne tief gebräunt und sein Auge hatte jenen scharfen, umfassenden und durchdringenden Blick, welchen man nur an Seeleuten, Präriejägern, oder sehr weit gereisten Männern zu beobachten pflegt.
Er mochte vielleicht sechsundzwanzig Jahre zählen, doch ging von ihm jene Ruhe, jener Hauch der Erfahrung und Gewißheit aus, welcher den Menschen älter erscheinen läßt, als er ist. Seine nach französischem Schnitte gefertigte Kleidung war aus feinen Stoffen, aber bequem gearbeitet, und hinter dem Sattel war ein Reitfelleisen befestigt, welches Dinge zu enthalten schien, die dem Reiter werthvoll waren, denn wie unwillkürlich fühlte er zuweilen daran, um sich zu überzeugen, daß es noch vorhanden sei.
Als er Manresa erreichte, war es bereits am späten Nachmittage. Er ritt durch die alten Mauern und engen Straßen, bis er die Plaza (Marktplatz) erreichte, wo er ein gebautes, hohes Haus bemerkte, über dessen Thür in goldenen Lettern zu lesen war »Hotel Rodriganda«. Der Schärfe seines Rittes nach war zu vermuthen, daß er gar nicht beabsichtigt hatte, in Manresa Einkehr zu nehmen, sobald er aber dieses Schild bemerkte, lenkte er sein Thier in einem kurzen, raschen Trabe nach dem Thore des Hotels, und stieg ab.
Jetzt erst, als sein Fuß die Erde berührte, konnte man seine imposante Erscheinung voll bewundern. Wenn im ersten Augenblicke das Herkulische seiner Figur auffällig erscheinen mußte, so war es doch sogleich die schöne Harmonie seines Gliederbaues, welche jenen Eindruck milderte und neben der Bewunderung und Achtung eine freundliche Zuneigung erwecken mußte.
Einige dienstbare Geister eilten herbei, um sich seiner und seines Thieres zu bemächtigen. Er überließ ihnen dieses, er selbst aber trat in den Raum, welcher für vornehmere Gäste reservirt zu sein schien. Dort befand sich nur ein einziger Mann, welcher sich bei seinem Eintritt höflich erhob.
»Buenas tardes - guten Abend!« grüßte der Fremde.
»Buenas tardes!« antwortete der Mann. »Ich bin der Wirth. Befehlen Eure Gnaden vielleicht eine Wohnung?«
»Nein, gebt einen Imbiß und eine Flasche Vino regio.«
Der Wirth ertheilte die betreffenden Befehle und fragte dann:
»So wollen Sie heute nicht in Manresa bleiben?«
»Ich reite noch bis Rodriganda. Wie weit ist es bis dahin?«
»Sie werden es in einer Stunde erreichen, Sennor. Es sah aus, als ob Sie erst die Absicht hätten, an meinem Hotel vorüberzureiten.«
»Allerdings,« antwortete der Fremde. »Ihre Firma hielt mich zurück. Warum nennen Sie Ihr Haus Hotel Rodriganda?«
»Weil ich längere Jahre Diener des Grafen war, und es seiner Güte verdanke, daß ich mir das Haus bauen konnte.«
»So kennen Sie die Verhältnisse des Grafen genau?«
»Sehr genau.«
»Ich bin Arzt und stehe im Begriffe, mich ihm vorzustellen. Es wäre mir lieb, mich orientieren zu können. Welches sind die Personen, die man auf Schloß Rodriganda trifft?«
Der Wirth schien, entgegengesetzt der spanischen Weise, ein menschenfreundlicher Mann zu sein, vielleicht war es ihm auch lieb, in der einsamen Nachmittagsstunde eine Unterhaltung zu finden. Er antwortete redselig:
»Ich bin gern bereit, Ihnen jede Auskunft zu ertheilen, Sennor. Ich höre an Ihrer Aussprache des Spanischen, daß Sie ein Ausländer sind. Jedenfalls sind Sie von dem kranken Grafen herbei gerufen worden?«
Der Fremde wiegte den Kopf leise hin und her, als sei er zweifelhaft, welche Antwort er geben solle, dann meinte er:
»Es ist so ähnlich, wie Sie es errathen. Ich bin ein Deutscher und heiße Sternau, war jedoch längere Zeit erster Assistenzarzt bei dem Professor Letourbier in Paris, und dort erhielt ich vor kurzem die Bitte, schleunigst nach Rodriganda zu kommen.«
»Ah so! Vielleicht finden Sie den Grafen gar nicht mehr am Leben.«
»Warum?«
»Er ist seit längeren Jahren blind, unheilbar blind, wie die Aerzte sagen, und seit letzter Zeit hat sich ein arges Steinleiden bei ihm entwickelt, welches neben seiner außerordentlichen Schmerzhaftigkeit schließlich lebensgefährlich wurde. Nur die Operation kann ihm helfen. Er war bereit sie vornehmen zu lassen, und
ließ zu diesem Zwecke zwei der berühmtesten Chirurgen kommen, fand aber ganz unerwarteten Widerstand bei seiner einzigen Tochter, Contezza Rosa. Die Aerzte konnten jedoch nicht warten, und gestern hörte ich, daß heute der Schnitt vorgenommen werden solle.«
»O wehe, so komme ich zu spät!« rief der Fremde, indem er emporsprang. »Ich muß schleunigst fort. Vielleicht ist noch Zeit!«
»Schwerlich, Sennor. Einen solchen Schnitt unternimmt kein Arzt in der Stunde der Dämmerung. Wurde er heute unternommen, so ist er bereits vorüber. Uebrigens ist es möglich, daß man noch gewartet hat, da die gnädige Contezza die Operation von Tag zu Tag verschieben ließ, obgleich die Aerzte und auch der Graf selbst, ebenso wie sein Sohn, keinen Aufschub gelten lassen wollten.«
»Der Graf Emanuel de Rodriganda-Sevilla hat einen Sohn?«
»Ja, einen einzigen; der ist Graf Alfonzo, welcher eine lange Reihe von Jahren in Mexiko gewesen ist, wo der Graf höchst ausgedehnte und reiche Besitzungen hat. Er wurde jetzt nach Hause gerufen, um bei der Operation, welche ja den Tod zur Folge haben kann, gegenwärtig zu sein. Graf Emanuel hat natürlich vorher sein Testament gemacht.«
»Welche Personen sind außer dem Grafen und seinen beiden Kindern auf Schloß Rodriganda zu erwähnen?«
»Da ist zunächst Sennora Clarissa, eine sehr entfernte Verwandte des Hauses. Sie ist Oberin des Stiftes der Karmeliterinnen zu Saragossa und zugleich die Duenna der jungen Gräfin, da dieselbe keine Mutter mehr besitzt. Schwester Clarissa ist sehr fromm, wird aber von Contezza Rosa nicht geliebt. Ferner ist da Sennor Gasparino Cortejo, eigentlich Advokat und Notar hier in Manresa, der aber sehr viel auf Schloß Rodriganda verkehrt, weil er der Geschäftsführer des Grafen ist. Auch er ist sehr fromm und dabei außerordentlich stolz. Ich könnte auch noch erwähnen den guten Kastellan Juan Alimpo und seine Frau Elvira, sehr treue und brave Leute, die ich Ihnen empfehlen kann. Andere sind nicht zu nennen, da der Graf sehr einsam lebt.«
»Kennen Sie nicht den Namen Mindrello?«
»O, den kennt ein jedes Kind. Mindrello ist ein armer, ehrlicher Teufel, den man in Verdacht hat, daß er zuweilen ein wenig Schmuggel treibt; darum nennt man ihn gewöhnlich Mindrello, den Contrebandier. Aber Sie können ihm alles Vertrauen schenken. Er ist besser als mancher Andere, der ihn verachtet.«
»Ich danke, Sennor! Nach dem, was ich vernommen habe, darf ich mich nicht länger hier verweilen. Buenas noches - gute Nacht!«
»Buenas noches, Sennor! Ich wünsche, daß Sie nicht zu spät ankommen.«
Doktor Sternau bezahlte das Genossene, ließ sich sein Maulthier vorführen, schwang sich hinauf und ritt im Galopp davon.
Der Tag neigte sich bereits zu Ende, so daß Rodriganda vor Einbruch der Dunkelheit schwerlich zu erreichen war. Während das Maulthier leicht und flüchtig auf der Straße dahinjagte, griff der Reiter in die Tasche und zog ein zusammengefaltetes Papier hervor. Der abgegriffene Zustand desselben ließ vermuthen, daß Sternau die darauf enthaltenen Zeilen bereits sehr oft gelesen habe, dennoch faltete
er es jetzt während des Reitens wieder auseinander und las zum hundertstenmale die von einer schönen, festen Frauenhand hingeschriebenen Worte:
Zitat:»Herrn Doktor Karl Sternau, Paris, Rue Vaugirard 24.
Mein Freund!
Wir nahmen voneinander Abschied für das ganze Leben, aber es sind Umstände eingetreten, welche mich zitternd wünschen lassen, Sie hier zu sehen. Sie sollen dem Grafen Rodriganda das Leben retten. Kommen Sie schnell, schnell, und bringen Sie Ihre Instrumente mit. Kehren Sie bei Mindrello, dem Contrebandier, ein und fragen Sie nach mir. Aber ich flehe Sie an, schnell, sehr schnell zu kommen!
Rosetta.«
Nachdem er das Schreiben gelesen hatte, faltete er es zusammen und barg es wieder in die Tasche. Er ritt jetzt durch einen dichten Eichenwald, aber er sah nicht die Eichen und nicht den Weg, den sie besäumten. Er dachte zurück an Paris und an die Stunde, in welcher er die Schreiberin dieses Briefes zum erstenmale gesehen hatte.
Das war im Jardin des Plantes gewesen. Er trat um ein Bosquet, um sich auf die daselbst stehende Bank niederzulassen, und fand dieselbe bereits besetzt. Er wich erstaunt und verwirrt zurück, verwirrt von dem Liebreize der jungen Dame, welche er in ihrer Einsamkeit gestört hatte. Auch sie erhob sich, und nun sah er sich einer Schönheit gegenüber, wie er sie in dieser Vollendung bisher gar nicht für möglich gehalten hatte. Er, der erfahrene Mann, der Arzt, fühlte, daß seine Pulse stehen blieben, um ihm dann mit zehnfacher Geschwindigkeit das Blut aus dem Herzen nach den Schläfen und in die Wangen zu treiben. Jene Stunde entschied über ihn und auch - über sie. Sie liebten einander unaussprechlich, aber auch ebenso unglücklich. Er durfte sie nur in jenem Garten treffen und sehen. Sie war, wie sie ihm mittheilte, Gesellschafterin der Contezza Rosa de Rodriganda, welche mit ihrem blinden Vater in Paris verweilte, und hatte aus Ursachen, welche sie ihm nicht mittheilen konnte, das Gelübde gethan, unverheirathet zu bleiben. Er fühlte sich hochbeglückt vor Wonne über ihre Gegenliebe, doch fast wahnsinnig vor Schmerz über ihren unerschütterlichen Entschluß, den er nicht zu fassen und zu begreifen vermochte. Er bat und flehte, er beschwor sie; sie weinte und blieb dennoch fest. Dann reiste sie ab und er mußte ihr versprechen, sich niemals nach ihr zu erkundigen. Sie wollten für dieses Leben scheiden, um sich in einer anderen Welt als Selige wiederzufinden. Nur ein einziges Mal hatte er sie an sein Herz ziehen und seinen Mund auf ihre Lippen pressen dürfen; aber diese Wonne wurde von dem Schmerze der Trennung überströmt, und seit jener Zeit hatte er wie ein Riese mit dem Leide gerungen, welches sein Herz durchwühlte und sein Leben umkrallte; allein er hatte es zu keinem Siege gebracht. Das herrliche Wesen, welches er besessen hatte, nur um es wieder zu verlieren, war der Gedanke seiner Tage und der Traum seiner Nächte, und wenn er auch hoffte, daß sein Herz einst noch zur Ruhe kommen werde, so wußte er doch, daß er diese späte Ruhe mit einem großen Theile seines Lebens bezahlt haben werde. Da plötzlich erhielt er diesen Brief. Er las ihn und fühlte all' seine Fibern beben. Ohne zu fragen und zu zagen, packte er sofort das Nöthige ein und folgte dem
Rufe der Theuren. Obgleich nur eine Gesellschafterin, war sie ihm doch entgegengetreten wie ein holdes, überirdisches Wesen, wie eine jener Feen, deren Auge zuweilen über das arme Leben des Sterblichen hineinleuchtet, wie ein Blick aus Himmelsräumen. Als nun diese Fee gebot, so mußte er gehorchen. Er flog durch das ganze Frankreich; er eilte in rasender Hast über die Pyrenäen, und nun, nun endlich näherte er sich dem Ziele, wo er sie wiedersehen sollte, die Herrliche, die Unvergleichliche, der er zu eigen war mit Seele, Leib und Leben. Der Galopp des Maulthieres war ihm noch zu langsam; er trieb es zu vermehrter Eile, und eben als die Sonne hinter den westlichen Höhen niedertauchte, ritt er in das Dorf Rodriganda ein.
Es hatte ein weit besseres und freundlicheres Aussehen, als es gewöhnlich mit spanischen Dörfern der Fall zu sein pflegt. Die Straße war breit und sauber gehalten, und die Häuser des Ortes lugten mit ihren funkelnden Fensterscheiben ordentlich verführerisch aus den wohlgepflegten Blumengärten hervor. Dies war ein Zeichen, daß der Graf Emanuel de Rodriganda-Sevilla nicht nur ein Herr, sondern vielmehr ein Vater seiner Unterthanen sei, der Alles that, um ihr Glück und Wohl zu fördern.
Er fragte einen ihm Begegnenden nach der Wohnung Mindrello's und wurde nach dem letzten Häuschen des Dorfes gewiesen. Er sprang vor demselben von dem Thiere und trat ein. Die Familie befand sich soeben bei einer frugalen Abendmahlzeit. Sie bestand aus Mann, Frau, Schwiegervater und vier Kindern, deren helle Augen dem Fremden furchtlos und neugierig entgegenglänzten.
»Wohnt hier Mindrello?« fragte Sternau.
»Ja, Sennor, ich bin es,« antwortete der Mann, indem er sich vom Stuhle erhob.
Er war eine kräftige, untersetzte Gestalt, die jeder Strapaze gewachsen zu sein schien, und sein offenes Gesicht konnte ihm als die beste und zuverlässigste Empfehlung dienen.
»Kennen Sie die Gesellschafterin der Contezza de Rodriganda?«
»Wie heißt sie?« forschte der Spanier mit gespannter Miene.
»Rosetta.«
»Heilige Madonna von Cordova, so sind Sie wohl Sennor Sternau aus Paris?«
»Der bin ich.«
Da erhoben sich sämmtliche Mitglieder der Familie und streckten ihm mit einem freudigen Willkommen die Hände entgegen, sogar die Kinder wagten sich herbei, um ihm mit lachenden Gesichtern die kleinen Händchen entgegenzustrecken.
»Willkommen, herzlich willkommen!« rief Mindrello. »Sie kommen grad' noch zur rechten Zeit. Die gnädige Contezza - die schöne Juno, ich wollte sagen, die gute Sennora Rosetta ist in großer Angst gewesen. Ich werde sogleich nach ihr senden.«
»Wurde der Graf heute operirt?«
»Nein, noch nicht; die Contezza hat so lange gebeten und gefleht, bis man es noch einmal verschoben hat; aber morgen wird es sicher geschehen. Die Contezza ist ganz überzeugt, daß Sie kommen werden, Sennor.«
»So weiß sie von dem Briefe, den mir die Gesellschafterin, Sennora Rosetta, gesendet hat?«
»Ja, hm, natürlich weiß sie es,« antwortete der Spanier mit einiger Verlegenheit. »Aber, Sennor, wir haben Ihnen für heut' ein kleines Zimmerchen fertig gemacht, da oben im Giebel, wo die Blumen vor dem Fenster stehen. Ich werde Sie herauf führen und Ihnen sogleich ein Abendbrot geben, bevor die Sennora kommt.«
»Und mein Maulthier?«
»Das wird beim Nachbar einen Platz und auch Futter finden, bis Sie mit ihm in das Schloß ziehen. Wollen Sie mir folgen, Sennor?«
Er führte Sternau eine kleine Treppe empor in ein niedliches Gemach, dessen Decke der Arzt mit dem Kopfe erreichte, in welchem aber die allerhöchste Sauberkeit herrschte, in Spanien eine sehr große Seltenheit. Bald wurde das Mahl gebracht und während dessselben konnte Sternau durch das Fenster die herrlichste Aussicht auf das Schloß genießen.
Noch aus der Zeit der Mauren stammend, bildete es ein gewaltiges, durch malerisches Kuppelwerk gekröntes Viereck, welches trotz der Massenhaftigkeit seiner hoch und lang gestreckten Fronten so leicht und lieblich gegliedert zum Himmel strebte, als sei es aus leuchtenden Minarets (Thürmchen), mit Rosenblättern verziert, gebildet. Von diesem weithin schimmernden Bau stachen die ihn umgebenden dunklen Korkeichenwaldungen außerordentlich effectvoll ab, und wer ihn jetzt betrachtete, als das verglimmende Abendroth seine zauberischen Tinten über ihn warf, der konnte sich in jene Gegenden des Morgenlandes versetzt fühlen, wo aus dem ewigen Pflanzengrün die Bauwerke der Khalifen so weiß, rein und unbefleckt emporragen, als ob sie von den Händen der Engel und Seligen errichtet worden seien.
Der Tag schied aus dem Thale; die Dämmerung verschwand, und der Abend warf seine Schatten über Schloß und Dorf. Sternau brannte das Licht an und durchsah die Instrumente, welche ihm Mindrello herauf gebracht hatte, ehe er das Maulthier zum Nachbar schaffte. Da hörte er die Stiege leise knarren und dann klopfte es.
»Herein!« antwortete er.
Die Thür wurde geöffnet und - da stand sie unter derselben, von dem Lichte hell bestrahlt, sie, nach der er sich gesehnt hatte mit jedem Gedanken seines Herzens. Er öffnete die Arme und wollte ihr entgegeneilen; aber es ging ihm wie damals in Paris: Sie, die einfache Gesellschafterin, stand vor ihm so stolz, so hoch und hehr wie eine Königin; sein Fuß stockte, er wagte es nicht einmal, ihre Hand zu erfassen.
»Rosetta - - -!«
Dieses eine Wort war Alles, was er zu sagen vermochte; aber es lag in seinem Tone eine ganze Welt voll Entzücken und - Herzeleid.
Sie stand vor ihm, ebenso ergriffen wie er. Sie sah ihn erbleichen; sie sah, daß er mit der Hand nach seinem Herzen fuhr; sie sah, daß sein Auge größer und dunkler wurde, wie unter einer aufsteigenden Thränenfluth, und nun zitterte auch ihre Stimme, als sie fragte:
»Sennor Carlos, Sie haben mich noch immer nicht vergessen?!«
»Vergessen?« erwiderte er. »Verlangen Sie von mir Alles, aber verlangen Sie nicht, daß ich Sie jemals vergessen soll! Sie sind mein Denken und Empfinden, mein Leben und Leiden, und Sie vergessen, das heißt nichts Anderes, als sterben.«
»Und dennoch muß es sein! Heut aber dürfen wir uns noch sehen, und so will ich Ihnen danken, daß Sie gekommen sind!«
»O, Sennora, ich glaube, ich wäre gekommen und wenn ich auf dem Sterbebette gelegen hätte,« antwortete er in tiefster Bewegung.
»Fast möchte ich Ihnen das glauben, denn auch ich habe erfahren, wie allmächtig die Liebe ist. Aber lassen Sie uns von dem sprechen, was mich veranlaßte, Sie nach hier zu rufen!«
»Ihre Zeilen waren unbestimmt. Sie ließen nur vermuthen, daß der Graf sich in einer Gefahr befindet. Ich habe dann in Manresa gehört, daß er eine Operation erleiden soll?«
»Allerdings, aber es giebt noch andere Gründe, welche mir Besorgniß einflößen, Gründe, welche ich nur gegen Sie erwähnen kann, da ich zu Ihnen ein so unendliches Vertrauen besitze. Ich weiß nicht, sondern ich ahne nur, daß der Graf sich auch noch in einer anderen Gefahr befindet, als diejenige ist, welche seine Krankheit befürchten läßt; aber nun ich Sie hier bei uns weiß, bin ich ruhig. Es ist mir, als sei mit Ihrem Erscheinen jede Gefahr gewichen.«
Bei diesem Bekenntnisse leuchtete sein Auge auf; er streckte ihr beide Hände entgegen und frug mit bebender Stimme:
»So groß ist Ihr Vertrauen, Rosetta? O, dann ist es ja sicher, daß Sie mich noch lieben!«
Sie legte die Hände in die seinigen und antwortete:
»Ja, ich liebe Sie, Carlos, ich liebe Sie noch so innig, wie ich Sie bei unserem Scheiden liebte, und ich werde Sie so innig weiter lieben, bis ich einst diese Erde verlasse. Ich bin Ihnen bisher ein Räthsel gewesen, aber morgen werden Sie im Stande sein, dieses Räthsel zu lösen, und dann werden Sie begreifen, daß die Trennung unser einziges Schicksal ist.«
»Warum erst morgen? Warum nicht jetzt?« hauchte er.
»Weil meinem Munde das Wort zu schwer wird, was Sie morgen von der Wirklichkeit erfahren werden. Carlos, grollen wir dem Schicksale nicht, sondern suchen wir unser Glück in der reinen Freude darüber, daß unsere Herzen sich gehören, obgleich uns die Verhältnisse trennen. Lassen Sie uns ohne Leidenschaft sprechen, und zu dem Thema übergehen, welches mich zu ihnen führt!«
Ohne Leidenschaft! Welch ein Verlangen! Die mächtigsten Gefühle stürmten auf ihn ein, aber er zwang sich, ruhig zu sein und führte sie zum Sessel.
»Sie sollen hören, was ich von Ihnen wünsche,« begann sie. »Sie wissen, daß der Graf unheilbar blind ist. Zu diesem Leiden ist ein neues und höchst schmerzhaftes getreten; er leidet an einer sehr ausgebildeten Steinkrankheit, und die Aerzte, welche man zu Rathe zog, behaupten, daß nur die Operation sein Leben retten könne. Er hat sich für diese Operation entschieden und seinen Sohn, den Grafen Alfonzo, aus Mexico kommen lassen, um ihn noch einmal zu sehen, und damit der Erbe anwesend sei, wenn der Schnitt mißglücken sollte. O, das klingt so kalt und geschäftsmäßig, während es mir das Herz zerreißt. Ihr Männer spielt mit dem Tode und nennt dies Muth; mir aber schaudert vor einem solchen herzlosen Muthe. Contezza Rosa liebt den Vater; er war ihr einziger Freund bisher, und sie war seine Hand, die ihn, den Erblindeten, durch das Leben leitete. Sie betet Tag und Nacht zu Gott, daß er gerettet werde, aber sie fühlt eine fürchterliche Angst, daß man den falschen Weg eingeschlagen habe. Die Aerzte sind finstere, kaltherzige Männer, denen sie kein Vertrauen schenkt. Der Notar und Schwester Clarissa, welche den Grafen fast keinen Augenblick verlassen, gleichen unheilvollen Dämonen, welche nach des Kranken Blute lechzen, und Graf Alfonzo, der Sohn, ach, wie unglücklich, wie sehr unglücklich ist die Contezza!«
Sie legte das bleiche Gesicht in die Hände und weinte. Es war nicht jenes laute Weinen, welches das Herz von seiner Last erlöst, sondern jenes stille, unhörbare, welches keinen Laut, sondern nur Thränen, und immer wieder Thränen hat. Sternau konnte nicht zusehen, er kniete vor ihr nieder, zog ihr die Hände von den überströmenden Augen und bat mit flehender Stimme:
»Weinen Sie nicht, Sennora. Sehen Sie mich an: ich bin ein Riese, aber wenn ich weinen sehe, so muß ich vor Schmerz vergehen. Erleichtern Sie Ihr Herz, indem Sie mir Alles mittheilen.«
»Ich werde es thun,« antwortete sie, indem sie sich faßte und ihre Thränen trocknete. Dann fuhr sie fort: »Die Contezza war ein sehr kleines Mädchen, als sie den fortgehenden Bruder zum letzten Male sah. Es vergingen fast sechszehn Jahre, und nun freute sie sich aus vollstem Herzen über seine Wiederkehr. Er kam, und sie eilte ihm entgegen, um an seiner Brust zu liegen; aber nur einen einzigen Schritt, dann blieb sie halten mit vergebens ausgestreckten Armen. Der vor ihr stand, den durfte sie nicht berühren; sie wußte nicht warum, aber eine innere Scheu sagte es ihr. Das war nicht das Auge oder die Stimme eines Bruders; sein Angesicht war hart, und seine Worte klangen ohne Seele. Und dann, als sie ihn von Tag zu Tag beobachtete, gewahrte sie die Blicke, welche er auf seinen Vater warf. Ein jeder dieser Blicke sagte: »Ich laure nur auf Deinen Tod!« Es wurde ihr Angst; sie ahnte ein Geheimniß, oder ein verhängnißvolles Ereigniß, und in dieser Todesangst schrieb sie - - bat sie mich, an Sie zu schreiben, damit Sie kommen und helfen möchten.«
»Was ich thun kann, soll geschehen, wenn es angenommen wird!« versicherte er. »Die Operation soll morgen stattfinden?«
»Ja. Man wird sie auf keinen Fall länger hinausschieben.«
»Wann?«
»Ich hörte, daß sie um elf Uhr vorgenommen werden soll.«
»Werde ich vorher den Grafen sehen und sprechen dürfen?«
»Ja, wenn Sie sich bei der Contezza melden.«
»Wann wird sie mich empfangen?«
»Kommen Sie neun Uhr! Haben Sie bereits einmal den Stein operirt?«
Er lächelte ein wenig.
»Sehr oft, Sennora, Ich glaube sogar, daß man mich für eine Capacität auf diesem Felde hält.«
»Ist die Operation sehr gefährlich?«
»Um dies sagen zu können, muß man den Fall untersucht haben. Warten wir, bis dies geschehen ist!«
»Ja, warten wir! Ich habe zu Ihnen ein unerschütterliches Vertrauen. Nur Sie allein werden Rettung bringen, wenn Rettung möglich ist.«
Sie erhob sich und er frug traurig:
»Sie wollen gehen, Sennora?«
»Ja; ich werde sehr leicht vermißt. Also neun Uhr kommen Sie?«
»Ich komme! Darf ich Sie nicht jetzt begleiten, Sennora?«
Sie besann sich erröthend und antwortete dann:
»Es ist dunkel, und man wird uns nicht sehen. Ja, kommen Sie bis zum Schlosse mit!«
Sie verließen das Häuschen, und er reichte ihr den Arm. So hoch und stark er war, so war er doch kaum um einen halben Fuß länger als sie, und wer sie jetzt hätte so neben einander dahin schreiten sehen, der hätte sie jedenfalls für ein ganz auserlesenes Paar gehalten.
Sie legten ihren Weg unter dem tiefsten Schweigen zurück, aber desto lauter waren die Stimmen ihrer Herzen. Er fühlte ihren Arm auf dem seinigen liegen, und er hätte es nicht gewagt, ihn fester an sich heranzuziehen. Es war ihm, als wandele ein überirdisches, unendlich höheres Wesen neben ihm her, ein Wesen, zu dem er anbetend emporschauen müsse, und als sie endlich vor dem Parkthore standen, um Abschied zu nehmen, da zuckte es ihm zwar heiß und verlangend durch die Seele, aber seine Arme blieben gesunken, und als sie ihm die Hand entgegenstreckte, da zog er dieses kleine, warme Händchen wohl für eine ganz, ganz kurze Sekunde an seine Brust, wagte aber nicht, sie mit seinen Lippen zu berühren.
»Gute Nacht, Carlos,« sagte sie. »Ruhen Sie aus von Ihrer Reise!«
»Ausruhen?« fragte er. »Meine Seele ist ruhelos, bis sie die Ruhe des Grabes finden wird. Gute Nacht, Sennora!«
Er wollte gehen, da aber faßte sie ihn abermals bei der Hand, trat nahe, ganz nahe an ihn heran und lehnte ihr Köpfchen an seine Schulter. Er fühlte ihren warmen, vollen Brust an seinem Herzen sich heben und senken, und er hörte ihre leise gesprochene Bitte:
»Mein Carlos, vergieb mir, und sei nicht unglücklich!«
Da legte er doch die Arme um sie, zog sie innig an sich und flüsterte:
»Wie kann ich glücklich sein, wenn Du mir nicht aufgehen darfst, mein Licht, mein Stern, meine Sonne!«
»Nur unsere Körper werden getrennt sein, unsere Seelen aber haben sich gefunden und werden einander nie verlieren! Gott sei mit Dir!«
Sie trat von ihm zurück und schlüpfte in den Park. Er stand außen und lauschte, bis ihre leichten Schritte verklungen waren, dann aber blieb er noch lange an derselben Stelle. -
Gerade um dieselbe Zeit wurde in einem Zimmer des Schlosses ein Gespräch geführt, für dessen Belauschung Sternau jedenfalls sehr viel gegeben hätte. Es wurde von einem der beiden Chirurgen bewohnt, welche die Aufgabe hatten, unter Assistenz eines Arztes aus Manresa den Grafen von dem Stein zu befreien. Sennor Gasparino Cortejo, der Advokat, befand sich bei ihm. Er hatte sich so-
eben erhoben, um sich zu verabschieden, und meinte mit seiner kalten, scharfen Stimme:
»Also Sie glauben, daß die Operation absolut tödtlich ist?«
»Absolut!«
»Werden Ihre Kollegen nicht Einspruch erheben?«
»Sie werden nicht wagen, anderer Meinung als ich zu sein. Sie wissen, daß ich zu den Koryphäen der chirurgischen Operation gehöre,« war die stolze Antwort.
»Gut. Sie haben aber dem Grafen glauben lassen, daß er gerettet werde?«
»Natürlich.«
»So bleibt es bei unserer Besprechung. Die Operation findet, ohne der Contezza etwas wissen zu lassen, bereits früh acht Uhr statt. Ihr Honorar erhalten Sie in meiner Wohnung zu Manresa. Gute Nacht!«
»Gute Nacht!«
Die beiden Männer schüttelten sich mit einer Höflichkeit die Hände, als ob jeder den Anderen für einen vollkommenen Ehrenmann halte, dann schieden sie. Der Advokat suchte aber sein Zimmer nicht auf, sondern ließ sich bei der Stiftsdame melden, welche ihm so eilig bis in das Vorzimmer entgegen kam, daß er erkannte, wie sehnsuchtsvoll er von ihr erwartet worden war. Sie zogen sich in das Boudoir der frommen Dame zurück, wo sie die Thüre verriegelte, um vor einem jeden Lauscher sicher zu sein.
Der Notar trug nicht die spanische Nationaltracht, sondern er war ganz schwarz in Frack und Pantalons gekleidet. Die Bewegungen seiner langen, hageren und weit nach vorn gebeugten Gestalt hatten etwas Schleichendes, etwas heimlich Einbohrendes an sich und die Züge seines scharfen, aus einer hohen, steifen Halsbinde hervorragenden Gesichtes zeigten etwas so entschieden Raubvogel- oder Stößerartiges, daß es schwer hielt, diesen Mann nicht zu fürchten. Der Eindruck seines abstoßenden Gesichts wurde verstärkt durch den unstäten, lauernden Blick seiner Augen, welche sich bald hinter die Lider zurückzogen und dann wieder einen so plötzlich stechenden Blick hervorschossen, daß man sich des Gefühles nicht erwehren konnte, man stehe vor einem giftigen Polypen, dessen Fangarmen man rettungslos verfallen sei.
Auch die Stiftsdame trug gewöhnlich ihr schwarzes, häßliches Ordenskleid, jetzt aber hatte sie ein helles, üppiges Negligee angelegt, welches einer Tänzerin alle Ehre gemacht haben würde. Ihre Gestalt war stark und voll und die Züge ihres beinahe fünfzigjährigen Gesichtes waren grob und unweiblich, wozu noch der unschöne Umstand kam, daß das eine ihrer Augen etwas schielte.
»Willkommen, Sennor,« meinte sie, indem sie sich mit bodenlos häßlicher Koketterie in eine Sammetottomane fallen ließ. »Ich habe lange auf Sie warten müssen. Wie steht es?«
»Sehr gut,« antwortete er, indem er an ihrer Seite Platz nahm. »Der Chirurg ist auf meine Vorschläge eingegangen.«
»So hat Gott sein Herz gelenkt, damit wir die Früchte unserer langen Enthaltsamkeit endlich einmal genießen können. Wird der Schnitt tödtlich sein?«
»Absolut.«
»So können wir es nicht ändern,« meinte sie mit einem frommen Augenaufschlage. »Es Ist dem Grafen wohl zu gönnen, daß ihn der Herr von seinen Leiden erlöst. Aber wird die Contezza nicht abermals widerstreben?«
»Diesmal nicht, meine Liebe. Sie weiß nicht anders, als daß die Operation erst um elf Uhr vor sich gehen wird, während wir doch bereits um acht Uhr beginnen. Der Graf wird sein Leiden überstanden haben, wenn sie sich noch bei der Toilette befindet.«
»Und Graf Alfonzo?« fragte sie mit einem sehr impertinenten Zwinkern ihrer divergirenden, sich hin- und herbewegenden Augen.
»Er ist ganz der Mann dazu, unser Meisterstück zu krönen.«
»Ja, es war ein Meisterstück von uns, ein Meisterstück, von welchem diese böse Welt keine Ahnung hat und auch niemals eine Ahnung haben wird. Wir hatten uns lieb, mein alter Gasparino, aber wir konnten uns nicht haben, denn ich war die Tochter eines stolzen Hidalgo und Du warst ein armer, brodloser Schlucker. Wir hätten das Kind unserer heißen Liebe doch noch tödten müssen, wenn Du nicht auf den köstlichen Gedanken gekommen wärest, es an Stelle des kleinen Grafen Alfonzo mit dem Bruder des Grafen Emanuel nach Mexiko zu schicken. Nun sind wir die Eltern eines Grafen und werden bereits morgen über die Millionen der Familie Rodriganda gebieten. Komm, mache Dir es bequem und laß vergessen, daß ich nicht Dein Weib werden konnte!« -
An einer sehr frühen Stunde des nächsten Morgens verließ Contezza Rosa de Rodriganda ihre Gemächer, um einige Zeit im Parke zu lustwandeln. Sie trug weder die beengende Pariser Kleidung, noch irgend eine spanische Nationaltracht; die Gewandung, welche ihren schönen Körper umgab, war das Produkt einer sehr glücklichen Phantasieeingebung, eine sinnreiche Verschmelzung des duftig Maurischen mit dem gediegenen Nordischen.
Unter weiten, goldgestickten, weißseidenen Pantalons stak ein kinderhaftes, zart gebildetes Füßchen in einem glänzenden Prokatschuh, dessen Länge keinesfalls über die berühmte und von den Frauen so heiß ersehnte Nummer Null hinauskam. Ueber diese Pantalons war ein faltiges, rothseidenes Röckchen geschürzt, dessen nach unten ausgeschnittener Vordertheil den Schritt freigab und den herrlichen Gliederbau doch nur mehr ahnen als erblicken ließ. Dieses Röckchen wurde um die schlanke Taille von einem in Gold und Perlen reich verzierten Gürtel zusammengehalten, welcher die Weichheit, Fülle und schöne Rundung der Hüften trefflich hervorhob. Darüber schimmerte ein kurzes Jäckchen von der Farbe, welche den duftenden Rosen von Schiras abgelauscht zu sein scheint, und als Obergewand fiel an den Schultern ein oleanderblüthenfarbiger Manteau, welcher am Boden eine wallende Schleppe bildete und aus jenem schleierartigen, kostbaren Sammet gearbeitet war, welcher nur von den zarten Fingern der Frauen von Derbidschan gewebt werden kann und zu dessen Anfertigung eine solche Arbeiterin für eine einzelne Elle ein Vierteljahr gebraucht. Dieser köstliche Manteau ließ die vollen, herrlichen Arme frei, deren Schnee durch den Perlmutterglanz der weiten Schorabakschleier-Aermel entzückend hindurchschimmerte. Und auf dem Kopfe trug sie ein dunkles, polnisches Barett, mit Kolibri- und Paradiesvogelfedern ausgeputzt, unter welchem das dichte, rabenschwarze Haar in zwei langen, schweren Flechten fast bis
über die Kniegegend herniedersanken. Ein einziger, aber desto kostbarerer Brillantring schmückte ihr zartes und doch so volles Kinderhändchen.
Die Züge dieses unvergleichlich schönen Wesens waren weder mit dem Pinsel, noch mit Worten zu beschreiben. In ihnen sprach sich die unentweihte Unschuld des Kindes ebenso, wie das ungestillte Sehnen der reifen Jungfrau aus; in ihnen vereinigte sich die reine Unberührtheit einer Rafael'schen Madonna mit der verheißungsvollen Gluth eines Frauenkopfes von Correggio, und wer in die großen, von dunklen Wimpern beschatteten Augen blickte, welche in einem vollen, tiefen Blau erglänzten, der mußte aus dem frappanten Kontraste dieses Blaues mit der Rabenschwärze des Haares ahnen, daß diese hinreißende Schönheit aus einer innigen Vermählung des maurischen Blutes mit dem westgothischen entstanden sei.
Sternau hatte nicht schlafen können. Die Begegnung mit dem heißgeliebten Mädchen hatte sein tiefstes Innerstes so aufgeregt, daß an eine Ruhe nicht zu denken war. Zwar kehrte er nach seinem Abschied von der Geliebten in seine Wohnung zurück, aber er wanderte während der ganzen Nacht ruhelos in dem kleinen Stübchen auf und ab, aber als er nach Anbruch des Tages bemerkte, daß der Nachbar bereits munter sei, ging er zu diesem hinüber, um sich sein Maulthier satteln zu lassen.
Er bestieg dasselbe und unternahm einen Morgenritt ohne Richtung und Ziel, nur um seinen Gedanken und Gefühlen Raum geben zu können. Endlich sah er Manresa vor sich und er bog in die nach Rodriganda führende Straße ein, welche er gestern gekommen war.
Dort stand eine Venta, ein einsames Wirthshäuschen, vor welchem ein gesatteltes Pferd angebunden war, ein Zeichen, daß sich schon ein Gast in dem Innern befinde. Auch Sternau stieg ab. Er hatte seit gestern Abend nichts zu sich genommen und wollte versuchen, ob er eine Tasse Kaffee erhalten könne. Er trat ein und sah einen nicht sehr fein gekleideten Herrn, vor dem ein chirurgisches Besteck lag, am Tische sitzen. Es war, ohne daß Sternau es ahnte, der Manresaer Arzt, welcher bei der Operation des Grafen assistiren sollte.
Der Wirth, welcher neben ihm saß, setzte, als er der Bestellung Sternau's Gehör gegeben hatte, das durch den Letzteren unterbrochene Gespräch fort:
»Also dem Grafen gilt Ihr Besuch, Sennor Doktor?«
»Wie ich bereits sagte,« antwortete dieser.
»Wird es heute endlich zum Schnitte kommen?«
»Sicher.«
»Wann?«
»Schon um acht Uhr.«
»Aber die Contezza wird es wieder nicht zugeben!«
»Sie wird nicht gefragt. Es ist ihr gesagt worden, daß wir die Operation erst um elf Uhr beginnen.«
»Denken Sie, daß der arme Graf genesen wird?«
»Ja - und - nein - wer weiß es!«
Jetzt erhielt Sternau seinen Kaffee. Er hatte genug gehört. Er trank schleunigst aus, bezahlte und verließ die Stube, ohne mit einem Worte erkennen zu geben, wie sehr er sich für die kurze Unterhaltung interessiren müsse. In gestrecktem Galopp ritt er heim, wo er eine halbe Stunde vor acht anlangte.
// 15 //
Nachdem er sein Maulthier dem Nachbar wieder übergeben hatte, holte er seine Instrumente und eilte nach dem Schlosse.
Es trieb ihn zu der Parkpforte, an welcher er gestern Abend von der Geliebten Abschied genommen hatte. Jene stand offen und er trat ein. Er wandte sich mit raschen Schritten der Richtung nach dem Schlosse zu, eilte durch einen langen Laubengang, und wollte nun einen kleinen, freigelassenen Platz betreten, als er plötzlich in höchster Ueberraschung halten blieb. Vor ihm stand Contezza Rosa. Sie hatte soeben den Gang betreten wollen.
Sein erschrockenes Auge hing an ihr wie an dem Bilde eines entzückenden Traumes, aber sein Herz pochte wie unter einer unglückseligen Erkenntniß. Konnte diese Dame eine Gesellschafterin sein?