Gräte, buch und fahr los, denn dann hat das Hin und Her ein Ende. Frag nicht lang und vor allem lass Dir nicht von altbekannten Angstmännchen, die zahlreich in dir vorhanden sind, ständig Horrorszenarien vor Augen halten.
140 km sind nichts, aber für manche die ganze Welt. Bahnfahren ist eine tolle Alternative, es kommen immer alle am Zielbahnhof raus, die raus wollen. Wenn nur die Bahn zuverlässiger wäre, wäre es ein prima Reisefahrzeug, gerade wenn man in eine Stadt fährt.
Mir ging es mal vor vielen Jahren ziemlich schlecht. Mein angeschmachteter Liebhaber hatte mich abserviert, mein Leben erschien mir traurig, grau, leer und öde. Mein Selbstvertrauen und mein Selbstwertgefühl wurden mit Füßen getreten, also fand ich keinen inneren Halt in mir. Es war eine harte Zeit.
Dann stand der alljährliche Kongress statt, auf den ich immer gefahren war. Und der würde in Berlin stattfinden. Oh mein Gott, Berlin! Nein, das geht nicht, zumal ich befürchtete, dem Ex. zu begegnen und der Berlin gut kannte. Schlilmmer hätte es nicht kommen können. Ich sah mich allein und heulend in meinem Hotelzimmer sitzen, ich fühlte, wie Stresshormone mich überfluteten, wenn ich nur an ihn, den Ex., dachte. Das konnte nicht gut gehen. Wie gerne wäre ich mal mit ihm nach Berlin gefahren und jetzt sollte ich allein dorthin!
Ich kannte Berlin nicht und ich bin eine Provinzpflanze, die in diese rieisge Stadt fahren sollte.
Und doch kam immer wieder eine innere Stimme, die mir sagte, Du bist feige und Du stellst Deine Ängste in den Vordergrund. Dann fährst Du nicht, bist einer möglichen Begegnung ausgewichen und setzt Dich jetzt, wo du eh emotional unausgeglichen bist, dem Stress nicht aus. Kannst du machen, aber es wird nicht zu Deinem Vorteil sein, weil Du Dich vor lauter Angst vor dem Alleinsein, einem unliebsamen Wiedersehen, das mich emotional noch mehr destabilisieren würde, einem möglichen Verfahren mit den Öffis usw. usw. beugst.
Und das wirst Du bereuen.
Dann kamen wieder die anderen Stimmen. Es wird ganz schrecklich werden. Du wirst Dich verfahren, Du checkst das nicht mit den vielen Verkehrsmitteln, dem Großstadtdschungel und Du wirst Angst vor dem Ex. haben und das wird Dir den Kongress verderben und Du wirst sozusagen geschlagen zurück kommen Du wirst scheitern.
Es ging täglich hin und her mit den Gedanken und Gefühlen. Die eine Stimme sprach von Feigheit und mangendem Mut und Selbstbewusstsein, die andere malte mir Horrorszenarien aus.
Dann hatte ich eines Montags die Schnauze voll. Du fährst, keine Widerrede. Und umgehend meldete ich mich an, suchte mir ein Hotel auf dem Alexanderplatz und damit weit weg vom Kongresszentrum, das auch ein Hotel hat, aber das wäre dann doch zu einfach, und eine Fahrkarte. Jetzt war es beschlossene Sache und wenn ich schon so lange fuhr, würde ich gleich noch 2 Tage dran hängen. Wenn schon, denn schon.
Wie ging es aus? Völlig probemlos. Ich verfuhr mich ein einziges Mal mit Kollegen und ich saß abends nicht allein im Hotelzimmer und ich heulte kein einziges Mal. Ich lernte neue Leute kennen, war jeden Abend unterwegs und die 2 freien Tage verbrachte ich mit Schiffchen fahren, dem Nikolaiviertel, der Museumsinsel usw. Klar kannte ich mich nicht aus, aber irgendwie kam ich doch immer an, wo ich hinwollte.
Und es ging mir bombastisch. Der Ex. war gar nicht gekommen. War mir dann schon egal. Ich fühlte mich wohl dort und es machte mir gar nichts aus, allein los zu ziehen und allein essen zu gehen.
Ich fuhr froh und glücklich nach Hause und vor allem war ich froh, nicht den inneren Ängsten nachgegeben zu haben. Zu einer Freundin sagte ich: Berlin war mein Freischwimmer, es hat mich ganz entscheidend vorwärts gebracht.
Ich bin seither öfters allein unterwegs und möchte niemanden dabei haben. Ich entscheide, was ich unternehme, was ich anschaue, wann ich essen gehe. Keine Absprachen, kein Nachgeben dem Partner zuliebe. Erst kürzlich war ich wieder dort. Erst dienstlich, dann privat und mittlerweile kenne ich mich gut aus und finde auch die abgelegenen Fleckchen. Es ist einfach dort. Seither ist Berlin meine Lieblingsstadt, Hamburg ist auch schön, aber kommt an Berlin einfach nicht ran, trotz des Hafens..
Lass Dich nicht von Ängsten drangsalieren, denn die werden immer stärker, je mehr man ihnen nachgibt. Und es geht einem mit dem Nachgeben, mit dem man feige den Schw anz einzieht, nicht besser, sondern schlechter.
Du willst doch dorthin. Also fahre und wenn das Auto zu stressig ist, dann doch mit dem Zug.Du fliegst ja nicht nach Uganda, da könnte man es noch verstehen, aber Ängste fragen nicht nach der Entfernung. Aber man kann sie auch mal übertölpeln, indem man ihnen sagt, haltet einfach Eure blöde Klappe! Und dann drückst Du stolz den Buchenbutton!
10.07.2024 10:03 •
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