Oh je, das klingt nach der klassischen Eskalation der digitalen zur analogen Untreue, eine häufig unterschätzte Gefahr in eingeschlafenen Beziehungen...
Ich würde mich da raushalten. Hat ja nichts mit Dir zu tun und Du kannst ja trotzdem weiterhin mit Beiden befreundet bleiben, wenn Du neutral und verschwiegen handelst. Ich würde mich daher vor übermäßigen Solidarisierungen mit der einen oder anderen Seite hüten. Das wäre kein guter Stil.
Zur Beurteilung der Sachlage:
Da ist Tim, der hat scheinbar geheime 6uelle Vorlieben exotischerer Art, die er Sandra warum auch immer bislang nicht mitgeteilt hat. Statt dessen zieht er vor, sich dahingehend in einer Singlebörse zu offenbaren und dabei nicht nur seinen Marktwerk zu checken, sondern auch konkrete Pläne für eine zukünftige Untreue unter Einbeziehung dieser Vorlieben zu schmieden.
Und da ist Sandra, die ihn rein zufällig auf Verdacht hin und direkt in einer der zahllosen Singlebörsen mit all den zahllosen Profilen gefunden haben will und dann nicht nur direkt alle Kontakte einsehen kann, sie schafft es auch noch diese allesamt zu kontaktieren und ihnen alle wichtigen Informationen zu entlocken. Erst dann konfrontiert sie Tim, der sich dann schämt und ärgert.
Was sagt uns das nun?
Zunächst einmal, dass es in dieser Beziehung weder Respekt, Vertrauen noch Ehrlichkeit in hohem Maße zu geben scheint. Und zwar von beiden Seiten.
Sandra muss zutiefst von Mißtrauen und Eifersucht gequält worden sein und hat wahrscheinlich einiges mehr an Aufwand betrieben, um ihrem Tim auf die Schliche zu kommen. Ob und in welchem Maße er dazu Anlass gab, kann ich nicht beurteilen. Und da der gesellschaftliche Konsens hinsichtlich der Aufdeckung von Untreue zwar besagt, dass der Zweck die Mittel heiligt, so würde Sandra gewiss weniger offen über ein regelmäßiges Ausspionieren und Mitlesen seiner E-Mails sprechen, bei dem sie genaue Übersicht über all seine Regisitrierungsbestätigungen mitsamt Username und Passwort hätte, die ihr dann die vollständige Offenlegung seiner Aktivitäten und Nachrichtenverläufe im Netz geben würde. Hoffen wir also, dass Sie wirklich nur mit etwas Glück gut geraten und gesucht hat und an drei nette Frauen geriet, die gerne wildfremden Damen im Netz Details verraten Denn an dieser Stelle sei nochmal erwähnt, dass wir nicht umsonst im Grundgesetz verankerte Regelungen bezüglich Brief- und Fernmeldegeheimniswahrung haben. Und dabei ist es irrelevant, ob dadurch nun tatsächlich Beweise für Lügen und Betrug gefunden werden, ob wir das nun moralisch verständlich finden oder nicht. Wer diesen Schritt geht (und er wird leider allzu oft gegangen) muss sich bewusst sein dass er im Gegensatz zur juristisch nunmal belanglosen Untreue des Partners eine Straftat zum Zwecke der indirekten Selbstjustiz begeht. Nur mal so am Rande.
Nun aber zu Tim. Es ist sicher möglich, dass Tim ein egoistischer Hedonist ist und es ihm moralisch einfach nichts ausmacht, Sandra zu belügen und zu betrügen. Dass er ein Mann mit einem Frauenbild nach dem Prinzip Heilige oder H.ure ist und Sandra in ihrer vermeintlichen Rolle als Heilige davon ausgeschlossen ist, in seine abseitigen Neigungen einbezogen zu werden. Und dass er sich nun ärgert liegt vielleicht nur daran, dass Sandra ihm dieses Doppelleben, dass er bewusst gewählt und sich aufgebaut hat, nun eben enttarnt und somit seine geplanten Abenteuer mit den Frauen der Rolle H.ure vermasselt hat. Durchaus möglich.
Es ist auch möglich, dass Tim sich irgendwann lediglich 6uell etwas vernachlässigt fühlte, sich nicht traute oder es nicht fertigbrachte, mit Sandra offen über diese Bedürfnisse zu sprechen. Vielleicht weil seine Neigungen etwas spezieller sind und er sich dafür schämte, Sandras Ablehnung befürchtete oder bereits darum wusste, dass sie dahingehend nicht aufgeschlossen ist. Vielleicht wollte er als Mann um die 50 im Schutze der digitalen Anonymität zunächst einfach nur mal wieder seinen Marktwert checken, sich ein bisschen unverfänglich austauschen und geriet dann aber im Laufe der Zeit in einen aufregenden Strudel aus kleinen aber ungefährlichen schriftlichen Abenteuern, in dem die Grenzen des sag-, denk- und machbaren jedoch bald unbemerkt immer weiter ausgereizt wurden und immer mehr Skrupel fielen.
Während sein Gewissen sich einredete, es sei ja nur ein bisschen Gechatte, nichts Echtes, nur ein bisschen nettes anonymes Geflirte, das ihm in einsamen Stunden die Flucht in seine geheime, digitale Parallelwelt bot, stumpfte Tim´s innere Stimme und sein schlechtes Gewissen bezüglich Sandra aber immer mehr ab und die Vorstellung der vormals undenkbaren realen Umsetzung der Phantasien mit den geheimnisvollen Profildamen wurden immer denkbarer und verlockender. Sandra´s Konfrontation mit seiner Parallelwelt würde ihn in diesem Fall zutiefst beschämen, seine Seifenblase zum Platzen bringen und zu einer unsanften Landung in der Realität führen, in der Tim sich nun einfach als einen verlogenen Feigling wiederfindet, der sein Gesicht verloren hat und nun womöglich weder seine Internetromanzen noch Sandra halten kann.
So oder so, diese Beziehung scheint ziemlich marode zu sein und wäre für mich persönlich keine Option mehr. Tims Untreue, Sandras Mißtrauen, da ist zu viel Schweigen, Unehrlichkeit, Mißtrauen und Respektlosigkeit voreinander.
Viele Grüße,
Maria
15.01.2021 13:08 •
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