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An den ersten Peiniger meines Lebens

A
Hallo liebe Mitglieder,

ich erstelle diesen Thread, da ich nicht weiß wohin ich mit meinen Gedanken soll.
Dieser Brief ist nichts für Zartbesaitete und/oder Menschen, denen die das Thema Kindesmisshandlung triggert. ich hoffe, dass ich niemanden damit auf die Füße trete!




Papa,

heute hat mir meine Schwester erzählt dass Du Darmkrebs hast und es nicht gut für Dich aussieht.

Als ich nachdachte, fing ich an zu weinen, denn ich habe Angst davor, dass Du leiden musst.

Das wünsche ich Dir nicht. Ich wünsche Dir friedliches sterben.

Komische Gedanken durchschwirren meinen Kopf. Ich erinnere mich an das letzte Mal als Du zum essen kamst. Das ist ca 2 Monate her.
Wir grillten, wir lachten und es war sehr entspannt.

Ich hab gesehen dass Du abgemagert bist und ich dachte mir dass es Dir nicht gut geht.

Du hattest Arbeitskleidung an. Du hast immer schwerst geschuftet, damit es Deiner 8köpfigen Familie an nichts mangelt. Das habe ich immer an Dir bewundert und Du hast Dir Deine Rente, die Du in 2 Jahren bekommen sollst mehr verdient wie jeder andere Mensch, den ich kenne.
Ich dachte über Dich nach und ich fragte mich was bleibt von Dir übrig wenn Du keine Arbeit mehr hast? Hattest Du überhaupt jemals Träume?

Ich weiß dass Du es sehr schwer hattest als Kind, dass Du mit Gewalt groß wurdest und diese als Erziehungsmethode an die Hälfte Deiner Kinder weitergegeben hast.

An die schlechte Hälfte Deiner Kinder.
Kannst Du Dich daran erinnern wie Du meine älteste Schwester in der Küche mit Fäusten windelweich geprügelt hast, weil sie sich mit 16 heimlich piercen ließ? Ich habs gesehen und ich hatte Angst dass Du sie tötest. Falls Du es vergessen hast, ich leider nicht. Diese Bilder haben sich zeitlebens in meine Seele gebrannt.

Vielleicht hast Du gemerkt dass es ein Fehler war, schließlich hast Du ihrer 4Jahre jüngeren Schwester zum 14ten Geburtstag dasselbe Piercing geschenkt hast.
Dieses Verhalten habe ich damals nicht verstanden und ich verstehe es bis heute nicht. Aber - ich muss es nicht verstehen.
Die Hauptsache ist Du kommst damit zurecht.
Das wünsche ich Dir.

Weißt Du, als ich ein kleines Mädchen war, warst Du trotz all Deiner Kälte mein König.
Ich hatte es verdient vor blauen Flecken nicht schlafen zu können, schließlich war ich schuld daran, dass zwei meiner Geschwister es lustig fanden ihr kleines Geschäft in die einzigen Schuhe zu machen, die ich damals besaß.
Ich habe geweint und geschrieen, so dass Dir nichts anderes übrig blieb mich mit altbewährter Härte zum schweigen zu bringen.
Meine gesamte Kindheit verbrachte ich Dank Dir ( Mama) in Todesangst.

Ja, das was hier schreibe, das warst Du für mich.
Kalt und erbarmungslos.
Der Wegweiser in viele weitere Katastrophen.

Dennoch habe ich Dir verziehen.
Ich hatte bisher knapp 38 Jahre Zeit um zu verstehen dass Dein Verhalten nie was mit mir, sondern ausschließlich mit Dir zu tun hatte. Du hast niemals lernen dürfen was es heißt zu lieben.
Damit bleibt Dir in diesem Leben leider das größte Wunder der menschlichen Existenz verborgen und du durftest niemals erleben, wie tiefe Wunden geheilt werden und man gestärkt aus den Ruinen seiner Träume neue Welten erschafft.

Ich bleibe lebenslang Dein Kind und ich liebe Dich wie ein Kind seinen Vater liebt.
Ich werde bei Dir sein, wenn Du über die Regenbogenbrücke gehst.
Wenn Du es denn willst.

ich wünsche Dir vom ganzen Herzen dass Du spätestens im Tod den Frieden findest, den Du im Leben nie bekommen hast.


Mit all meiner Liebe,

Deine Tochter

10.10.2021 17:14 • x 11 #1


A
Du solltest diesen Brief nicht abschicken.
Ich habe mindestens ebenso viel gelitten in meiner Kindheit wie du und auch später noch, zwar nicht unter meinem Vater, den kannte ich nicht, aber unter meiner Mutter.
Ich gelte als Folteropfer.

Ich habe meiner Mutter nie einen Brief geschrieben. Ich habe sie in dem Glauben sterben lassen, dass sie eine gute Mutter war.
Mir erscheint es so, dass du seine Erkrankung als gerechte Strafe siehst, und dich sozusagen daran ergötzt, dass er nun leiden muss.

Tue es nicht, erhebe dich nicht zu seinem Richter....stell dich nicht auf die Stufe derer, die dir das Leben zerstört haben, werde nicht auch zum Täter, dann bist du nicht besser als sie.

10.10.2021 17:22 • x 4 #2


A


An den ersten Peiniger meines Lebens

x 3


P
Zitat von Alittlebitsad:
Mit all meiner Liebe,

Deine Tochter

Hallo Alittlebitsad,

ich kann dir nachfühlen.
Ich selber habe den Kontakt zu den Eltern eingestellt. Ich weiss nicht, ob ich nochmal wirklich auf sie zugehen möchte, denn ich habe viel durchgelassen, gelitten, mich klein gefühlt und es gab in jungen Jahren ebenfalls Gewalt.

Sehe es wie du aber, dass meine Mama hauptsächlich ihr Handeln ebenfalls aus der Kindheit hatte. Verzeihen geht, vergessen nie.

Ich kann sagen, dass ich stolz bin, mein Kind nie geschlagen zu haben und ich bin froh, dass es heutzutage auch straffällig ist!

Danke für deinen Beitrag. Werde ihn verfolgen Hoffe auf rege Teilnahme.

L G Pinkstar

10.10.2021 17:25 • x 2 #3


L
Verzeihen ist viel schöner als Wut..

Lass ihn in Frieden gehen und versuche Vergangenes ruhen zu lassen.

Auch ich habe meinem Vater verziehen, als ich ihm das vor ein paar Wochen persönlich sagte, hatte er Tränen in den Augen.
Er ist ebenfalls schwer krank.

Alles Liebe!

10.10.2021 17:26 • x 3 #4


A
Zitat von Angi2:
Du solltest diesen Brief nicht abschicken. Ich habe mindestens ebenso viel gelitten in meiner Kindheit wie du und auch später noch, zwar nicht unter ...

Nein, ich ergötze mich ganz sicher nicht an seinem Leid. Im Gegenteil- es tut mir leid dass er so sterben wird.
Ich habe bloß versucht meine Gedanken zu sortieren, da ich traurig bin und 1000Gefühle in mir schwirren

10.10.2021 17:28 • x 7 #5


A
Liebe TE, wir stehen alle irgendwann vor unserem Richter und müssen uns verantworten....diese Menschen auch, die Genuss dabei empfinden anderen wehzutun, sich über andere zu erheben, sich über andere lustig zu machen.
Wenn du heimzahlen willst, dann zahle mit gleicher Münze heim, aber ergötz dich nicht am Leid von Menschen, die eigentlich zu bedauern sind für ihre Schwäche.

Diese Menschen sind Schwächlinge, schaffen es nur sich an Wehrlosen abzuarbeiten. Ihresgleichen meiden sie wie ein Vampir den Knoblauch, dann werden sie klein mit Hut.
Glaub mir, auch den Vater findet irgendwann seinen Richter, du solltest es nicht sein. Mit Rache triffst du nicht das gewünschte Ziel, mit Rache schlägst du nur dich selber.

10.10.2021 17:37 • #6


A
Zitat von Alittlebitsad:
Nein, ich ergötze mich ganz sicher nicht an seinem Leid. Im Gegenteil- es tut mir leid dass er so sterben wird. Ich habe bloß versucht meine Gedanken zu sortieren, da ich traurig bin und 1000Gefühle in mir schwirren

ok - war nur ein Gefühl von mir. Dann vergiss, was ich schrieb. Es entspringt meinen Gedanken, wenn ich von Missbrauch höre - von Kindesmissbrauch.

10.10.2021 17:38 • x 2 #7


P
Zitat von Alittlebitsad:
Ich habe bloß versucht meine Gedanken zu sortieren, da ich traurig bin und 1000Gefühle in mir schwirren

Weisst du, bei mir ist der Standpunkt mittlerweile so, entweder man verdient es sich, sich Eltern nennen zu dürfen oder nicht.

Wieviel Missbrauch und Gewalt haben Kinder bisher miterleben müssen, an sich, an Geschwister. Auch Eltern müssen Grenzen einhalten und wenn man gewissen Grenzen überschreitet, ist es nur gesund, sich von den Eltern zu entfernen. Wie lange, das ist jedem selber überlassen.

Biologisch werden wir immer die Kinder der Eltern sein, aber deswegen sind wir nicht verdammt, ihre Gewalttätigkeiten und ihr böses Handeln auf Dauer mitzumachen.

Du verzeihst deinem Papa, das ist dein Seelenfrieden für dich, was aber dein Papa aus sich noch macht, ist nicht deine Baustelle

Ich bin gespannt, ob meine Eltern irgendwann doch über ihren Schatten springen und sich bei mir und meiner Schwester zu entschuldigen. Aber die Chancen, dass sie es machen, ist sehr gering.

10.10.2021 17:44 • x 3 #8


Error
Zitat von Angi2:
ok - war nur ein Gefühl von mir. Dann vergiss, was ich schrieb. Es entspringt meinen Gedanken, wenn ich von Missbrauch höre - von Kindesmissbrauch.

Ähm, sie schrieb von und über Kindesmisshandlung, nicht von Kindesmissbrauch.
Ich habe nicht das Gefühl dass sie sich rächen möchte, im Gegenteil.
Sowas schleppt man leider sein Leben lang als Päckchen mit sich herum und aus meiner Sicht gehört ein gewisser emotionaler Abstand zur Verarbeitung dazu.

Auch finde ich es schwierig in diesem Kontext von Verzeihen zu schreiben, ich würde es eher ein Verstehen nennen, mit dem Ansatz das irgendwann mal endgültig hinter sich lassen zu können.

10.10.2021 17:47 • x 5 #9


A
Zitat von Pinkstar:
Weisst du, bei mir ist der Standpunkt mittlerweile so, entweder man verdient es sich, sich Eltern nennen zu dürfen oder nicht. Wieviel Missbrauch ...

Ich habe ein völlig selbstzerstörisches Leben gehabt und bloß dank meiner Kinder die Kurve bekommen.
Ja, ich habe meinen Frieden gemacht und bin nicht zuständig für seinen eigenen.
Beide Elternteile haben die Bezeichnung Eltern nicht verdient. Dennoch macht es mich traurig zu wissen dass mein Vater ein Sterben erlebt, was furchtbar sein wird

10.10.2021 17:50 • x 5 #10


A
Zitat von Error:
Ähm, sie schrieb von und über Kindesmisshandlung, nicht von Kindesmissbrauch. Ich habe nicht das Gefühl dass sie sich rächen möchte, im ...

Du hast völlig Recht. Er hat uns nie missbraucht. Nicht einen Finger an Stellen gelegt, die ihn nichts angehen

10.10.2021 17:53 • x 3 #11


P
Zitat von Alittlebitsad:
Dennoch macht es mich traurig zu wissen dass mein Vater ein Sterben erlebt, was furchtbar sein wird

man sagt ja auch, man wünscht das nicht einmal seinem ärgsten Feind. Du hast Herz Und das macht dich wertvoll

10.10.2021 17:54 • x 2 #12


Error
Zitat von Alittlebitsad:
Du hast völlig Recht. Er hat uns nie missbraucht. Nicht einen Finger an Stellen gelegt, die ihn nichts angehen

Leider kannte ich auch einmal so ein Prachtexemplar pädagogischer Härte, weil selber so aufgewachsen und ungefiltert weitergereicht.
Ein Missbrauch ist etwas völlig anderes.

10.10.2021 17:57 • #13


A
Zitat von Pinkstar:
man sagt ja auch, man wünscht das nicht einmal seinem ärgsten Feind. Du hast Herz Und das macht dich wertvoll


Ich habe vor Jahren schon gesagt dass ich meinen Eltern noch 30 gute Jahre und einen friedlichen Tod wünsche.
Ich werde ihn nicht vermissen da ich maximal 2, 3 x im Jahr Kontakt zu ihm habe. Auch die Trauer meiner Kinder wird sich arg in Grenzen halten.
Aber - ich bin jetzt traurig und es tut mir aufrichtig leid dass er das bekommt, wovor er sich am meisten fürchter

10.10.2021 18:00 • x 1 #14


L
Das sind die ambivalenten Gedanken die einen quälen, ich kenne das zu gut.

Auch mein Sohn hat mich quasi auf den Weg gebracht, aber vieles ist und bleibt einfach ein Kampf.
Es wiegen die Gedanken an seine Handlungen nicht mehr so schwer nachdem ich vieles verstanden habe, was auch er durchmachen musste.

Aber wäre mein Sohn nicht, hätte ich vermutlich auch keinen Kontakt mehr zu beiden Elternteilen.

Zitat von Error:
Missbrauch ist etwas völlig anderes

Psychischer Missbrauch wiegt mitunter auch sehr schwer.

10.10.2021 18:01 • x 3 #15


A


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