....da dies ein Laienforum ist, hier allerdings der Berufsstand der Psychologen, dem ich ebenfalls angehöre, in ein aus meiner Sicht zweifelhaftes Licht gerückt wird, möchte ich dann doch gern Stellung zum Beitrag von Judith nehmen:
Zunächst zu:
Zitat:Deine Aussage, ich klinge nicht nüchtern und fachlich genug, ist leider nur ein weiteres Symptom des Schwarz-Weiß-Denkens vieler User hier.
und
Zitat:Psychologen sind auch nur Menschen, ebenso ich. Und viele Psychologen entscheiden sich gerade deshalb, Psychologie zu studieren, weil sie selbst in vielen Bereichen mit Problemen konfrontiert wurden, sie deshalb überhaupt nur Interesse an diesem Bereich haben.
Manche mögen das kritisieren à la: Wer selbst Probleme hatte, darf kein Psychologe werden. Ich sehe das anders. Es kann NUR jemand helfen, der überhaupt das Problem nachvollziehen kann. Und das kann man NUR wenn man selbst Mensch ist und diese menschlichen Probleme durchlebt hat.
Psychologie ist die Lehre vom Verhalten und Erleben von Menschen und hat die Aufgabe, dieses Verhalten und Erleben zu erklären. Tatsächlich mag es, wie in jedem anderen Beruf auch, persönliche Gründe geben, diesen Beruf zu ergreifen oder ein gesondertes Interesse hierfür zu hegen, allerdings gehört sowohl zu einem Studium der Psychologie und insbesondere in der Therapieausbildung die Teilnahme an Selbsterfahrungsstunden hinzu, mit der Aufgabe, seine eigenen, dysfunktionalen Muster und Pathologien zu erkennen, damit ebenjenes, dass du schilderst, nicht geschieht:
seiner eigenen Betroffenheit anheim zu fallen, sich selbst derart emotional zu involvieren, dass die Grenzen zwischen dem eigenen Problem und dem Problem des Klienten verschwimmt, dem eigenen Narzissmus und Größenphantasien anheim zu fallen, die einem vorgaukeln, man wisse GENAU, was der Klient empfinde, denke und erwarte, dem Irrglauben anheim zu fallen, nur wenn man selbst Gleiches erlebt hat, könne man ihm helfen.
Nochmal: Psychologie ist die Lehre vom Verhalten und Erleben und versucht, dieses zu erklären. Psychologie kann nicht den Anspruch haben, Andere zu retten, sie vollends zu verstehen oder sie vollends zu erkennen. Psychologie hat die Aufgabe, mit allen objektiven Kenntnissen und Erfahrungen einem Klienten zur Seite zu stehen und ihm behilflich dabei zu sein, mit diesem Wissen sein eigenes Erleben und Verhalten (selbst) insofern zu verändern, dass es ihm zu Stabilität verhilft.
Ja, auch wir Psychologen sind Menschen mit ganz menschlichen Problemen und Erfahrungen, die jedoch an einen Klienten niemals als objektive Wahrheit oder empirische Erkenntnis herangetragen werden sollte. Es ist von Zeit zu Zeit schwer, diese Trennung zwischen dem Menschen und der Rolle als Psychologe einzuhalten, doch auch hierfür gibt es verpflichtende Maßnahmen, wie z.B. regelmäßige Supervision oder Intervision durch Kollegen.
Es befremdet auch mich sehr, liebe Judith, in deinen Beiträgen eine solche Subjektivität und persönliche Involvierung vorzufinden, die einem therapeutisch tätigen Psychologen für gewöhnlich fremd ist.
Zitat:Den fachlichen Abstand dennoch zu wahren ist eine Gabe, über die man verfügen muss. Hat man aber diese Gabe PLUS eigener Erfahrungen, sind das die besten Vorraussetzungen.
Den fachlichen Abstand wahren zu können, ist keine Gabe, sondern eine regelmäßig zu überprüfende Pflichtaufgabe des Psychologen/ Therapeuten, im Sinne der Qualitätssicherung seiner Arbeit und seiner Fürsorgepflicht gegenüber des Klienten. Eigene Erfahrungen erschweren i.d.R. den fachlichen Abstand allgemein und sind daher Kriterium, noch stärker und v.a. unter externer Kontrolle (z.B. durch Supervision) Sorge dafür zu tragen, dass die Professionalität im therapeutischen Handeln gewahrt ist.
Zitat:Da gilt das darwinistische Prinzip des Stärksten, der sich durchsetzt. Wer schwach ist, ist selbst Schuld und geht unter.
In unserer Gesellschaft ist kein Platz für Schwäche. Es geht um Leistung und darum, sich nicht hängen zu lassen.
Viele Patienten kämen besser zurecht, wenn ihre Schwäche akzeptiert und nicht bewertet werden würde. Wenn man es einfach als gegeben hinnehmen und stattdessen menschliche Wärme vermitteln würde.
Diese Aussage ist dabei ein gutes Beispiel für eine Rollendiffusion, wenn der therapeutische Abstand nicht mehr gewahrt ist.
Psychologie hat nicht die Aufgabe, zu be- und verurteilen, sie hat nicht die Aufgabe, in einseitige, allzu menschliche Schuldzuweisungen zu verfallen und sie hat auch nicht die Aufgabe, zu moralisieren. Darüber hinaus zeichnet sie sich insbesondere dadurch aus, nicht in pauschalisierende, alltagspsychologische Schwarz-Weiß-Plattitüden zu verfallen oder solchen anzuhängen oder Sachverhalte zu beurteilen, deren Hintergrund sich ihrer Kenntnis entziehen.
Ein Beispiel:
Du bist die Bezugstherapeutin einer unter der Borderline-Persönlichkeitsstörung leidenden Klientin. Diese Klientin hat womöglich Traumatisches in ihrer Vergangenheit erlebt. Das Bindungsverhalten dieser Klientin dürfte instabil bis fragil charakterisiert sein. Als mögliche Trigger psychischer Krisen stellen sich wiederkehrend soziale Kontakt- und Beziehungssituationen heraus. Die Klientin berichtet dir wiederkehrend davon, sich in den Gesprächen mit dir zu stabilisieren, jedoch erneut in Krisen zu verfallen, sobald sie in einem Forum aktiv ist und sich mit Forenteilnehmern auseinandersetzen muss.
Aufgabe eines Therapeuten ist in dieser Situation zuallererst, dieses Verhalten der Klientin zu thematisieren und offen therapeutisch zu klären, weswegen sie wiederholt Situationen aufsucht, die sie in Krisen stürzt, welche Bedürfnisse sie damit zu befriedigen sucht und welche dabei frustriert werden. Dabei sollte auch die Frage nach der Belastbarkeit der therapeutischen Beziehung aus ihrer Sicht zu fragen, denn womöglich gibt es Widerstände, therapeutisch relevante Themen innerhalb des Therapiesettings zu klären. Hierbei dürfte es auch erforderlich sein, eine erneute Übereinkunft und Vereinbarung mit der Klientin zu treffen, inwieweit das wiederkehrende Aufsuchen destabilisierender Situationen es ermöglicht, das Therapieziel einer psychischen Stabilisierung zu erreichen.
Es gehört in keiner einzigen klinischen oder anerkannten psychotherapeutischen Disziplin zur psychologischen Praxis, in eine dysfunktionale Dynamik des Klienten mit einzusteigen und diese noch zu fördern, indem externe Symptombekämpfung auf Nebenkriegsschauplätzen betrieben wird. Dieser Mangel an Distanz ist es, der dafür sorgt, dass in einer Therapie am Problem vorbeitherapiert wird.