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Am Rande der Trennung: Unsicherheit und Panik (lang)

AD203
Hallo liebe Foristen,

ich wäre eigentlich nie auf die Idee gekommen, so etwas in einem Forum zu schreiben aber ich vermute, ich muss es tun, um nicht völlig wahnsinnig zu werden, während ich hier sitze und einfach nur warte. Ich bin seit 6 Jahren verheiratet. Meine Liebesgeschichte empfand ich als märchenhaft: Ich wuchs in den USA auf und bekam in der Schule eine deutsche Brieffreundin. Wir entwickelten eine enge Freundschaft durchs Schreiben und begannen zu merken, dass wir die Seele des anderen wirklich liebten. Wir tauschten Photos aus. Ich besuchte sie dann irgendwann in Deutschland und wir waren völlig zerrissen, als ich mich am Flughafen von ihr verabschieden musste. Ich wollte nur noch aus Amerika raus, ich arbeitete, zog meinen Schulabschluss vor und wanderte nach Deutschland aus. Wir heirateten, damit niemand mehr uns trennen konnte.

Wir kommen beide aus schrecklichen Elternhäusern: Mein Vater beging 2011 Selbstmord nach einem ganzen Leben voller Alk. und Zwangsneurosen (Händewaschen in fünfminütigen Perioden, er konnte mich nicht anfassen, er hatte zahllose panische Phobien vor normalen Gegenständen) . Ihre Eltern vernachlässigten sie. Ihre Eltern ließen sich scheiden, ihr Vater behandelte die Kinder eher, als wären sie nur störend. Er gab ihnen alles nötig Materielle aber emotional konnte er nicht. Ihre Mutter holte Männer ins Haus, die sie vor den Kindern herumschlugen und Dro. nahmen. Überall wurden persönliche Grenzen überschritten und die Kinder wurden schon zu Erwachsenen verformt. Irgendwann stellte meine Frau auch fest, dass ihr Onkel väterlicherseits sie s.uell missbraucht hatte. Wir wohnten in einem Familienwohnhaus zusammen und dieser Onkel wohnte direkt über uns. Sie musste da weg. Ihr Onkel gestand der Familie alles, als meine Frau ihn darauf ansprach, aber er wollte uns nicht finanziell beim Umzug unterstützen. Wir verbrieten unsere Ersparnisse, zahlten drei Mieten gleichzeitig: Sie wollte in die Stadt, um näher an der Uni zu sein, ich wollte in der Umgebung bleiben, wo Schule und Arbeit waren. Wir beschlossen, getrennt zu wohnen, bis ich die Schule fertig hatte. Wir hielten es manchmal kaum aus, saßen nur noch zusammen, bekamen keine wirkliche Hilfe, Anrufe oder Unterstützung von der Familie und versuchten uns gegenseitig zu trösten, was aber irgendwann nicht mehr möglich war, weil jeder für sich selbst einfach überlastet und traumatisiert war. Wir gerieten oft aneinander, ich wollte mehr Ruhe und Abstand. Ich arbeitete häufig von 8 bis 17 Uhr für eine Zeitarbeitsfirma im Büro, wurde dort regelmäßig gemobbt und angeschrien und ging von 18 bis 22 Uhr auf die Abendschule. Ich schlief im Durchschnitt 3 bis 4 Stunden, wenns gut lief. Ich schaffte die Schule mit 1,0. Womöglich musste ich mir irgendwie beweisen, dass ich in wenigstens einer Sache nicht völlig ohnmächtig war. Meine Frau hatte irgendwann Streit mit der Mitbewohnerin der WG, in der sie damals war. Am Ende hatte die Mitbewohnerin und ihre Untermieterin meine Frau so zusammengemobbt, dass sie psychisch am Ende war. Sie wollte schnellstmöglich raus und suchte eine gemeinsame Wohnung für uns aus. Das hatte mich eigentlich geärgert, weil ich in der Zeit fürs Abitur lernte und hätte mich gerne daran beteiligt, weil ich immerhin auch dort wohnen würde. Ich nahm es aber auch irgendwie hin, wollte ich doch, dass sie schnell da raus konnte. Am Ende redete ihre ehemalige Mitbewohnerin dem Vermieter ein, meine Frau hätte Sachschäden hinterlassen und jetzt muss sie ihre Kaution zurückklagen. Auch die Maklerprovision musste sie zurückklagen, weil sie zu Unrecht behoben wurde: Der Vermieter besitzt auch die Maklerfirma.

Wir zogen schließlich in der Stadt dann zusammen. Ich begann auch zu studieren. Meine Frau war schon in einem späteren Semester, weil sie kurz nach unsrer Heirat schon ihr Abitur gemacht hatte. Sie zeigte ihren Onkel an, ging zum Weißen Ring und bekam einen Anwalt. Der Prozess steht im Februar bevor. Meine Frau erträgt häufig keine Ruhe, sie wird im Kopf von endlosen Gedanken- und Bilderketten heimgesucht, sie verharrt manchmal in einem zwanghaften Zergrübeln der Probleme und Auseinandersetzungen, die anstehen, kommt damit aber nirgendwohin und fängt an zu verzweifeln. Sie beginnt dann nur noch gewisse Sätze zu wiederholen und zu weinen: Ich will einfach nur mein Geld wiederhaben! (wenn sie nicht aufhören kann, an die Kautionsklage zu denken). Sie kann oft nicht loslassen. Sie hat dazu starke Verlustängste, ist manchmal so anhänglich, dass es einem wehtut. Als Kind hatte ihr niemand Liebe gegeben, sie scheint völlig bodenlos zu sein und hat kein Urvertrauen. Sie kommt sich nur noch wie eine Last vor. Sie hat mich oft verbal sehr schlecht behandelt, vermutlich weil sie sich diese Art der Kommunikation schon in der Kindheit als Selbstschutz zulegen musste. Ich hingegen bin sehr sensibel, wurde von einer sehr sensiblen und auf Gefühle achtenden Mutter erzogen, also war ich umso mehr empfindlich und verletzt, wenn sie bei Annäherungsversuchen meinerseits nach mir ausholte, während ich ihr Blößen gab.

Ich habe versucht, für die anstehenden Klausuren meines Studiums zu lernen, aber sie konnte einige Wochen lang nachts nicht einschlafen, wollte, dass ich ihr Märchen vorlese und sie ins Bett bringe. Das habe ich eigentlich immer gemacht, nur kommt es mir aufeinmal krankhaft vor. Ich fühle mich, als würde ich in die Rolle einer Vaterfigur gedrängt, die sie sich irgendwie durch mich besorgen will/muss. Am Anfang hatte ich noch Geduld, ich konnte sie noch trösten, aber als es kein Ende nahm und ich häufig übermüdet und gestresst aufstehen musste, begann ich nach Möglichkeiten zu suchen, innerlich und äußerlich Abstand zu halten, wenn sie solche Anfälle hatte. Ich spürte, wie es mich mitnahm und mich allmählich zermürbte. Ich bin auch sehr co-abhängig, sodass ich auf mich auch gar nicht mehr selbst achte und sehr darunter leide. Hinterher merke ich, dass ich für mich wichtige Aufgaben vernachlässigt habe und werde dann traurig und frustriert. Das merkt sie wiederum und fängt an, sich Vorwürfe zu machen, zu sagen, dass sie nur noch eine Last ist und alle stets von sich stößt, alles nur noch kaputt macht, mein Leben kaputt macht. Es ist wie eine unaufhörliche Spirale.

Sie behauptet dann plötzlich, niemand würde mir Ruhe und Zeit für mein Studium vorenthalte, dass ich mir diese Dinge einfach nicht gönne. Warum ich das tun sollte, hat sie noch nie erklärt. Wenn ich versuche, ihr klarzumachen, dass ich besorgt bin, weil sie keine Ruhe erträgt und an Gedanken leidet, dann dreht sie häufig den Spieß um und sagt, ich hätte eigentlich das Problem, weil ich damit nicht klarkomme, dass sie z.B. Weinkrämpfe hat, während denen sie unansprechbar ist und nicht reagiert oder sich hinsetzt, den Nacken mit den Händen bedeckt und schreit. Dabei merke ich, wie sehr diese Verhaltensmuster mich retraumatisieren, denn ich habe ähnliches schon in meiner Kindheit erlebt: Ich sehnte mich als Kind so sehr nach einem Zuhause, indem ich einfach ausspannen, ein Buch lesen und mich mit etwas beschäftigen konnte, aber mein Vater saß im Wohnzimmer, besoffen wie ein Zombie oder geriet in Hysterie bei Erinnerungen an seine Vergewaltigung und schrie das ganze Haus zusammen. Eines Tages wäre er fast drauf gegangen, als er sich die Adern aufschlitzte. Ich fand ihn im blutbespritzten Badezimmer und konnte mit meiner schreienden Mutter gerade noch rechtzeitig den Krankenwagen rufen.

Ich bin so emotional erschöpft und ertrage es alles nicht mehr. Ich sehne mich nach einem Rhythmus, einer berechenbaren Regelmäßigkeit, nach dem Wissen, dass zu Hause Ruhe und Frieden für Lesen, Entdecken und Kreativität da ist. Meine Frau sagt, es läge an mir, das zu schaffen und mich irgendwie von ihr zu distanzieren, wenn sie ihre Anfälle hat aber ich fühle mich durch solche Abweisungen verletzt, weil ich den Eindruck habe, ich wäre verrückt oder hätte allein das Problem. Ich beginne, den Sinn unsrer Beziehung zu bezweifeln, ich beginne sie nur noch als Belastung zu empfinden. Ich atme tief ein, bevor ich die Wohnung betrete und weiß nie, ob ich zu meiner Uni-Arbeit komme oder nicht, ob ich Schlaf finde oder nicht. Ich möchte ihr das nicht vorwerfen, aber es ist einfach keine stabile, sichere Zuflucht mehr. Die Welt erscheint mir als riesiger Zwinger, in dem man nur noch überall hingehetzt wird, aber nirgends ist ein sicheres Bett, in das man sich verkriechen kann.

Als sie vorgestern geweint und wiederholt hat, dass sie für mich keine Last sein wollte, fiel es mir schwer, mit ihr zu reden. Sie hatte sich auf der Couch zusammengekauert und ich kam mir vor wie der Erwachsene und sie wie das verlorene Kind. Wenn ich mich ihr nähere oder eine Blöße gebe, dann kommt sie mit spitzen Bemerkungen oder verletzenden Worten, sodass ich langsam abgestumpft und verhärtet bin. Ich empfand Mitleid aber ich hatte Angst, es zu zeigen, weil ich befürchtete, ausgenutzt zu werden. Ich war enttäuscht, weil ich auf eine Stipendiumfeier eingeladen war, ich freute mich darauf, mit einem Freund einfach nur da zu essen und auf einmal war mir klar, dass ich den Abend würde nicht genießen können, weil ich im Hinterkopf wüsste, was mich zu Hause erwartete. Ich verwarf den Besuch der Feier. Ich war zerknirscht und fühlte mich gefangen in einem Wirbel aus nie endend wollenden Krisen und Chaoszuständen. Ich bin gegangen, ich habe einen Koffer gepackt und bin zwei Nächte in einem Hotel geblieben. Ich bin jetzt wieder zu Hause aber sie ist nicht da. Sie ist irgendwohin gegangen. Ich kontrolliere kaum meinen Körper: Er zittert und zuckt, vor allem in den Oberschenkeln und um die Bauchgegend. Wenn ich atme, dann höre ich, wie mein ganzer Körper sich zusammenzieht und sich schüttelt. Ich kann kaum essen, ich bekomme es einfach nicht runter. Seit vorgestern habe ich eine Brotscheibe und eine Schüssel Reis gegessen, alles andere wird abgelehnt und kommt wieder hoch. Ich würge ab und zu, renne zum Klo aber es kommt nichts. Ich würge und würge. Ich habe mich noch nie so gefühlt. Meine Mutter, die einzige, mit der ich eigentlich auf meiner Seite noch zu tun habe, unterstützt mich so gut sie kann. Aber sie ist auf der anderen Seite des Atlantiks. Ich habe keine nahen Freunde. Die einzigen, die ich habe, hatte ich mit meiner Frau gemeinsam und die sind ihr zu Hilfe geeilt, als ich gegangen bin. Sie schlossen die Küchentür und es war mir klar, dass mit mir nichts zu tun haben wollten, sondern sich ganz meiner Frau widmeten. Ich vermute, ich bin unter ihnen der Böse oder der Verrückte. Ich fühle mich so allein und habe diese Panikanfälle, die ich noch nie gekannt habe. Ich weiß einfach gar nicht mehr, wo ich stehe, wo die Erde ist.

Meine Frau will nicht mehr mit mir reden, bis ich einen Termin bei Profamilia gemacht habe. Ich wäre sogar bereit, darauf einzugehen. Ich befürchte nur, weil sie unbewusst so manipulativ sein und die Zusammenhänge so verdrehen kann (wahrscheinlich hat sie das als Überlebensmechanismus in ihrer Kindheit lernen müssen), dass das ihr nur noch als Bußgang dienen soll. Es kommt mir vor, als sollte ich zurückgekrochen kommen, obwohl ich mich nur versuche, um meine Stabilität und geistige Gesundheit zu sorgen. Sie hatte geschrieben, wenn ich noch Interesse an der Beziehung habe, dann sollte ich das zeigen. Ich hatte sie angeschrieben, als sie mal kurz online aufgetaucht ist, habe gefragt wie es ihr geht und sie hat nur gefragt ob ich spinne und ob das mein Ernst sein soll. Es fällt ihr so schwer, sanft und einfühlsam zu sein. Ihre Worte sind häufig grob, verletztend und plump. Sie hat mir ständig geschrieben, ich solle aufhören, mit ihr online zu kommunzieren, hat aber dann immer wieder selbst lange Absätze geschrieben...Als ich antworten wollte, meldete sie sich ab.
Ich bin so enttäuscht von dieser Beziehung. Wir haben uns sogar gesagt, dass wenn es (für den Fall) so weit sein sollte, dass einer von uns womöglich gehen muss, um einen für ihn gesunden Schritt zu tun, dass wir das dann auch so erwachsen und respektvoll wie möglich handhaben. Sie wirkt aber sehr verbittert und hasserfüllt auf mich und das macht es alles nur noch schlimmer.
Ich weiß nicht so genau, wie der Stand jetzt ist. Wenn ich mir die Beziehung vor Augen halte, dann fühle ich eine große Enttäuschung. Alles scheint mir in Trümmern zu liegen und meine Frau kommt mir vor wie eine ganz andere, zu der ich mich auch nicht mehr so häufig angezogen fühle. Ich will alles andere als arrogant sein, wenn ich sage, dass ich häufig den Eindruck habe, in der Rolle des Erwachsenen zu stecken und sie in der Rolle des Kindes. Wenn ich während eines Streits rausmuss, um den Kopf frei zu bekommen, schreit sie Geh nicht!, um dann aber hinterher mich auszusperren, indem sie den Schlüssel ins Schloss schiebt. Wenn sie mir sagt, dass sie nach einem Streit traurig ist und ich mich ihr nähere und versuche, einfühlsam und liebevoll zu sein, kann sie aufbrausen und zustechen.

Sie ist für mich wie eine gute Freundin geworden, die schwerwiegende Probleme hat, die ich sehr liebe, aber in deren Umfeld es oft schwierig für mich ist, Frieden zu finden. Ich möchte aber auch so sehr, dass wir irgendeine Lösung finden, dass wir das Leben genießen und dass jeder seinen Leidenschaften nachgehen, seine Zeit so einteilen kann, dass es gut für ihn ist, ohne dass jemand sich gleich einsam oder vernachlässigt fühlt. Das ist aber nicht das erste Mal, dass ich eine Trennung in Erwägung gezogen habe und frage mich, ob sich gewisse Dinge jemals bessern werden oder ob ich mir das nur einrede, weil ich so traurig und enttäuscht bin, dass ich lieber verblendet bleibe. Ich höre eine Stimme, die ständig hoffnungsvoll sagt, dass sich alles bestimmt nach dem Prozess bessern wird, aber es gab schon in der Vergangenheit viel Streit, Suiziddrohungen, verrückte Nachmittage und Abende der Traumatisierung. Ich glaube, es fällt mir so schwer, eine etwaige Trennung zu ertragen, weil die Beziehung so lange das Zentrum meines Lebens war. Sie war mein Lebenselixier, als ich meine Familie nicht mehr ausgehalten und die große Liebe wie im Märchen gefunden habe. Und jetzt stelle ich völlig verstört fest, dass dieselbe Beziehung mich nur noch leer und erschöpft zurücklässt.

Ich habe jetzt so viel geschrieben. Ich kann nicht erwarten, dass jeder sich so viel durchliest. Ich vermute, ich musste es irgendwie gerade loswerden, um einfach nicht die Fassung zu verlieren. Danke an alle, die es lesen und in Gedanken bei mir sein möchten. Wenigstens so fühle ich mich nicht ganz so einsam. Falls jemand auch Vorschläge für Maßnahmen gegen Panickattacken und Würgen, wäre ich sehr dankbar. Ich wünsche allen einfach Ruhe und Kraft. Sie sind so wichtig.

01.02.2015 00:11 • x 1 #1


P
Hallo!
War schon auf dem Weg ins Bett, hab aber dann noch deinen Artikel gelesen.

Ich habe tränen in den Augen! Es schmerzt mich, dass so ein Schicksal tragen musst!
Es ist unfassbar traurig.

Ich kenne mich mit Panik-Attacken und dem psychosomatischen würgen nicht aus.
Aber es ist ein sehr extremes Zeichen deines Körpers, deiner Seele! Beide schreien so sehr nach Hilfe!

Würdet ihr zu profamilia gehen, würde es wahrscheinlich auch hilfreich für dich sein. Denn schnell wäre zu erkennen, dass deine Frau in einer Beziehung kaum tragbar ist.
Sie hätte schon lange in psychologische Behandlung gehen müssen.

Deine Einschätzung Erwachsener/Kind passt sehr gut..

Ich bin in Gedanken bei dir. Ich sende dir viel, viel kraft.

Ich weiß, dass bei Panik-Attacken die Atmung sehr, sehr wichtig ist! Versuche die Aufmerksamkeit darauf zu lenken.

Vielleicht hast du die kraft, dir eine psychologische Beratungsstelle aufzusuchen. Es wäre so schön, wenn jemand für dich da wäre!

Wer tröstet dich? Wer ist für dich da? Nimmt dich in den Arm? Das tut mir richtig leid..

01.02.2015 00:50 • #2


A


Am Rande der Trennung: Unsicherheit und Panik (lang)

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AD203
Hallo peppina,

meine Mutter ist für mich da, wenn sie es sein kann. Der Zeitunterschied macht das ja schwierig, aber es klappt immerhin für eine oder zwei Stunden. Dann können wir skypen. Dann hören die Zuckungen usw. wenigstens zum größten Teil auf. Die Panik kommt dann aber wieder, wenn man sich verabschieden muss, wenn der Bildschirm ausgeht und man die Stille spürt. Dann merkt man, dass man allein ist und sich nur selbst hat. Vielleicht ist das aber auch nötig, damit ich lerne, mich aus den Ketten ungesunden Verhaltens zu befreien. Vielleicht reagiert mein Körper so extrem, nicht nur wegen Herzeleid, aber auch weil es eine radikale Änderung ist: Ich hatte mich wahrscheinlich irgendwie damit abgefunden, unter solchen Umständen zu leben, ich habe verdrängt, wie sehr es mich belastete und wollte es auch nicht sehen. Mein Körper hatte sich arrangiert mit dem ständig spürbaren Stress nur damit der Alltag zu bewältigen war. Und jetzt ist er plötzlich aus diesem eingerosteten Zustand befreit worden und weiß gar nicht mehr, wo oben und unten ist.

Ich habe mir Baldrian besorgt und versuche es damit. Ich trinke keinen Kaffee, nichts, was irgendwie hochpuschen könnte, um nicht noch mehr durchzudrehen. Ich habe so etwas noch nie gekannt. Ich wusste nicht, dass der Körper so reagieren kann, obwohl ja eigentlich nichts mich physisch angreift. Es tut auch hin und wieder im Hals weh, wo die Lymphknoten sitzen. Im Kopf hämmert es. Ich glaube, es strömen einfach so viele Stresshormone im Blut gerade.

Ich danke dir für deinen Rat und merke schon, dass es tatsächlich etwas hilft, wenn man tief in den Bauch atmet und das auch langsam.

01.02.2015 01:14 • #3


Hey
Lieber AD203,

ich habe dich auch gelesen und bin berührt von deiner reflektierten, ungeschminkten und klaren Art, die Dinge zu beschreiben.

Es ist spät, ich bin müde, und werde deshalb wohl nichts ausschweifendes mehr beitragen können. Aber gedanklich bin auch ich bei dir. Ich verstehe dich. Und deine emotionale Einsamkeit.

Mit dieser Art Einsamkeit braucht man ganz dringend einen ruhigen Ort für sich allein, um zu sich selbst zu kommen! Denn die Erfahrung, dass einen niemand emotional erreicht bzw. erreichen kann oder will, und die ja für dich bei deiner Familiengeschichte sicher etwas ist, das du gelernt hast, ganz unsentimental zu händeln - diese Erfahrung kann nur durch zwei Sachen heilen:

1. Anteilnahme einfühlsamer oder zumindest interessierter, und nicht-gleichgültiger Menschen (ist ja immer nur temporär möglich )

2. Ruhe und Abgeschiedenheit, die Stille als Quelle, um seine ureigene Energie wieder wahrzunehmen und zu spüren; die baut sich nach anderthalb, zwei Tagen wie ein energetisches Kraftfeld wieder auf!

Die Panikattacken kommen wahrscheinlich von der Orientierungslosigkeit (deines Herzens), und weil du widerstreitende Gedanken hast, die dich in gegensätzliche Richtungen gleichzeitig ziehen (hetzen). Dadurch verliert man sich. Und energetisch ist man dann so zerpuzzelt, dass man NUR NOCH schwarz sieht! Glaube mir, sobald du deine eigene energetische Resonanz wieder spürst, kommt auch wieder Zuversicht auf. Das geht ganz von selbst, ohne psychologische Tricks. Aber die Abwesenheit gesunder Energie in deiner Umgebung (!) lässt dich völlig vergessen, was Hoffnung ist ...

Will sagen: du brauchst jetzt keine brauchbaren Stragtegien und Perspektiven oder Entscheidungen erarbeiten (das geht in dem Zustand eh nicht!), sondern du brauchst buchstäblich erstmal Luft zum atmen und ein ungestörtes Energiefeld.

Was immer deine Frau von dir fordern mag - du nimmst dir Bedenkzeit. Die brauchst du. Und wenn es von ihrer Seite aus DARAN scheitern sollte, tja, dann ist da auch keine Substanz mehr für die Fortsetzung eurer Beziehung.

Sei dir klar darüber, dass die Last der Verantwortung oder das Zünglein an der Waage nicht ausschlaggebend auf dir liegen kann! Das wäre Unsinn. Du hättest allen Grund, zu kapitulieren, und ich glaube sogar, dass du einmal soweit gehen solltest jetzt - kapituliere

Du bist auch nur ein Mensch. Und es kann nicht sein, dass du damit etwas auf immer zerstören kannst, nur weil du dir eine Auszeit nimmst. Die Stille ist die Quelle unserer Beziehung zu uns selbst (und zu Gott, wie ein katholischer Priester einmal sagte, der mir gerade einfällt).

Du solltest jetzt auch nicht deine Co-Abhängigkeit aufarbeiten wollen ... das hat alles Zeit, und man muss nicht die ganze Suppe jetzt auslöffeln - nein! Das Leben und das Universum arbeitet in seinen Grundzügen FÜR uns, egal was wir später noch ändern oder erkennen müssen.

Komme wieder zu dir selbst, und dann wirst du die richtigen Umstände und helfenden Hände in dein Leben ziehen. Lass einmal alles los und schaue auf dich jetzt

Und ja, die Atmung ist mit der Psyche verbunden; wenn dir die tiefe Bauchatmung gelingt, beruhigen sich deine Gedanken und Gefühle. Man kann nicht tief in den Bauchatmen und gleichzeitig Angst haben, ist ausgeschlossen. Angst ist immer mit einer flachen Atmung verbunden - Brustbein oder Schlüsselbein Atmung.

Mehr kann ich gerade nicht schreiben, und ich hoffe, du wirst einen erholsamen Schlaf finden.

Gute Nacht

01.02.2015 02:22 • x 1 #4


AD203
Danke für die lieben Worte. Ja, ich kapituliere. Ich kümmere mich um mich selbst. Etwas in mir wünscht immer noch, aber auch immer leiser, dass auch ein Kapitulieren in der Beziehung ginge. Es kommen mir manchmal solche Ängste: Was ist, wenn es nach dem Prozess doch alles anders ist? Was ist, wenn wir uns ändern? Mache ich denn die richtige Entscheidung? Verwerfe ich die Liebe meines Lebens?

Andererseits sagt mir auch eine Stimme, dass wenn wir es nicht überwinden, einander so anzunehmen, wie wir sind, d.h. auch einander gehen zu lassen, dann werden wir innerlich nicht völlig frei sein, wenn wir doch eines Tages zusammenbleiben sollten. Ich sehe außerdem beim Zurückschauen so viele Aspekte der Beziehung, die sich sehr ungesund auf mich auswirkten. Meine Frau tut sich schwer, Verantwortung für ihr Verhalten zu übernehmen. Sie entschuldigt sich hinterher, wenn sie merkt, dass ich mir nicht respektiert und wertgeschätzt vorkomme. Ich habe aber den Eindruck, dass sie das oft tut, damit es nur irgendwie weitergeht und ich etwas erledige.

Gerade jetzt kommt das Weinen. Denn es kommen nicht nur schlechte, sondern auch gute Erinnerungen. Rückblickend glaube ich aber, dass es nur wenige der letzteren gegeben hat. Wir sind doch in vielen Dingen verschieden, vor allem was die Tageseinteilung betrifft. Ich bin spontaner, unmittelbarer. Sie braucht sehr viel Planung und Struktur, was mir beim Kochen, Essen usw. häufig sehr zu schaffen gemacht hat. Denn sie machte Druck, wenn sie Hunger hatte, war aber sauer, wenn ich nicht (mit)kochen wollte, weil ich noch beschäftigt war. Sie behauptet nach Streiten hinterher oft das Gegenteil: Sags mir doch einfach, wenn du nicht kochen willst. Das ist doch kein Problem oder auf einmal: Sag mir doch einfach, wenn du nicht kochen willst! Ich werde ja enttäuscht sein, aber damit musst du auch irgendwie leben und rechnen! Das gehört halt dazu, das sind meine Gefühle! Ich bin ich etc. Solch einfache Dinge wie Essen, Schlafengehen etc. kamen mir oft so zwanghaft vor. Es gelang ihr nicht, einfach ihr Ding zu machen und mich meines machen zu lassen, mit der inneren und beruhigenden Versicherung, dass wir ja beide dabei glücklich und in unmittelbarer Reichweite sind. Es gab einfach so selten einen Flow, so viel stockte. Sie wollte so oft, dass ich mich an ihrem Tagesablauf mitbeteilige, nur so schien sie mir glücklich sein zu können. Andernfalls hieß es oooch schaaade oder sie fragte sogar mehrmals hintereinander: Bist du dir sicher, dass du nicht...xyz? und zog hinterher ein sehr trauriges Gesicht, wenn ich weiterhin höflich ablehnte. Es war irgendwann so kraftraubend, wie ein schwarzes Loch, das sich niemals sattkriegen kann. Ich darf den Vergleich ihr gegenüber nicht verwenden, aber es umreißt mein Empfinden dem gegenüber haargenau.

Die guten Erinnerungen erwecken aber meine romantische Phantasie, sie erregen eine traurige Hoffnung, dass es sich doch zum besseren wenden könnte, dass ich mich in dieser Beziehung irgendwie mit ihr auf Augenhöhe befinden könnte. Ich möchte Gegenseitigkeit aber wenn sie ihren Freunden erklärt, was für Probleme ich oft zu Hause mit ihr habe, dann fasst sie das so zusammen, dass ich eigentlich nur das Problem habe, emotional instabil bin, sie mit meinem Vater verwechsele oder ihr die Schuld für mein Unglück zuschiebe. Sie ist so gefangen in ihrem eigenen Schmerz, dass sie nicht fähig ist, empathisch zu sein. Und es ist nicht so, dass sie nur hin und wieder mal einen Tiefpunkt hat. Ich stehe dann einsam da und fühle mich wie auf der Titanic. Ich gehe unter und niemand weiß davon. Niemand kann mich drücken und gleich stark sein, es wird nicht gegenseitig gestützt wie ein bei einem gleichschenkligen Dreieck, stattdessen ist es mir sooft wie Kind-Mann-Beziehung.

Und in diesem Zusammenhang war auch Empathie stets für mich ein Thema. Sie wusste nie, Empathie zu geben, weil ihre Mutter so mitleidsüchtig ist und alles, was man sagt nur noch mit eigenem Leid zu übertrumpfen versucht. Als Kind konnte meine Frau also keine Empathie bekommen. Das hat bei mir so oft zu Verletzungen geführt, weil ich Empathie schon von meiner Mutter gelernt hatte. Ich wusste jahrelang zwar nicht, wie es damals hieß, ich dachte einfach am Anfang unsrer Beziehung, dass jeder das Ding irgendwie hätte. Es ist ja etwas, das man auch spürt, wenn man feinfühlig genug ist. Ich tue mich als Mann besonders schwer damit. Ich bin - im Gegensatz zu anderen Paaren - feinfühliger als meine Frau. Sie kann so hart und grobschlächtig mit ihren Worten und Anreden umgehen (sie sagt manchmal du Ar. oder du Ar. und meint es gar nicht böse, aber es verletzt mich), da kommt es mir vor, als entblöße ich mein Herz und es schabt mir jemand, der mir wichtiger ist als alle anderen auf der Welt, alles zu Brei.

Ich frage mich so verzweifelt, ob wir es nicht unter einer anderen Konstellation schaffen könnten. Was wäre gewesen, wären wir aus anderen Elternhäusern gekommen? Was wäre gewesen, wenn ihr Onkel ihr das nicht angetan hätte? Wäre es heute so schlimm? Wäre sie selbstständiger geworden? Ich versuche so sehr, Menschen anzunehmen, wie sie sind und hoffe so oft, dass diese Frau häufig nicht so ist wie sie sich benimmt, dass das alles nur ein schrecklicher harter Panzer ist, den sie sich zulegen musste.Ich hoffe so sehr, dass er eines Tages abfällt und ihr wahres strahlendes Ich freigibt. Wo hören die Dinge, für die man nichts kann auf und wo fängt die Selbstverantwortung an, sich diesen Panzer bewusst zu werden, damit man ihn gezielt abwerfen kann, um seinem Partner nicht mehr Herzeleid zuzufügen?

Ich habe mir vorgenommen, nach Wohnungen zu suchen, um immerhin einen Plan zu haben. Mir wird dabei speiübel und ich kriege immer noch nichts runter, aber ich kann diesen Sonntag nicht anders verbringen. Ich spüre den Hunger aber ich habe Angst mich wieder übergeben zu müssen. Einfach nur dazusitzen, als ob man auf den Pistolenschuss warten würde, das ist furchtbar. Ich weiß nicht, ob sie kommt. Ich weiß nicht, wann sie kommt. Ich habe auf jeden Fall schreckliche Angst davor. Ich bin ein großer 25-Jähriger Mann und habe Angst vor meiner Frau, weil sie so viel Einfluss auf mein nervliches Wohlergehen ausüben kann.

Ich sage mir immer wieder, dass wenn das hier alles vorbei ist, dass ich nie wieder eine Beziehung führen will. Ich sehe nicht mehr den Sinn darin, dass sich zwei verschiedene Menschen unterschiedlicher Geschlechter so viel Leid und Schmerz zufügen, in Angst und Unsicherheit leben, am Ende das Unglück nur noch in Kauf nehmen, damit man die Wohnung hält. Ich wünsche mir, es hinge nicht so viel von Bürokratie und Geld ab. Am Ende geht es immer darum. Ich frage, wie die Menschen aneinander herantreten könnten, wenn jeder erstmal seine eigene Sicherheit hätte, von seinem eigenen Wurzelwerk an ein anderes heranwachsen könnte, keine Verelendungsängste, nur freie Begegnung, Auswählen-Können, Probieren-Können, Sich-Zurückziehen-Können. Ich bin so traurig. Es ist, als ob jemand gestorben ist. Ich möchte nicht die Trauer mit der Bereuung irgendeiner Entscheidung verwechseln. Es ist gerade so schwer, die Gefühle zu deuten. Ich befürchte, dass ich mich selbst vor der wichtigen Entscheidung zurückhalte, es einfach zu tun, weil ich nämlich die gewaltige Trauer um den Tod einer einst so schönen Sache mit der Reue (tu es nicht, du wirst dir etwas schönes verderben!) verwechsle. Ich schlafe gar nicht mehr und freue mich so über eure Beiträge. Es hilft, dass wenigstens so jemand da ist.

01.02.2015 10:34 • #5


T
Lieber Ad203,

Zitat:
Falls jemand auch Vorschläge für Maßnahmen gegen Panickattacken und Würgen, wäre ich sehr dankbar.


Ich hatte genau diese Symptome auch eine zeitlang. Ich weiß, wie Du Dich fühlen musst. Es ist eine schreckliche, erschreckende Erfahrung und man fühlt sich völlig hilflos.
Da ich jetzt keine Zeit habe, mehr zu schreiben, möchte ich Dich nur wissen lassen, dass es überwindbar ist, dass es besser wird. Es ist wirklich so, als würde die Welt Kopf stehen und man selbst verliert jeden Halt.
Aber es ist auch ein deutliches Zeichen Deines Körpers, dass Du ganz stark wider Dich lebst. Jedes Symptom ist eigentlich ein Bote Deiner Seele, der Dir Gutes will. So, wie ein Schmerz, der entsteht wenn Du z.B. Deine Hand auf eine heiße Herdplatte legst. Der Schmerz sagt Dir: weg davon! Er will Dich schützen. Vielleicht nimmt Dir das ein wenig die Angst vor den Symptomen.

Ich hatte diese Symptome wie aus heiterem Himmel und ganz massiv. Dann began ich mit Atemübungen, die sich anfangs sehr schwer gestalteten denn man fühlt sich wirklich wie ein panisches Tier und da fällt es schwer, sich aufrecht in den Schneidersitz zu setzen und zu atmen aber bitte versuche es. Ich habe es durch intensive Atemübungen bei geschlossenen Augen geschafft, dass die Panik und das Würgen aufhörte. Wichtig ist, dass Du dabei auch geistig ganz beim Atem bleibst und immer wieder versuchst, aufzuhören zu denken. Immer wieder alle Konzentration auf die Bewegungen des Atems lenken...Ich habe das immer so ungefährt eine halbe Stunde gemacht und es hat nur gewirkt wenn ich mich richtig darauf eingelassen habe. Hilfreich sind auch Meditiations-CDs (gibt es auch bei Youtube). Entweder angeleitete Meditationen oder auch einfach welche mit Vogelstimmen, Regengeräuschen etc.

Es geht darum, Dich wieder auf Dich einzulassen, Dich wieder zu spüren.

liebe Grüße

01.02.2015 15:11 • x 1 #6


AD203
Hallo,

ich danke euch für eure Ratschläge und netten Worte. Ich schreibe mal wieder, um die Einsamkeit und das Gefühl der Bodenlosigkeit zu vertreiben. Ich bin nach meinem Abenteuer im Hotel nach Hause gefahren, um meine Frau dort nicht vorzufinden. Sie wollte mich nicht sehen, als ich ihr eine Mail geschrieben hatte, dass ich am nächsten Tag heimkomme. Ich bin allein in dieser Wohnung fast zugrunde gegangen und habe schließlich beschlossen, mal eine Auszeit zu nehmen und zu meiner Mutter und ihrem Freund nach Amerika zu fliegen. Es war etwas teuer, aber meine Nerven lagen dermaßen blank und ich hatte niemanden um mich...meine Verwandtschaft ist nun mal hier in den USA. Ich habe meiner Frau zum ersten Mal einigermaßen normal kontaktieren können heute, d.h. wir haben per Skype gechattet. Ein Video-Chat bzw. ein Telefonat wollte sie nicht. Das letzte Mal, dass sie mich wirklich sehen wollte, war vor meinem Abflug. Komischerweise hatte sie mich aber nicht in der Wohnung sehen wollen, als noch nicht klar war, dass ich mal abreise. Da wollte ich sie aber dann nicht mehr sehen und meinte, das würde mich viel zu sehr aufwühlen. Das nahm/nimmt sie mir (glaube ich) sehr übel.

Ich konnte mich hier in Amerika mit einer guten Heilpraktikerin aus Darmstadt unterhalten habe mich behandeln lassen und werde auch bald eine Psychiaterin besuchen, weil ich emotional am Boden liege. Ich fühle mich so gebrochen, so unsicher. Die Chatsitzung hatte sehr komisch begonnen...meine Frau hatte mir erzählt, wie sie die Wohnung mal geputzt hat, dass sie vorhat, mit ihrer kleinen Schwester am Wochenende Muffins zu backen. Sie hatte mir einen Link zu einer Amazon-Anzeige für ein Handy geschickt und wollte wissen, was ich davon halte. Sie hätte gesaugt, Wäsche gewaschen...Sie hatte mir davor per Mail geschrieben, dass sie mir tolle Dinge zu erzählen hätte. Das waren scheinbar die tollen Dinge...
Als ich ihr gewschrieben habe, dass es mich sehr verwirrt, wie sie mir ganz normale Dinge erzählt, während wir auf verschiedenen Seiten des Atlantiks sitzen und ich mich deutlich in einer Beziehungskrise sehe, da war sie selbst perplex. Als ich ihr sagte, wie sehr es mich mitgenommen hatte, meine Lernzeit mitten in der Nacht verteidigen zu müssen, wie sehr mich ihre neurotischen Anfälle beunruhigt haben, da war sie überrascht und meinte, sie wüsste nie, dass das mich so mitgenommen hätte. Sie hätte immer nur gedacht, ich hätte mit mir selbst ein Problem gehabt, wäre mit mir selbst unzufrieden gewesen. Dabei hatte ich ihr doch gesagt, dass ich nicht studieren konnte, weil es so ablief bei uns zu Hause. Sie meinte, sie fühlt sich jetzt erleichtert, da sie jetzt weiß, was mich so beunruhigt hat. Sie sei sehr traurig zu erfahren, dass ich ausziehen will und würde gerne einfach daran arbeiten. Ich müsse ihr nur lediglich besser kommunizieren, was ich will und was ich brauche, damit sie darauf eingehen kann.

Unterm Strich komme ich mir selbst völlig wahnsinnig vor. Ist das auch etwa ihr Ziel? Wie kann sie NICHT gewusst haben, worum es hierbei ging? Ist es auch so einfach? Das kann ich mir kaum vorstellen. Ich habe ihr mehrmals gesagt, dass ich ihretwegen nicht studieren, nicht innere Ruhe oder Konzentration finden kann. In jedem Fall thematisiert sie und schreibt über alles sehr groß, dass ich sie mal mit einem Vampir verglichen habe. Das sei für Selbstmordgedanken und ihr allgemeines Benehmen verantwortlich gewesen. Sie sehe es nicht ein, so mit sich reden zu lassen und fühle sich zutiefst verletzt wenn die Person, die sie am meisten liebt so mit ihr spricht. Am Ende läuft es darauf hinaus, dass ich meine Art der Kommunikation ändern muss, damit sie auch weiß, was ich will und brauche. Zudem solle ich auch aufhören, sie zu beleidigen (was klingt, als ob ich das regelmäßig täte...dabei hat sie mich häufig Ar. oder *beep* in unsrer Beziehung genannt, selbst wenn es nur aus Spaß war...).

Unsere lange Diskussion endete damit, dass sie noch sieht, wie emotional ich bin. Sie glaubt, es sei noch zu früh für mich, mit ihr zu kommunizieren. Ich solle lange Zeit in Amerika bleiben und lernen, mich um mich selbst zu kümmern. Das alles finde sie sehr schade, aber ich brauche wohl mehr Zeit. Es endet fast immer damit, dass ich in der Position des Gestörten und Erziehungsbedürftigen dastehe.

Ich fühle mich so gestrandet und so vom Wahnsinn gepackt. Es macht so traurig, das kann ich euch nicht klarmachen. Es ist, als ob jemand mir wirklich mit einem Schürhaken das Herz in den Bauch hinunterreißen will. Es ist, als ob jemand mir wegstirbt. Ich habe das Gefühl, es mit einem Psychopathen zu tun zu haben. War sie immer so? Und wenn nicht, dann ist es noch schlimmer. Dann ist es, als ob diese wunderschöne, lachende, intelligente Frau von einer scheußlichen Kruste eingenommen ist, die sie völlig beherrscht und in ihrer eigenen Welt leben lässt. Es ist irgendwie keine Empathie da, sie scheint mir so weit weg zu sein...ich könnte mich übergeben, so sehr wühlt mich das auf. Ich sehe uns auf den Trümmern eines Schiffswracks, ein Sturm tobt und sie schwebt zum Horizont. Ich halte meine Hand aus, ich schreie und brülle, aber sie entgleitet mir...und ist irgendwie trotzdem da.

Beim Durchlesen meiner eigenen Worte fühle ich mich wieder etwas mehr darin bestätigt, dass ich mich für ein getrenntes Wohnverhältnis entschieden habe. Aber ich habe solche Angst, dass ich nicht das Richtige getan habe. Ich habe Angst und gleichzeitig betrauere ich etwas, wie ich etwas noch nie betrauert habe. Und ich war sogar dabei, als mein Großvater unmittelbar gestorben ist. Ich habe meinen Vater durch Selbstmord verloren. Ich kenne Verlust...aber dieser Verlust ist viel schlimmer, weil die Person irgendwie noch lebt und atmet, aber doch nicht da ist.

Ich bitte euch um Urteile über die Persönlichkeit meiner Frau, selbst wenn ihr keine professionellen Therapeuten und dergleichen seid. Womit habe ich es hier zu tun? Was ist das? Es kommt mir tatsächlich psychisch gestört vor, aber ich hüte mich so oft davor, Menschen ihre geistige Gesundheit vorschnell abzusprechen. Das wird auch getan, um Menschen häufig zu entmündigen. Vielleicht ist es tatsächlich ein gravierender Fall der Misskommunikation? Aber wenn ich meine Worte vor dieser Trennungsphase bedenke, wenn ich mir überlege, wie wir uns gestritten haben und was ich davor alles gesagt habe, dann kann ich mir nicht erklären, warum meine Beweggründe auf einmal meine Frau überraschen sollten.

Es kommt mir alles so surreal vor. Ich hatte mir niemals träumen lassen, dass ich eines Tages in einer solchen Situation stecken würde. Es hatte alles so märchenhaft und wunderschön begonnen. Ich wünsche allen eine erholsame, ruhige Nacht und viel Kraft.

13.02.2015 05:57 • #7


S
Lieber AD203,

ich kann jetzt leider nicht alles aufschreiben, was mir zu Deinen Beiträgen einfällt aber ich möchte Dir den Rat geben, noch einmal Heys Beitrag zu lesen. Da steckt so viel wichtiges drin. Auch ich glaube, dass Du in der Vefassung, in der Du gerade bist, gar keine Entscheidungen treffen kannst. Das einzige, was Du tun kannst ist Dir Hilfe zu suchen, um wieder zu Dir zu kommen (und das tust Du ja schon). Man liest ganz deutlich heraus, dass Du ein ausgesprochen liebevoller, reflektierter und schöner Mensch bist. Trotz Deiner Tragödie schreibst Du sehr klar, intensiv und voller Liebe.

Du selbst hast mehrmals erwähnt dass Deine Frau sich wie ein Kind gebärdet und Du in die Rolle des Vaters gerätst...Nun, da Du ausgelaugt bist, ist sie nicht für Dich da, grenzt sich eiskalt ab und trägt Dein Leid nicht mit. Das ist mein Eindruck. Es ist möglich, dass sie selbst so labil ist, dass sie eine Art kindliche Wut empfindet, dass ihr Vater jetzt nicht mehr verfügbar ist und dass sie bei ihm keinen Halt mehr findet.

Ich weiß...man sucht nach Erklärungen...aber im Grunde spielt es keine so große Rolle, warum sie sich so verhält, wie sie es tut. Sie begegnet Dir nicht erst jetzt empathielos, Du hast sie seit Jahren versucht zu stabilisieren, ihr beiszustehen usw. Nun kannst Du nicht mehr und Deine Psyche, sowie Dein Körper schreien geradezu danach, dass Du jetzt nur für Dich da bist.

Ich denke, dass vieles zu Deinem jetzigen Zustand beigetragen hat. Zum einen natürlich die jahrelange psychische Belastung durch die Beziehung. Zum anderen hast Du in dieser Beziehung offenbar Dein Kindheitstrauma faustdick wiederholt und bist jetzt möglicherweise retraumatisiert. Man kann deutlich die Parallelen zwischen Deinen traurigen Kindheitserfahrungen und Deinen Beziehungserfahrungen herauslesen.

Du scheinst so selbstlos zu sein, dass Du daran zweifelst, ob Du Dir eine Auszeit gönnen darfst, selbst dann noch, wenn Du den Zusammenbruch schon überschritten hast. Du fragst Dich, ob Du diese Beziehung aufs Spiel setzt. Womit solltest Du das tun? Du bist zusammen gebrochen, Du leidest und sie ist nicht für Dich da. Du versuchst ihr im Gespräch nah zu sein und sie wendet sich radikal ab:

Zitat:
Ich solle lange Zeit in Amerika bleiben und lernen, mich um mich selbst zu kümmern.


Ich weiß, es ist kaum machbar aber höre auf, bei ihr Anteilnahme finden zu wollen, das wird Dich immer weiter in die Verzweiflung treiben. Umgebe Dich jetzt mit Menschen, die für Dich da sind, die Dir helfen wollen und Dich nicht brauchen. Du brauchst jetzt nichts als Ruhe und gesunde Energie. Alles anderen Entscheidungen kannst Du zu einem anderen Zeitpunkt treffen. Du schreibst, dass Du wenig Freunde hast...Vielleicht solltest Du auch für ein paar Wochen in eine Klinik gehen. Das rate ich nicht weil Du irre auf mich wirkst, sondern weil ich weiß, wie sehr man sich selbst abhanden kommen kann und dass es in diesen Zeiten nichts so sehr braucht wie ein Nest, Menschen, die einen umgeben, therapeutische Gespräche, Regelmäßigkeiten usw. Gerade Du solltest Dich vielleicht wirklich einmal wie ein Baby fallen lassen können.

Kleiner Mutmacher: ich habe eine sehr ähnliche Beziehung mit meinem Exfreund geführt. Ich habe mich sehr ähnlich wie Deine Freundin verhalten und mein Exfreund so wie Du. Es eskalierte nicht ganz so wie bei euch und die dramatischen Phasen waren etwas gemäßgter...Aber wir kamen beide an den Punkt, an dem ihr jetzt seid. Allerdings beide in der Situation, in der Du Dich jetzt befindest...also beide mit Nervenzusammenbruch...Es war fürchterlich...aber es hat uns beide mit aller Gewalt wachgerüttelt! Und wir beide haben einen Weg gefunden, um wieder glücklich zu werden- getrennt.
Wie man unschwer folgern kann, sind auch wir traumatisierte Kinder...aber eines möchte ich Dir dazu noch sagen: auch die schlimmsten Misshandlungen in der Kindheit sind keine Rechtfertigung dafür, so empathielos miteinander umzugehen. Dein Verständnis für ihr Verhalten wird sie nicht dazu bewegen, an sich zu arbeiten oder anders mit Dir umzugehen. Die Liebe allein heilt eben doch nicht alle Wunden- wie Du jetzt schmerzvoll feststellen musst. Bei so einer tragischen Geschichte ist eine Therapie nahezu unumgänglich.

Ich fürchte, der Mutmacher ist untergegangen: ich will Dir nur sagen, dass es nach so einer heftigen Erschütterung wieder bergauf geht. Du sehnst Dich nach Frieden und Du wirst ihn finden lieber Ad203 Du hast ihn Dir leider jahrelang selbst vorenthalten indem Du diese Beziehung geführt hast. Ich weiß, dass diese Frau auch ein ganz besonderer Mensch sein muss und sie Dir nicht nur Kraft genommen haben wird denn Deine Beiträge sind von der Liebe zu ihr durchdrungen...Aber leise schleicht sich auch der Wunsch ein, aus diesem immerwährenden Krisenzustand auszusteigen...

Ich hätte gerne strukturierter geschrieben, stehe aber etwas unter Termindruck.

Ich schicke Dir ganz viel Ruhe und Zuversicht

13.02.2015 18:01 • x 1 #8


AD203
Ich habe mich 2 Monate bei meiner Mutter in Amerika aufgehalten und konnte einigermaßen körperlich wieder gesund werden. Morgen fliege ich nach Deutschland zurück und werde versuchen, so viele Scherben wie möglich wieder aufzulesen. Ich bin so nervös wie noch nie zuvor im Leben. Ich kann nicht schlafen.

Oft frage ich mich, wie ich das alles hinkriegen soll. Meine Mutter unterstützt mich finanziell, aber ich habe Angst davor, organisatorisch und logistisch auf mich allein gestellt zu sein. Ich habe Angst vor der Unsicherheit des Beziehungsstatus. Mir fehlt jegliche Zuverlässigkeit im Leben zur Zeit. Ich fühle mich, als könnte ich genauso gut auf einem Kriegsfeldzug sein: Zwar bin ich nicht vom Tode bedroht, aber es läuft ständig Adrenalin durch meinen Körper und ich weiß gar nicht so genau, wo ich im nächsten Monat schlafe.

Ich bekomme auch bezüglich meiner bisherigen Entscheidungen weiche Knie. Manchmal fühlt es sich so an, als könnte ich mich in meiner Bestimmtheit bzgl. der getrennten Wohnungen geirrt haben. Die Verzweiflung und die Angst kommen hoch, dass mir der Appetit vergeht. Ich lese alte Skype-Nachrichten von meiner Frau, in denen sie hin und wieder sinnvolle, gute und rücksichtsvolle Dinge geschrieben hat. Ich habe auf einmal schreckliche Angst, dass ich eine überstürzte Entscheidung getroffen habe, dass ich - so überfordert und verloren wie ich war - etwas übersehen habe, eine Hilfsmöglichkeit, eine Lösung. Ich habe Angst, dass ein getrenntes Wohnverhältnis die Beziehung jetzt zerstört, obwohl sie womöglich noch zu retten gewesen wäre. Es wickeln sich eisige Finger um meine Magengrube und drücken mit aller Kraft zu. Meine Frau sollte jetzt schon dabei sein, das Schlafzimmer zu streichen und alles umzuräumen. Ich denke hin und wieder die Möglichkeit an, alles abzublasen und zu ihr zurückzukehren, habe aber Angst vor ihrer Ablehnung und ich habe Angst, wie ein unentschlossenes Weichei dazustehen.

Ich lese ihre Nachrichten und erinnere mich an meine körperliche und geistige Erschöpfung und ich frage mich: Wieso schreibt sie erst dann so reife und rücksichtsvolle Nachrichten, nachdem ich eine solch drastische Maßnahme unternehmen musste, um wieder zu Kräften zu kommen? Und andererseits lese ich Nachrichten, in denen ihre Verständnisgrenzen gar nicht so großzügig gezogen waren...Ich lese Nachrichten, da war sie schnell beleidigt und drehte eigentlich nur ständig den Spieß um oder blies meinen Vergleich ihrer Persönlichkeit mit einem Vampir sehr groß auf, dass dieser angeblich die Ursache für ihr Verhalten vor meiner Abreise gewesen wäre, dass es sie dazu gezwungen hätte, sich erstmal um ihre eigenen Wunden zu kümmern. Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll und was nicht, wessen Ansichten gerechtfertigt sind oder nicht. Ich habe solche Angst, etwas in Gang gesetzt zu haben, was keine gute Entscheidung war und was uns jetzt unterschiedliche Wege entlangsendet, die uns am Ende vor lauter Enttäuschung, unbeschreiblicher Traurigkeit und Verzweiflung zerstören könnten.

Ich habe heute abend einen Selbsttest auf einer sehr guten Seite gemacht, der mich als hochsensibel einstufte. Viele der entsprechenden Persönlichkeitseigenschaften haben genauestens auf mich gepasst. Ich erlebe diese Zeit aufgrund dessen wie so vieles derart intensiv, dass mich häufig der Wunsch überkommt, nichts mehr spüren zu müssen. Ich frage mich, ob wir nicht beide - also meine Frau und ich - hiervon betroffen sind, hatte sie doch auch immer eine kreative Ader und war in jüngeren Jahren der Welt sehr offen und ist emotional sehr verletztlich. Ich sah, wie sie sich seit der Aufarbeitung ihres Missbrauchs immer mehr veränderte und schließlich nicht mehr selbst innerlich aufrecht bleiben konnte, mich stets brauchte, bis in die Nacht hinein, während meine Physikblätter und mein Studium immer häufiger vernachlässigt blieben oder einfach nur schwieriger für mich wurden, weil ich ermüdete und mich nicht mehr konzentrieren konnte.

Meine Hochsensibilität ist ein Grund dafür, dass ich häufig am Leid anderer so sehr leide, also im wahrsten Sinne MITleide. Ich frage mich also auch, ob ich nicht selbst an alledem schuld sein könnte, weil ich dieses Problem psychotherapeutisch nie thematisiert habe. Wenn ich zurückschaue, frage ich mich, ob ich nicht meiner Frau bis zur Erschöpfung Trost spenden musste, nur weil ich mein EIGENES Leid lindern wollte, das ja durch ihres erst entstanden war? Und wenn ja, dann wäre da nicht die Frage berechtigt, ob ich nicht umlernen könnte, ob ich nicht anders mit ihrer Trauer und Anhänglichkeitsanfällen umgehen könnte, wenn ich etwa lernte, meine Hochsensibilität in den Griff zu bekommen? Gibt es nicht zwei Seiten zu jedem Beziehungsproblem?

Ich habe Angst, dass ich falsch gehandelt habe. Irgendwann war der Drang, ihr zu helfen und ständig abrufbar zu sein so stark, dass ich Schwierigkeiten hatte, mich abzugrenzen - auch eine typische Eigenschaft hochsensibler Menschen. Meine Gedanken kreisten - selbst im Zimmer nebenan - nur noch um sie und ich fragte mich stets, ob alles in Ordnung sei oder ob sie nicht doch wieder Depressionen hat. Sie kam dann immer wieder mitten in der Nacht zu mir, während ich arbeitete. Oft hatten wir schon am Nachmittag nach der Uni viel Zeit damit verbracht, über ihre schlimmen Gefühle zu reden. Alles schien gut, doch abends ging es wieder los. Es schien mir einfach nie genug, was ich tat. Irgendwann war das Leid, das ich für sie spürte, so intensiv, dass ich mich aufeinmal scharf abzugrenzen begann, ich wirkte auf sie und indessen auf mich selbst gleichgültig und kalt. Ich saß irgendwann nur noch ratlos da, wenn sie zu mir kam. Wir entwickelten sogar ein Codewort für solche Situationen, das ich sagen soll, um ihr zu zeigen, dass ich gerade nicht weiterwusste und mich nicht um sie kümmern konnte. Ich dachte aber nie daran, es zu benutzen... Mein gleichgültiges, fernes Verhalten tat mir aber umso weh, denn jetzt musste ich weiterhin an ihrem Leid mitleiden UND meine Gefühle hierzu unterdrücken, damit ich sie nicht sofort in den Arm nahm und ihr damit wieder zeigte, dass ich zu jeder Zeit stes verfügbar bin. Es machte mich oft so fertig, wenn sie (trotz der Tatsache, dass sie doch den Raum betreten hatte) meinte, ich müsse nur lernen, mich innerlich abzugrenzen, um besser arbeiten zu können. Sie habe mit meinen Konzentrationsproblemen doch nichts zu tun. Da kam ich mir vor, als würden ÜBERMENSCHLICHE Fähigkeiten von mir erwartet: Ich sollte mich derart innerlich abgrenzen, dass ich nachts am Schreibtisch Physik betreibe, während hinter mir auf dem Sofa jemand weint und Gedanken laut vor sich hinjammert, obwohl ich diese Person den ganzen Tag schon und oft sogar die ersten Nachtstunden getröstet mit ihr gesprochen habe...Ein Eimer mit einem Loch im Boden. So war das. Es war mir irgendwann, als hätte ich es mit einer Süchtigen zu tun, der bei mir ihren Stoff bezog und mich stets dazu brauchte. Dabei glaube ich aber auch, dass sie wirklich litt. Ihre Tränen waren echt, ihre Ängste auch. Oft komme ich mir wie ein Monster vor, dass dieser mir am nächsten stehenden Person auf einmal die Hilfe und Zuwendung durch meine Abreise entsagte. Was, wenn sie mich in dieser Lebensphase wirklich über alles gebraucht hat? Was, wenn es nach dem Prozess gegen den Missbrauchstäter einfach nur besser würde? Was, wenn nur diese Zeit überstanden werden müsste? Fragen über Fragen.

Ich lese die vorigen Beiträge, die mir in so schlimmen Stunden hilfreich waren. Auch jetzt helfen sie mir, aber die Gedanken kommen mir trotzdem. Ich wollte sie hier loswerden.

Ich versuche jetzt zu schlafen. Morgen ist ein großer Tag, das Fliegen ist schon stressig genug.

30.03.2015 05:53 • x 1 #9


N
Du machst dich ganz schön selber fertig und runter. Und du bist unsicher. Höchste Zeit sich eine Auszeit zu nehmen und auf Abstand zu gehen. Dir selbst zuliebe, alles andere wird es ziemlich sicher nur noch schlimmer machen. Schau auf dich!

30.03.2015 06:14 • #10


jnky
Hallo AD203,

ich habe mir deine Geschichte durchgelesen und hatte Tränen in den Augen. Ich erkenne ein bisschen von mir in deiner Frau und sehr viel von dir in meinem Mann. Einer der sich dauernd bemüht, alles reparieren will, und einer, der sich dauernd entfernt, nicht reden will, sich distanziert, isoliert. Mir zerreisst es das Herz, dass mein Mann und ich diesen Schritt mit Trennung auf Zeit gehen müssen. Ich könnte mein jüngeres Ich sowas von ohrfeigen und anschreien WAS TUST DU DA? DU WIRST IHN VERLIEREN!

Ich merke erst jetzt wie allein er sich gefühlt haben muss. Das tut furchtbar weh, und ist für mich kaum zu ertragen. Das Gespräch heute hat mir etwas geholfen, mir auch ein bisschen Hoffnung gegeben, dass wir vielleicht wieder werden. Aber es kann auch sein, dass der Schuss nach hinten losgeht und einer von uns oder vielleicht sogar wir beide sagen werden: Bis hierhin und nicht weiter. Und das wäre wirklich schade, weil er ein herzensguter Mensch ist, den ich sehr liebe. Immer noch.

Aber ich wollte nicht von mir reden. Ich finde deine Geschichte sehr traurig, ihr habt beide harte Zeiten hinter euch und es ist unendlich schwer sich nicht gegenseitig fertig zu machen. Man sollte sich lieber gegenseitig stützen und helfen. Meine Eltern z.B. kommen beide aus zerrütteten Familien. Mein Vater wurde von seiner Oma großgezogen und meine Mutter hatte einen gewalttätigen Vater. Die beiden haben sich irgendwie gefunden und wollten beide mit der Vergangenheit abschließen. Das hat nicht immer geklappt, sie streiten sich auch heute noch. Aber sie sind zusammen, ein Team, sie lassen nicht locker. Ich will dir dadurch nur zeigen, dass es auch anders geht. Es ist immer von dem Menschen selbst abhängig in welche Richtung man geht. Manchmal geht es gut, manchmal nicht. Das ist nicht deine Schuld. Du hast dich bemüht und momentan sieht es so aus, als ob deine Bemühungen umsonst waren. Das passiert. Das hat mir mein Mann heute auch gesagt. Für ihn ist es frustrierend, dass wir an diesem Punkt angekommen sind. Er hat sich stets um mich bemüht und nun sieht er aber, dass er mir nicht helfen kann. Dass ich mir selbst helfen muss. Und das musst du glaub ich auch verstehen. Deine Frau muss sich selbst helfen. Und so hart es ist, du musst da nichts machen, du kannst auch nichts machen.

Ich hoffe, ich konnte dir ein bisschen Trost spenden, so von einem kaputten Menschen zum anderen. Lass den Kopf nicht hängen!

01.04.2015 13:21 • x 1 #11


S
Lieber AD203!

Hab alles von dir gelesen. So jung und so klar definiert, so tolle Ansichten. Du bist ein ganz ganz besonderer Mensch! Du faszinierst mich, dir gebührt mein tiefster Resekt. Für mich bist du Braveheart. Du hast soviel durchgestanden und kämpfst und kämpfst... Du hast den Punkt überschritten, glaub es mir. Du hast wirklich wirklich alles getan. Es ist an der Zeit loszulassen. Gut, dass du schon mal Abstand genommen hast und 2 Monate bei deiner Mom in den USA warst. (Ich liebe dieses wunderschöne Land.)

Du bist noch jung und willst doch nicht ganzes Leben lang daran zu knabbern haben. Am Ende sollst du sagen können, mein Leben war gut, so wie es war und ich würde den Weg wieder gehen. Du verdienst wirklich was besseres. Bitte, nimm Abstand und höre auf, dir den Kopf zu zerbrechen über was wäre, wenn! Es ist, wie es ist!

Geh in eine Reha. Dort wirst du Kraft tanken. War nach einer sehr schweren Zeit auch dort und es war für mich dort die schönste Zeit in meinem Leben.Wenn deine Kraft nämlich weg ist, verlierst du alles!
Und dann verfolge eine Mission, du hast soviel zu geben, ohne, dass du dabei leiden musst, und das macht dich stark und wieder glücklich.
PS: Würde sehr gern über dich und dein Leben, was sich zum Positiven entwickeln wird, in einem Buch lesen. Du hast so viel und wirklich was zu sagen.

Wenn du wieder zu dir selbst gefunden hast und wirklich stabil bist, wirst du sehen, wie es weiter geht.

Würde dir persönlich so gern jederzeit zur Verfügung stehen, dich umsorgen.

Sei ganz lieb gedrückt!
Du bist ein großartiger Mensch und wer das nicht erkennt, tut mir nur leid!

11.04.2015 19:02 • x 1 #12


AD203
@Sky7: Vielen Dank für deine Worte der Ermutigung! Ja, es hat gedauert, aber ich fange an zu sehen, dass ich wirklich alles in meiner Macht stehende getan habe. Meine Frau blockiert jetzt völlig, sie hält sich in ihrem Zimmer eingeschlossen, huscht mit einem verbitterten Blick an der Tür vorbei, wenn ich da bin, um meine Sachen zu packen. Ich bin jetzt vogelfrei und scheinbar in die lange Liste der Täter eingeordnet worden, die ihr Leben zu einem einzigen Trauerspiel gemacht haben. Jetzt ist leider zu viel zu tun, als dass ich spontan in eine Reha gehen könnte, aber ich nehme es mir jedenfalls vor. Ich werde in den nächsten Tagen einen Antrag auf ein Urlaubssemester bei der Uni abgeben, mein Hausarzt hat mir ohne zu zögern ein Attest dazu ausgestellt. Ich brauche die Zeit, um mein Leben zu strukturieren und neu zu organisieren. Zudem habe ich in ungefähr einem Monat einen Termin bei der Ausländerbehörde. Davor habe ich sehr große Angst gehabt, weil ich eine Ausweisung aufgrund der Trennung befürchtet habe. Das sollte aber laut Gesetz nicht so einfach passieren. Trotzdem, solche Ängste gehen sehr tief und berühren existenzielle Fragen. Man sehnt sich sehr nach einer gewissen Zuverlässigkeit und Sicherheit. Meine größte Hoffnung ist, dass sie mich einfach einbürgern. Dann bin ich erstmal dort fest verankert, wo ich auch leben will. Ich übe mich jetzt darin, diese Ungewissheit zu ertragen und mit ihr zu leben. Mal gelingt's, mal nicht.

Was du über das Leiden und das Geben schreibst, finde ich sehr wichtig: Und dann verfolge eine Mission, du hast soviel zu geben, ohne, dass du dabei leiden musst, und das macht dich stark und wieder glücklich.

Man vergisst sehr schnell, wenn man so aufwächst, wie ich, dass das Leid nicht zwangsläufig zum allgemeinen Dasein dazugehören muss. Man gewöhnt sich leider so sehr daran, dass man es irgendwann für selbstverständlich hält, dass Leid ein notwendiger Bestandteil neuer Entwicklungen und persönlicher Fortschritte ist. Leid gehört dann zum Preis, den man nun mal bezahlen muss. Ich habe tatsächlich Missionen, die ich gerne verfolgen möchte und möchte dabei nicht mehr leiden. Es waren aber viele Existenzängste (siehe oben mit der Ausländerbehörde), die mich unbewusst davon abgehalten haben, die ganze Sache anders anzuschauen. Ich wagte nicht zu glauben, dass ich etwa ein Leben ohne tägliches und nächtliches Leid beanspruchen könnte. Jetzt ist der erste Schritt aber endlich getan und ich hoffe sehr, dass der Weg, den ich nun angefangen habe, ein erfreulicher und erbaulicher ist!


@jnky: Auch dir danke ich für deinen Trost. Ich denke, es ist tatsächlich sehr wichtig, dass wir lernen, die Beziehung tun und machen zu lassen, was sie tun und machen muss. Das klingt erstmal etwas absurd, weil es ja impliziert, dass Beziehungen ein Eigenleben führen, aber irgendwann habe ich festgestellt, dass dem tatsächlich so ist: Zwei gehören zwar als Einzelne zu der Beziehung, aber ihre Zweisamkeit ist wiederum etwas wie ein drittes Einzelnes. Man ist - wie dein Mann - oft sehr frustriert, dass es soweit gekommen ist, aber ich denke, die Beziehung wird tun, was getan werden muss. Als Co-Abhängiger neige ich dazu, viel zu viel Verantwortung für die gesamte Situation zu übernehmen. Ich lerne jetzt langsam, dass die Dinge auch einen eigenen Fluss und Rhythmus habe und dass ich eben nicht alle Hebel betätigen muss.

Ich habe oft Zwang ausgeübt und mich dagegen gesträubt, die Beziehung zu meiner Frau eigentlich das tun zu lassen, was aber gefühlt notwendig war. Ich habe zahllose Male weise Stimmen in mir unterdrückt, die mich ermahnen wollten, mir sagen wollten, dass ich gehen sollte, weil es ganz an meiner Frau liegt, aus dem Loch zu kommen, in das sie hineingefallen ist und in das sie uns beide runterzieht. Am Ende war es der reine Überlebensinstinkt, der mich dazu antrieb, zu gehen aber vieles in mir wusste und spürte schon lange davor, dass die natürliche Flexibilität der Zweisamkeit verschwunden war. Man könnte sagen, ich habe versucht, das Ding mit Kaugummi, Tesafilm und Büroklammern um jeden Preis zusammenzuhalten, am Laufen zu halten. Das geht nur eine gewisse Zeit lang gut. Irgendwann reichen die Kräfte dafür nicht mehr aus, vor allem dann, wenn die Situation sich im großen und ganzen kaum oder gar nicht verändert.

Wie man in deinem Post sieht, können Menschen auch zusammenwachsen bzw. zusammenhalten. Auch das möchte ich in meinem Fall nicht vollkommen ausschließen, wenn ich es auch jetzt angesichts der jüngsten Entwicklungen eher für unwahrscheinlich halte. Das ist eben die Flexibilität, die die Dinge brauchen: Man lässt es kommen, wie es kommt und zwar, ob es einen traurig macht oder nicht. Auch wenn die Trennung mich (vor allem anfangs) am Boden zerstörte, merke ich inzwischen, dass es besser ist, auf diese Weise traurig zu sein, als weiterhin in seelischer und emotionaler Gefangenschaft zu leben. Meine jetzige Trauer bringt Heilung, es geht immerhin aufwärts, es verändert sich zum ersten Mal seit Jahren etwas!

Ich wünsche dir das Beste für die Zukunft und hoffe, dass du ein erfülltes und erfreuliches Leben hast, ganz gleich welchen Lauf die Dinge nehmen!

12.04.2015 20:01 • #13


S
Hallo, lieber AD,
schaue hin und wieder mal hier rein, weil ich für mich persönlich aus dem Thread viel mitnehme.
Mich interessiert nun, wie es dir so geht. Hattest du schon den Termin bei der Ausländerbehörde und was ist dabei rausgekommen?
Dir alles Liebe und Gute!
Sky

10.05.2015 09:43 • #14


AD203
Hallo Sky,

jetzt scheint mir ein guter Zeitpunkt zu sein, auf deinen Vorschlag einzugehen und hier die neuesten Entwicklungen zu schildern. Ich habe gerade auch recht viel, was ich mir von der Brust schreiben muss. Das Leben in seinem jetzigen Zustand fühlt sich so was von unsicher an, dass ich manchmal aufschreien möchte. Ich gehe die Straße hinunter, sehe, wie die Menschen ganz normal essen, einkaufen, Bahn fahren. Ich frage mich, ob in ihnen oder in ihrem Leben auch die Hölle dermaßen tobt, wie sie es zur Zeit in mir tut.

Ich war heute bei der Ausländerbehörde. Irgendwann kam natürlich die Frage, warum denn meine Frau nicht unter meiner jetzigen Adresse gelistet ist. Da musste es raus. Ich schloss die Augen und sagte es einfach. Warum denn lügen? Am Ende bekommen sie es eh raus und man kanns nicht ändern. Ich sagte, dass wir offiziell (also mietvertraglich) seit dem 01.05 getrennt sind.

Der Mitarbeiter dort blieb so freundlich wie er nur konnte, sagte aber bestimmt, dass mein Aufenthaltsstatus sich nun ändert. Ich habe erstmal nur ein Jahr. Am Ende dieses Jahres muss ich - in seinen Worten - nachweisen, dass ich mich aus eigenen Kräften finanziell unterstützen kann. Ich spürte, wie mein Herz nach unten rutschte.
Was ist denn mit Unterhalt von den Eltern? fragte ich. Ich kann ja problemlos von dem leben, was mir meine Mutter monatlich überweist!
Das ist auch die Wahrheit. Ich habe sogar einiges über am Ende jedes Monats. Ich habe keinen einzigen Cent vom Staate nötig, um über die Runden zu kommen. Der Mitarbeiter sagte anfangs, elterliche Unterstützung zähle nicht. Als ich ihn dann fragte, wie man seiner Meinung nach Physik studieren und nebenbei einen vollwertigen Beruf ausüben sollte, wurde er anders. Auf einmal hieß es, das könnte so gehen, solange ich es irgendwie nachweisen kann. Er gab mir am Ende eine schriftliche Aussage seinerseits, die in einigen Punkten sogar dem widerspricht, was erstens ich sagte und zweitens er sagte. Das Schreiben impliziert, ich würde nicht von dem leben können, was ich an Finanzen zur Verfügung habe. Dort steht dann auch komischerweise: Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. Aufenthaltsgesetz wird der weitere Aufenthalt in Deutschland in der Regel versagt, wenn der Lebensunterhalt nicht aus eigener Erwerbstätigkeit, eigenem Vermögen oder sonstigen eigenen Mitteln oder anrechenbaren Leistungen Dritter gesichert werden kann.

Also das Gegenteil von dem, was mir der Mitarbeiter gesagt hat. Anrechenbare Leistungen Dritter oder eigenes Vermögen stehen doch da als legitime Einkommensquellen, die eine Ausweisung eben verhindern.

Der Mitarbeiter meinte dann, dass ich mir überlegen könnte, mein Aufenthaltsrecht umzumünzen in das Aufenthaltsrecht eines Studenten.

Dazu denke ich Nein Danke. Darauf habe ich gar keine Lust, denn dann bestimmen SIE nämlich, wann ich mit meinem Studium fertig zu sein habe. Urlaubssemester? Fachwechsel? Ausweisungsandrohung, erklären Sie sich, etc. etc. etc. Ich lasse mich lieber von meiner Mutter finanzieren und erlaube mir auch mal ein Urlaubssemester, wenn es nötig ist. Gott weiß, ich brauche keinen zweiten Nervenzusammenbruch! Es lässt mich manchmal sprachlos zurück, wie unflexibel und dümmlich die bürokratische Maschinerie daherkommt. Und am Ende wird dieser Staat ja verröcheln, wenn er so weiter macht, denn er vertreibt jene Menschen, die sich ein Studium eben doch leisten können. Ich überlege mir in den nächsten Tagen einen Rechtsanwalt zu diesem Thema aufzusuchen.

Wie auch immer: Im Laufe des Gespräches fragte ich dann nach Einbürgerung. Ich bekam die Antwort, dass die Ausländerbehörde mit Einbürgerung gar nichts zu tun hat. Dafür sei das Standesamt zuständig. Hätte ich das früher gewusst! Ich habe immer dagesessen und darauf gewartet, dass sie mir endlich mal die Staatsbürgerschaft anbieten! Dabei war ich stets im falschen Laden gewesen!

Nach meinem Termin bei der Ausländerbehörde bin ich also schnell mit allen Unterlagen zum Standesamt und habe mich dort erkundigt. Ich bekam ein Beratungsgespräch und zeigte alles vor, was ich dabei hatte: Schulabschluss, Studienbescheinigung etc. Die Dame dort meinte, ich hätte sehr gute Chancen, eingebürgert zu werden und sollte unbedingt einen Antrag stellen. Normalerweise muss man sich seit mindestens 8 Jahren in Deutschland aufgehalten haben, um die Staatsangehörigkeit zu erwerben. Bei besonderen Integrationsleistungen und hervorragenden Sprachkenntnissen kann diese Frist jedoch auf 6 Jahre verkürzt werden. Mein Schulabschluss reicht scheinbar dazu. Auch meine Note in Politikwissenschaften wird als Nachweis angesehen, dass ich ausreichend über das politische System der BRD Bescheid weiß. Ich danke Gott - oder was immer es ist da oben - dass ich damals ein Abi mit 1,0 geschrieben habe. Ich hätte mir damals nie gedacht, dass ein Zeugnis eine solche Relevanz haben könnte.

Ich habe also heute ungefähr 5 Stunden damit verbracht, alle möglichen Unterlagen zusammenzukratzen, die ich für den Einbürgerungsantrag benötige. Sie wollen sehen, was bei mir rentenversicherungstechnisch in den letzten 6 Jahren gelaufen ist, wollen sehen, wann ich die Schule besucht, wo ich überall gearbeitet habe. Ich muss alles im Original und als Kopie zur Antragsabgabe mitbringen. Ich habe Notare und Dolmetscher angerufen, meine Mutter angeschrieben etc. Ich habe heute nochmal meine ganze Vergangenheit auf bedruckten Blättern gesehen. Es versetzt mich ins Staunen. Wie wenig all diese sinnlosen Nummern und Zahlenschlüsseln über die Realität aussagen, die ich damals erlebte und die ich heute erlebe! Ich muss immer wieder staunen, wie menschenverachtend die Welt der Bürokratie ist...Der Mensch in dir wird nicht ein einziges Mal angeschaut. Es geht immer nur um die Kohle. Dabei habe ich in den letzten 6 Jahren keine einzige Sekunde für die Kohle gelebt. Ich bin einem äußerst menschlichen und indessen auch zwischenmenschlichen Traum gefolgt, ich habe aus dem Herzen gehandelt, ich bin meinem Herzen gefolgt. So etwas versteht ein Amt nicht und wird es niemals verstehen. Wie kann es sein, dass ausgerechnet solche Menschen - von denen sich die Meisten niemals trauen - solche Risiken einzugehen, von denen die allerwenigsten auf das Herz hören, über Schicksale richten können, von denen sie absolut nichts verstehen? Mir ist es klar, dass die Einwanderung in einem Land geregelt sein will...aber ich habe mich so selten so missverstanden und verzerrt wahrgenommen gefühlt, wie in einem Ausländeramt.

Jetzt lasse ich noch die letzten Nachweise zusammenkommen. Einige Lohnsteuerbescheinigungen aus der Vergangenheit hier, die Sterbeurkunde meines Vaters da. Zum Glück war meine Geburtsurkunde schon mal von einem beglaubigten Dolmetscher übersetzt worden. Das heißt, das muss ich mir nicht nochmal antun. Von meiner Mutter bekomme ich amerikanische Gehaltsabrechnungen. Hoffentlich wollen sie die Dinger auch nicht übersetzt haben. Sie haben immerhin NUR angekreuzt, dass die Geburtsurkunde übersetzt sein soll. Ich bringe das verdammte Checklistenblatt auch mit und halte es ihnen vor die Nase, wenn sie aufmucken!

Meine große Hoffnung ist, dass alles einfach so reicht, wie es ist. Ich möchte so gerne ein deutscher Staatsbürger werden. Das würde mir u.a. das Gefühl des Gehetztwerdens und des Zeitdrucks wegnehmen. Ich würde immernoch gerne mit meiner Frau wieder den Kontakt suchen, auch wenn ich die Staatsbürgerschaft bekommen sollte. Die Staatsbürgerschaft habe ich immer angestrebt, aber jetzt wäre sie wirklich eine Hilfe. Nicht nur rein aufenthaltsrechtlich! Sie würde mir einfach ZEIT und RUHE geben. Ich müsste nie wieder mit der Ausländerbehörde zu tun haben, nie wieder müsste ich mich einem sinnlosen Paragraphen - der an der Realität vorbeiklausuliert - gegenüber rechtfertigen! Ich könnte die Zeit nehmen, wieder runterzukommen und sogar vielleicht mit meiner Frau sprechen. Ich brauche einfach den Raum und keinen zusätzlichen Stressor, keine Beamten, keine künstlichen Hürden, die überhaupt keinen Sinn haben!

Wie auch immer...ein Jahr ist jeden Falls drin. Aber sollte es nur bei der Aufenthaltsgenehmigung bleiben, d.h. sollte mein Einbürgerungsantrag aus irgendeinem Grunde abgelehnt werden, dann fürchte ich, dass dieses eine Jahr etwas von Gefängnisstrafe haben wird. Es wird sich nicht gut anfühlen, fürchte ich. Denn es gäbe dann immer noch kein Fundament, keine Zuverlässigkeit der Zukunft, die sich jenseits dieser 365 Tage erstreckt. Ich habe nicht mal 365 Tage. Mein US-Pass ist nur bis zum 23.03.2016 gültig, also ist meine Aufenthaltsgenehmigung auch nur so lange gültig. Würde ich den Pass verlängern, bekäme ich natürlich etwas mehr Zeit. Aber warum den Pass sofort verlängern, wenn ich womöglich die deutsche Staatsangehörigkeit davor bekomme?

Als wäre das nicht genug, hatte ich letzten Sonntag eine schwere Lebensmittelvergiftung und meinte sterben zu müssen. Bis heute habe ich mich davon zu erholen versucht. Ich spüre immernoch wie mein Magen aufmuckt, wenn ich etwas esse. Manchmal ist mir auch recht mulmig. Die Zeiten sind hart, fürchte ich. Es scheint mir einfach so viel auf einmal zu kommen...

18.05.2015 19:35 • #15


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