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Alle wichtigen Personen verloren

J
Hallo zusammen,
ich habe lange überlegt ob ich mich hier anmelden sollte oder nicht oder ob das überhaupt was bringen soll/kann, aber ich probiere es jetzt einfach mal.
Ich glaube meine Probleme / Sorgen sind vielschichtig und haben sich im Laufe der Zeit immer weiter entwickelt. Da ist zum einen der Faktor Familie und der Faktor Beziehung.
Ich fang mal mit der Familie an. Also eigentlich ist von meiner Familie nur noch meine Mutter übrig geblieben, aber zu ihr habe ich auch kein sonderlich gutes Verhältnis. Ich bin Einzelkind und meine Eltern haben sich scheiden lassen, als ich etwa 9 Jahre war. Mein Vater hat damals viel schei. gebaut (Alk., Schläge gegen Mutter und Kind) auch aufgrund von gesundheitlichen Problemen. Meine Mutter war allerdings auch nicht viel besser (Fremdgegangen, Hand erhoben gegen Kind). Die Polizei war öfter bei uns zuhause und musste die beiden trennen. Meine Großeltern (vom mütterlicher Seite), welche mit im Mehrfamilienhaus wohnten, haben dies nicht geschafft.
Bei den genannten Großeltern bin ich auch aufgewachsen. Meine Eltern waren immer arbeiten und wenn daheim, sind sie abends zusammen losgezogen. Deshalb habe ich auch in der Kindheit nie Ausflüge mit meinen Eltern gemacht, geschweige denn Essen, Spielen, Hausaufgaben etc. All dies haben meine Großeltern übernommen. Was ich genau studiert habe, hat sie immer nur mal zum Ausfüllen von irgendwelchen Formularen wissen wollen.
Nach der Scheidung wollte die Familienseite meines Vaters nichts mehr mit mir zu tun haben. Ich mit meinem Vater auch nicht, nach dem was zuhause alles los war. Das Verhältnis zu meiner Mutter hat sich nicht geändert oder ihre Einstellung gegenüber mir. Man kam halt klar, aber es war so ein nebeneinander her leben. Oft lies sie auch Ihren Frust oder Unmut an mir aus. Sie ist auch glaube in psychologischer Betreuung, zumindest geht sie ab und an zu einer Psychologin.
Mein Opa ist 2001, meine Oma vor 2 Jahren gestorben und ich habe den Großteil des Hauses geerbt. Auch die beiden konnten die Familie nicht zusammenhalten (Erbstreitigkeiten, etc.).
Meine Mutter lebt noch mit in meinem Haus, man sieht sich aber kaum, nur wenn mal irgendwas ist. Weihnachten ist auch eine schlimme, gezwungene Veranstaltung.

Nun komme ich zum Punkt Beziehung.
Ich hatte nie wirklich Glück in Bezug auf Mädels. Viele Monatsbeziehungen in jungen Jahren, welche oft durch Untreue ihrerseits beendet wurden. Dann hatte ich eine fünfeinhalbjährige Beziehung. Diese ist dann studienbedingt nach Leipzig und meinte kurz darauf „Ich habe hier wen neues, lass mich und meine Familie in Ruhe“. Wir waren zwischendurch auch mal kurz getrennt, da sie fremdgegangen ist. Sie hatte tolle Freundinnen, die der Meinung waren, dass man sich doch lieber durch die Welt *beep* sollte. Aber ich glaube so ganz konnte ich ihr das nie verzeihen bzw. voll vertrauen. Das hat mich ziemlich getroffen, da dies quasi meine Ersatzfamilie geworden ist. Ich habe damals auch mit Selbstmordgedanken gespielt. Saß auch mal auf einer Bahnbrücke, aber es kam kein Zug mehr.
Kurz darauf folgte eine zweieinhalbjährige Beziehung. Eigentlich war es nur ein Abenteuer, aber es entwickelte sich dann doch mehr daraus. Ich habe ihr meine Probleme geschildert, auch mit dem Verlust der Freundin und dass ich da wohl noch etwas geprägt bin. Sie hat es auch verstanden. Dann war sie ein Jahr in Berlin. Wir haben uns fast jedes oder jedes zweite Wochenende gegenseitig besucht. Als sie dann zurückkam, war irgendwie ein Bruch drin. Wahrscheinlich hat die lange Zeit / Trennung zu viel kaputt gemacht. Auch hier kamen wieder die tollen, alten Freundinnen dazu, die sich auch nur von einem zum anderen Bett hangeln.
Ich glaube ich habe das Problem jemanden vollends zu vertrauen, da ich bisher im Leben meist nur enttäuscht wurde von allen. Egal wie nah sie mir standen. Zu beiden Exfreundinnen besteht kein Kontakt mehr.
Abends sitze ich oft alleine zuhause und fühle mich einfach nur down und depri. Zeitweise hatte ich Nächte, in welchen ich nur 4 Stunden geschlafen habe. Meist hilft dann ein Gute-Nacht-Trunk. Ablenken klappt nur bedingt, da ich ziemlich antriebslos geworden bin, obwohl es viel zu tun gäbe hier in der Wohnung bzw. Haus. Sich mit Freunden treffen ist auch sehr schwierig. Die meisten sind in ganz Deutschland verteilt. Die ganz ganz wenigen arbeiten auch in der Woche, haben wenn nur am Wochenende zeit oder sind dort auch unterwegs.
Irgendwie fühlt sich alles an wie eine Abwärtsspirale, aus welcher man nicht mehr heraus kommt und auch kein richtigen Sinn sieht. Man fühlt sich einsam, minderwertig, von allen getäuscht und verarscht. Karrieretechnisch läuft komischerweise alles total optimal.

Vielleicht habt ihr ja ähnliches erlebt oder ein paar Tipps für mich.

Jolly2012

26.02.2015 20:34 • #1


B
Hallo du

Ich glaube du trägst viel zu viel mit dir herum was du erst mit dir ausmachen musst bevor du dich auf eine derartige Nähe einlassen kannst.
Du beschreibst die fast schon klassischen Merkmale einer Persöhnlichkeitsstöhrung.
Das hört sich jetzt ersteinmal böser an wie es ist.
Sie bildet sich in der Kindheit bis frühen Jugend. Auslöser sind z.B. Gewalt, Vernachlässigung, soziale Ausgrenzung usw.. Hier wird dann ein Denken, Fühlen und Verhaltensweisen erlernt, welche sich abspeichern.
Man geht dann mit diesem fehlerhaften Selbstbild durch sein Leben und das bestimmt eine Menge. Diese Stöhrung will sich permanent selber bestätigen.

Du brauchst meiner Ansicht nach eine Therapie. Auch eine genaue Diagnose über Art und Umfang.
Das kann sehr helfen zum einen um typische fehlerhafte Denk- und Verhaltensprozesse dir sichtbar zu machen, zum anderen um dir die Ursachen dafür zu zeigen. Auch erlernt man dann Abwehrmaßnahmen, stärkt sich gezielt, gibt sich selber ein realeres Bild von sich.

Abflacken und trinken verschlechtert alles. Auch wenig Schlaf schwächt dich und dein Denken sowie soziale Kompetenz dir gegenüber und die ist eh schon geschwächt.
Verschleppen bringt nichts! Auf besser Zeiten warten führt dich nur weiter die momentane Spirale nach unten.

Such dir hilfe. Du musst dir selber etwas wert sein, damit du für dich jemand anderen etwas wert sein kannst. So ist es ein Kreisel. Dir eine ebenfalls schwache Partnerin suchen bringt auch nichts, solange du Krieg gegen dich führst, wirst du deinen Frieden finden.

Investiere ein- zwei Jahre und es kann vieles anderst aussehen und sich anderst anfühlen.

Alles Gute dir und viel Kraft für dich

26.02.2015 20:54 • x 2 #2


A


Alle wichtigen Personen verloren

x 3


E
Liebe dich Selbst und besonders Gott den Gott ist für immer ob du es wahrhaben willst oder nicht , vergebe deiner Familie und die Frauen die du liebtest und die von dir unfair gegangen sind , die wissen nicht was Wahre Liebe ist . Behalte wenn möglich nur den Kontakt zu deiner Mutter .

Man wird alleine geboren und man sollte auch alleine klarkommen . Manche Menschen brauchen eben mehr Zeit um das Licht zu sehen . Kümmer dich um dich Selbst , tue dir was gutes und mache nicht die gleichen Fehler wie andere Menschen . Zeige denen was Wahre Liebe ist.

Alles wird gut .
Liebe Grüße
Alex.W

26.02.2015 20:56 • x 1 #3


L
Lieber Jolly,

oh je, das klingt nach einer faustdicken Depression (ungelebte Gefühle). Wie Brummbär schon schrieb, trägst Du zu viel (unverarbeitetes) mit Dir herum.
Auch ich rate Dir zu einer Therapie. Da ist einfach zu viel Schwermut, als das ich Dir lediglich raten würde: geh raus, mach Sport...
Einfach verzeihen und nach vorne schauen funktioniert leider nicht.
Die Vergangenheit prägt das Weltbild, das Frauenbild und vor allem Dein Selbstbild und das alles zusammen kann dann zu einem selbstbehindernden Leben führen.
Da muss grundlegend etwas passieren. Wenn ich Dich so lese, habe ich den Eindruck, dass Du aus weiter Ferne schreibst...als seist Du verschüttet.
Ich

Ich hatte auch so eine Lebensphase und hätte damals wahrscheinlich ähnlich wie Du geschrieben...Ich habe eine Therapie gemacht und habe meine Kindheit betrauert. Das ist ein Prozess den man nicht umgehen kann. Es geht auch nicht nur ums Trauern, es geht vielmehr darum, dass Du ins Gespür für Dich selbst kommst.

Du schreibst von Deiner herzlosen Beziehung zu Deiner Mutter und erwähnst dann, dass ihr noch zusammen unter einem Dach lebt. Oh je. Das ist mit Sicherheit ein Faktor, der Dich depressiv macht. Unter diesen Umständen ist es kaum möglich, innerlich Distanz zu Deiner Geschichte zu finden, Dich von den vertrauten Energien zu lösen und Dich selbst zu finden.

Ich möchte Dir ein Buch von Luis Schützenhöfer empfehlen: In aller Liebe. Wie Mütter ihre Kinder unglücklich machen.

Sei nicht erschrocken wegen des Titels. Es ist kein Buch das die Mütter anklagt. Es zeigt die verschiedenen ungesunden Mutter-Kind-Konstellationen auf (Die Machtmutter, die Opfermutter, die narzisstische- und die lieblose Mutter). Und beschreibt anhand der Schilderungen erwachsener Kinder solcher Mütter deren Lebensschwierigkeiten und die Schwierigkeiten im Umgang mit den alten Eltern.
Es ist trotz des negativ anmutenden Titels ein sehr versönliches und motivierendes Buch. Und vor allem ist es eine kleine Hilfe, um sich selbst besser zu verstehen und Lösungen für die individuellen Problematiken zu finden.

Nach dem wenigen, was ich hier von Dir las, habe ich den Eindruck, Du bist mit dem lieblosen Muttertypus aufgewachsen. Denn diese kontaktarme, herzlose Kommunikation kann jeden Keim der Freude und des lebendigen Erlebens in einem ersticken. Es geht mir nicht darum, Deine Mutter verantwortlich zu machen, sondern darum, Dir klar zu machen, dass wahrscheinlich Deine Prägung und auch das derzeitige Klima bei euch Daheim nicht unwesentlich dazu beigetragen haben, dass Du Dich so elend fühlst. Dass es dann auch mit den Frauen nicht klappt, ist leider kein Wunder.
Darum gib Dir einen Ruck und steig in den Zug Deines Lebens statt vor ihn zu springen. Und seis nur, dass Du ersteinmal nur deswegen einsteigst, um zum nächsten Therapeuten zu fahren

26.02.2015 21:56 • x 2 #4


J
Danke erstmal für Eure Worte!
Habt Ihr Erfahrungen wie so ne Therapie abläuft oder einfache Tipps für den Alltag, wie man gegen so etwas vorgeht?

01.03.2015 19:54 • #5


E
Zitat von jolly2012:
Danke erstmal für Eure Worte!
Habt Ihr Erfahrungen wie so ne Therapie abläuft oder einfache Tipps für den Alltag, wie man gegen so etwas vorgeht?


Von einer Therapie würde ich abraten außer du findest einen Psychotherapeut/in wo es billig ist und Sie wirklich darin geschult sind . Lass dir nicht auch noch das Geld aus der Hose ziehen . Aber ansonsten such dir eine gute Psychotherapeutin .. Lass dich nicht unterkriegen sei von keinem abhängig .

Ich helfe mir selber , indem ich mir selber was gutes tue , zu Gott bete ab und zu und versuche zu vergeben . Man wird alleine geboren und man sollte auch alleine klarkommen . Ob mit oder ohne Partner du bist trotzdem auf dich alleine gestellt .

Du hast vielleiicht alle wichtigen personen verloren aber dich Selbst hast du nicht verloren . Und ehrlich gesagt hast du Sie nicht verloren bloß der Kontakt ist halt kaputt gegangen oder das Verhältnis war nicht so toll , auch daran kann man wieder arbeiten .

Alles wird gut ,
Liebe Grüße
Alex.W

01.03.2015 20:10 • #6


B
Hallo du

Eine Therapie kostet nichts!
Du bist schließlich Krankenversichert. Es nur mit sich alleine ausmachen geht bei vielen Dingen einfach nicht.
Ich würde dir fast zu einer stationären Therapie für ca zwei Monate raten, vorallem mit Diagnose. Du bekommst da auch erste Tricks gegen alte Verhaltensmuster.
Es gibt nicht so viele Angebote in Deutschland und die Wartezeit beträgt ca ein halbes Jahr, aber weiter auf bessere zeiten warten wenn es an größeren Problemen liegt, bringt nichts.
Ich kann nur aus dem schließen was du berichtet hast, das klingt aber typisch. Es ist nicht tragisch wenn man etwas aufzuarbeiten hat, etwas loslassen muss, sich von der ewig eingeredeten Schuld usw mit professioneller Hilfe lösen muss.
Es ist ein Prozess an dessen Ende ein selbstbestimmtes Leben wartet, wenn du es zulässt und an dir arbeitest.

Du kannst auch schon mal dir ambulant einen Therapeuten suchen. Einfach über Infodienste der Stadt, deinen Hausarzt anhauen usw. Da findet man oft innerhalb von wenigen Wochen einen der frei ist.
Mache bei drei gleichzeitig einen Termin. Du darfst dir drei T. fünf Termine anschauen und dann dich entscheiden bei wem du bleibst. Ist wichtig, du brauchst Vertrauen zu ihm und musst mit ihm klar kommen.
Da geht man in der Regel ein mal die Woche zum reden hin. Das kann schon mal gut sortieren und er kann dir gute Ratschläge geben wie deine weitere Behandlung aussehen soll.

Es ist eine Beeinträchtigung die du mit dir herumschleppst, und sie muss abgearbeitet werden.
Aber das kann sich alles zu Positiven änderen wenn du am Ball bleibst, gewisse Sachen erstmal akzepierst und ein Bild von dir bekommst und dein Leben danach aufbauen kannst.

Alles Gute erstmal

01.03.2015 20:39 • #7


A
Hallo Jolly2012,

Du kannst auch einfach mal Deine Krankenkasse anrufen und nach Therapeutenlisten fragen. Ich habe eine ambulante Therapie gemacht weil ich nicht in eine Klinik wollte und es hat mir sehr geholfen.
Auch ich habe jahrelang versucht, mich am eigenem Schopfe aus dem Sumpf zu ziehen aber man ist einfach für bestimmte Dinge blind (jeder Mensch) und vieles kann man aus derzeitigem Blickwinkel weder klar sehen noch fühlen.
Und so versucht man im Grunde mit immer den gleichen Methoden, sich aus dem Schlamassel zu ziehen. Wenn man dann scheitert, sagt man sich: liegt wohl an mir. Ich bin ein Versager oder einfach ein depressiver Typ. Das ist aber nicht wahr!
Man hat nur aufgrund seiner blinden Flecke vieles noch nicht klar gesehen.

Die Krankenkasse zahlt drei Formen der Therapie:

Verhaltenstherapie
TP (Tiefenfundierte Psychotherapie)
und Analyse

Verhaltenstherapie befasst sich am wenigsten mit der Vergangenheit, sondern arbeitet eher immer am Hier und Jetzt.
Die Psychoanalyse ist sehr intensiv. 3-4 Sitzungen ind der Woche. Das ist für viele too much. Ich wählte TP. Das ist eine Gesprächstherapie, die mehr an den Wurzeln arbeitet...aber nicht nur...Mal so ganz grob zusammen gefasst. Aber am wichtigsten ist der Psychologe! Es ist immer der einzelne Mensch, der einem Anstöße gibt, weniger die Therapieform.

Ich habe einen Text für Dich, der mich selbst sehr begeistert hat. Er ist leider etwas lang aber ich stelle ihn mal hier rein.
Wahrscheinlich ist Dir diese ganze Theorie darin in diesem Zustand viel zu viel aber nachdem ich selbst unter Depressionen litt, muss ich heute sagen, dass dieser Text ins schwarze bei mir traf.

Zitat:
Die Depression ist erlernte Hilflosigkeit
.....

Sind psychische Krankheiten erlernbar?

Man kann doch eine Krankheit nicht erlernen, wirst du jetzt vielleicht denken. Und überhaupt, wer sollte das wollen? Natürlich will das niemand, aber das trifft ja allgemein für alle Krankheiten zu. Dennoch werden Menschen krank, immer wieder, und obwohl sie die biologischen Zusammenhänge kennen, tun sie oftmals nicht genug für eine gesunde Lebensweise. Sie rauchen wider besseres Wissen, halsen sich zuviel Stress auf, schlafen zu wenig oder essen zu viel. All dies tun sie natürlich nicht, um krank zu werden. Es passiert unbewusst. Unbewusst haben sie gelernt, dass das, was sie tun, ihnen gut tut. Ein Trugschluss mit fatalen Folgen, wie sich für den einen oder anderen irgendwann heraus stellen wird. Mit der Depression ist es ganz ähnlich. Niemand nimmt sich vor: So, nun lerne ich mal, wie man depressiv wird! Und doch ist die Depression eine erlernte Krankheit.....

Wie erlernt man eine Depression?

Zumeist wird eine Depression schon in den frühen Kindertagen erlernt und im Heranwachsen weiter gefestigt. Manchmal ist es so, dass schon ein Elternteil depressiv oder übertrieben fürsorglich (man könnte auch sagen - ängstlich) ist. Es kann aber auch eine andere wichtige Bezugsperson sein. Als Kind lernen wir unbewusst. Wir lernen durch Immitation. Die Welt, wie wir sie vorfinden, ist für uns das Maß aller Dinge. Wir stellen sie nicht in Frage, sondern versuchen, unter den gegebenen Bedingungen das Beste für uns heraus zu holen. Im Falle der erlernten Depression kann dies die Anpassung sein. Wir lernen, dass uns die Liebe von Mama und Papa sicherer ist, wenn wir die beiden nicht ärgern, wenn wir möglichst immer brav sind.
Es kann aber auch sein, dass wir Eltern haben, die uns mehr strafen als lieben, vielleicht sogar schlagen... Wenn Eltern strafen, lernen die Kinder schnell, dass sie nichts dagegen tun können. Sie sind die Schwächeren. Wenn sie sich gegen die übermächtigen Eltern erheben, dann fällt die Strafe noch schlimmer aus. Kinder lernen, dass sie nichts tun können. Und da Eltern ihr Verhalten in der Regel nicht ändern, wird diese Erfahrung immer wieder gefestigt....

Die Depression ist erlernte Ohnmacht

Ist die Hilflosigkeit erst einmal erlernt, ist sie wie in unser Gehirn eingebrannt. Die vielen Wiederholungen sorgten dafür, dass diese Denk-, Gefühls- und Verhaltensmuster jederzeit gut abrufbar in unserem Unterbewusstsein verankert sind. Ein kleiner Anstoß von außen wie etwa eine ähnliche Situation, reichen aus, um uns wieder in den erlernten Zustand der Hilflosigkeit zurück zu versetzen. Wir fühlen uns der neuen Situation genauso ausgeliefert, wie wir es einst als Kind waren. Der Unterschied ist jedoch: Nicht der erwachsene Mensch hat hier gerade keine Optionen - es ist das Kind in uns, dass die Situation für ausweglos hält. Es ist das Kind in uns, dass nicht weiß, was es tun soll. Es hat schon viel zu oft die Erfahrung gemacht, dass es sich nicht lohnt, zu kämpfen - der Gegner ist einfach zu übermächtig. Und das Kind hat Recht. Es ist weder verrückt, noch ein Angsthase. Die Erfahrungen des Kindes waren real und aus Sicht eines Kindes, sind auch die Situationen, in die Erwachsene geraten und zunächst nicht weiter wissen, Situationen der Ohnmacht und Hilflosigkeit. In solchen Situationen hat der Mensch drei Möglichkeiten: Fliehen, Kämpfen, Totstellen. Fliehen und Kämpfen sind biochemisch gleichzusetzen. Hier wird Energie in großem Maße vom Körper bereit gestellt, die anstehenden Aufgaben zu bewältigen. Das Totstellen entspricht eher der Depression. Einen Toten greift niemand mehr an. Der Erwachsene aber hat immer alle drei Optionen. Die hat das Kind theoretisch zwar auch, aber die Aussichten auf Erfolg sind doch deutlich anders. Ein Erwachsener hat viel mehr Möglichkeiten, hat Potenzial, hat Kraft und Verstand, Raffinesse und Geschicklichkeit, Klugheit, Erfahrung und Ausdauer. Ein Erwachsener hat Weitblick und kann schwierige Situationen ganz anders bewältigen, als ein Kind dies tun kann. Deshalb brauchen ja Kinder auch den Schutz von Erwachsenen. Es ist wichtig, dass wir uns in depressiven Phasen immer wieder dieser Ressourcen bewusst werden, die wir als erwachsene Menschen haben und uns nicht völlig den kindlichen Gefühlen, insbesondere der kindlichen Hilflosigkeit hingeben. Der Begriff der erlernten Hilflosigkeit wurde 1967 maßgeblich von den amerikanischen Psychologen Martin E. P. Seligman geprägt. Seligman führte hierzu Versuche mit Hunden und anderen Tieren durch. Er war der Ansicht, dass auch Menschen, die unter Depressionen leiden, sich in einem solchen Zustand der erlernten Hilflosigkeit befinden können. Laut Seligman engen depressive Menschen unbewusst freiwillig ihr Handlungsrepertoire dermaßen ein, dass sie sich in einer konkreten Situation nicht mehr in der Lage sehen, adäquat zu agieren oder zu reagieren. Sie verlieren die Kontrolle über sich selbst und die Situation. Tatsächlich und von außen betrachtet verfügten sie aber durchaus über entsprechende Ressourcen und wären auch in der Verfassung, die Situation zu meistern.


Die Depression und der Tierversuch

Ratten und die provozierte Depression

In einem Tierversuch zur Depression konnten Dr. Claus Normann von der Universität Freiburg und seine Kollegen direkt nachweisen, dass bei depressiven Ratten das depressive Verhalten erlernt wurde. In dem Experiment wurden Ratten über einen längeren Zeitraum bis zu zweimal am Tag nicht vorhersehbaren Stresssituationen ausgesetzt. Hierfür wurden etwa völlig zusammenhanglos die Käfige verkleinert oder die Futtermenge vermindert. Infolge dieser veränderten Bedingungen zeigten die Tiere eindeutig depressive Symptome. Sie waren deutlich weniger aktiv, vernachlässigten ihre Fellpflege, zeigten verminderten Appetit und wiesen einen veränderten Schlaf-Wach-Rhythmus auf, während eine Kontrollgruppe von Ratten sich weiterhin normal verhielt. Die erkrankten Tiere konnten die Stressbedingungen nicht beeinflussen. Sie fühlten sich hilflos und wurden depressiv. In einem anderen Versuch an anderer Stelle fand man heraus, dass Ratten, die depressiv gemacht wurden, in einem Gefäß mit Wasser deutlich weniger lang um ihr Leben schwammen, als Ratten ohne den Depressionslehrgang dies taten...

Hunde und Depressionen und ein bekannter Versuch

Zum Nachweis der These der erlernten Hilflosigkeit verwandte Seligman folgende Versuchsanordnung: Er unterteilte eine Gruppe von Hunden in drei Einheiten. Die erste Einheit wurde kurzen elektrischen Stromschlägen ausgesetzt, während die Tiere durch die Betätigung eines kleinen Hebels oder das Drehen eines Rades, die Stromschläge verhindern konnten. Nach einiger Zeit lernten die Hunde, sofort nach Einsatz des Schocks die den Stromschlag abstellende Reaktion zu zeigen. Für Seligman war dies eine typische Fluchtreaktion.
Eine zweite Gruppe von Hunden befand sich zur gleichen Zeit wie die erste Gruppe in einer ähnlichen Umgebung und wurde ebenfalls den Elektroschocks ausgesetzt. Dies geschah zur selben Zeit und in der selben Häufigkeit wie bei der ersten Gruppe von Hunden. Jedoch konnte diese Gruppe nichts gegen die Stromschläge unternehmen. Egal was sie tat - und auch sie versuchten etwas zu tun - ihr Verhalten hatte keinerlei Einfluss auf die Schocks.
Eine dritte Gruppe von Hunden diente als Kontrollgruppe. Sie befand sich in einem ähnlichen Apparat wie die beiden anderen Gruppen, bekam jedoch keine Elektroschocks. Soweit die Lernphase des Versuchs.
In einer zweiten Phasen wurde nun die Versuchsanordnung geändert. Hier wurden alle drei Gruppen in einer sogenannten Shuttle-Box trainiert. Eine solche Box besteht aus zwei identischen Teilboxen, die miteinander verbunden sind. Das Versuchstier wurde nun in eine der beiden Boxen gesetzt und einem Elektroschock ausgesetzt. Der Hund konnte dem Elektroschock nun einfach entgehen, indem er in die andere Box überwechselte. Dabei handelte es sich um ein sogenanntes Two-Way-Experiment. Das Tier wechselte jeweils in die andere Box, die Schocks aber wurden auf beiden Seiten abwechselnd verabreicht.
Das Ergebnis dieser Studie ist frappierend. Die Gruppe von Hunden, die gelernt hatte, durch eine Handlung die Schocks abzustellen, also die Hunde aus Gruppe 1, lernte auch hier sehr schnell, dem Schock im Shuttle-Box-Training zu entkommen. Besonders interessant ist hierbei, dass die Tiere nicht nur lernten, den Schock durch einen Wechsel in die andere Box zu beenden, sondern diesem sogar durch einen vorzeitigen Wechsel in die jeweils andere Box völlig zu entgehen. Auch die Kontrollgruppe, also die Gruppe, die niemals mit Elektroschocks konfrontiert wurde, erlernte, den Schocks durch Wechseln in die jeweils andere Box zu entkommen, jedoch dauerte der Lernvorgang etwas länger. Die zweite Gruppe von Hunden aber, welche in der 1. Phase die Elektroschocks bekam, egal wie sich das jeweilige Tier verhielt, erlernte, wenn überhaupt, nur sehr langsam, oft aber eben auch gar nicht ein alternatives Verhalten. Die Hunde blieben zumeist regungslos in der Box liegen und ließen die Schocks einfach so über sich ergehen.

Mein Fazit zum Tierversuch Depression

Drei Gruppen völlig gesunder, unauffälliger Hunde, wobei nur eine Gruppe depressiv machenden Umgebungsbedingungen ausgesetzt wird. Und genau diese eine Gruppe zeigt nach kurzer Zeit eindeutig depressive Anzeichen. Wenn ich von außen auf diesen Versuch schaue, scheint es mir nun einfach, die Depression wieder zu heilen. Man müsste doch einfach diesen Lernvorgang nur wieder umkehren, denke ich. Im Grunde ist das wohl auch richtig. Doch liegt gerade darin die besondere Schwierigkeit. Denn es fehlt den Depressiven an Lebensfreude, an Lernbereitschaft, an Begeisterungsfähigkeit, an Energie und Ausdauer und an Willen. Wenn sie jedoch wüssten, wie sie zu ihrer Depression kamen, dann müssten sie durch eine Denkleistung diese Zwickmühle doch eigentlich durchbrechen können, oder nicht? Mich jedenfalls fasziniert dieses Experiment und eröffnet mir scheinbar völlig neue Horizonte. Denn nun kann ich sie wieder sehen, meine Möglichkeiten...


Ist das etwas für Dich?
Ich finde das sehr aufschlussreich!
Ich glaube, ich gehörte auch der markierten Hundegruppe an Ich hatte lange Zeit nicht wahrnehmen können, dass ich Handlungsspielraum habe.
Wenn ich mich heute einmal wieder ohnmächtig fühle, mache ich mir klar, dass es an dieser Prägung liegt und versuche mich selbst zu motivieren.

01.03.2015 22:12 • x 1 #8




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