Du fragst ob man eine Affäre verzeihen kann. Natürlich kann man das, warum auch nicht? Hat er Jemanden umgebracht? Nein. Hat er eine Frau vergwaltigt? Nein. Eine Rentnerin überfallen? Auch nein.
So viel zur Verhältnismäßigkeit.
Er hatte eine Affäre. Uff, das ist schlimm, zumindest momentan. Denn eine Affäre ist ein klarer Vertrauensbruch. Es ist ein Verrat am Partner, den man hintergeht, belügt usw. Noch eins drauf ist dann, wenn man der Affäre von der schrecklichen Ehefrau oder dem gräßlichen Ehemann zu Hause erzählt, der oder die ihn oder sie nicht versteht, zu viel schimpft, mit nichts zufrieden ist usw. oder ähnliches.
Und wie kam es dazu? Ganz einfach, er fühlte einen Mangel und er glaubte, er würde den Mangel damit kompensieren. Jeder fühlt irgendwann einen Mangel an etwas, aber nicht jeder findet Mittel und Wege den Mangel zu beseitigen oder gar sich selbst zu fragen, was kann ich tun, damit ich mich besser fühle.
Mangel schafft offene Türen, denn durch die offene Tür könnte ja Jemand reingehen und dafür sorgen, dass es mir besser geht. Bei der Frau ist es nicht anders. Auch sie lebt im Mangel, ist unzufrieden mit diesem und jenem, das Leben macht keinen rechten Spaß mehr. Man lebt vielleicht ohne es zu merken im Unglück.
So kommen Affären zustande.
Denn auf einmal ist da ein Mensch, der Interesse zeigt. Und gemeinsames Unglück zu Hause und mit sich selbst verbindet. Abgesehen davon, dass Affären meist den Hormonhaushalt kräftig durcheinander wirbeln, denn auf einmal lebt man wieder. Man fühlt, man freut sich aufs nächste Treffen, auf das Knistern, auf Sx und Zärtlchkeit und auf Verständnis. Nur leider bei der falschen Person. Da wo man nicht sein sollte.
Auf längere Sicht stellt sich meist heraus, dass eine Affäre eine Einbahnstraße ist und daraus neue Probleme entstehen. Da ist vielleicht oder hoffentlich das eigene schlechte Gewissen oder der AP drängt auf eine Entscheidung, ob aus der Affäre nun eine richtige Beziehung wird. Oder man fühlt Orientierungslosigkeit, weil man die Bodenhaftung verliert und schließlich nicht mehr so recht weiß, wohin man eigentlich gehört und wo der eigentiche Lebensmittelpunkt ist.
Man versuchte ein Problem zu lösen und die Lösung schafft neue Probleme.
Das ist das Wesen von Affären, die ja mit einem Alltag nichts zu tun haben.
Und wer ist nun Schuld, dass es so weit kam? Reden wir nicht von Schuld, das ist in diesem Kontext zu negativ besetzt. Reden wir von Anteilen. Beide Ehepartner haben ihren Anteil daran, dass es so weit kam. Nur dass einer aktiv ausgebrochen ist und der andere nicht.
Ehen schlafen irgendwann mal ein. Ich denke das kommt phasenweise in jeder Ehe vor. Der Partner ist so selbstverständlich wie ein Möbelstück geworden. Er hat seinen Reiz verloren, er ist langweilig geworden. Und wenn er was sagt, weiß der Partner oft schon vorher, was jetzt an Äußerungen kommt, ehe der Andere es ausspricht. Gähn, das ist ja auch langweilig und berechenbar. Und immer dasselbe. Und dazu dann noch Probleme, die nur nerven. Der Kühlschrank geht kaputt, der Putz blättert an einer Stelle ab, der Sohn mag nicht mehr zur Schule gehen und die Tochter bringt eine Fünf in Mathe heim.
Alles nicht sehr attraktiv. Aber da ist ja dann die Affäre. Ein Fluchtpunkt, wo alles heiter und leicht ist. Zunächst und nur auf Zeit, denn auch Affären können einen Alltag haben, wenn sie lange genug dauern. Da lacht man dann über den blöden Kühlschrank und die Fünf in Mathe wird vergessen und wozu gibt es denn Nachhilfelehrer?
Das ist endlich mal belebend.
Und dann fliegt die Affäre auf oder es drückt das schlechte Gewissen, denn schließlich hatte man ja mal was anderes versprochen: in guten wie in schlechten Zeiten.
Aber keiner hat einem gesagt, wie schlecht schlechte Zeiten auszuhalten sind.
Und irgendwann entscheidet sich dann was oder einer der Affärenpartner entscheidet sich für etwas. Wenn der Mann eine Affäre hat, bleibt er in über 90 % der Fälle bei der Ehefrau. Wie der Prozentsatz bei Affärenfrauen sind, weiß ich nicht, aber keine gibt leichtfertig altbewährte Strukturen, ein gewachsenes Zuhause mit unterm Strich doch vertrauten Menschen auf.
Hinzu kommen dann die unerfreulichen Begleiterscheinungen wie Scheidungen, Rechtsanwälte, Ärger wegen Unterhaltszahlungen und Rentenpunkten. Das kann einem einen Wechsel durchaus vergällen, zumal ja auch der Affärenpartner irgendwann auch nur zum Alltagspartner wird ... Wo ist da die Verbesserung? Hinzu kommt natürlich das Risiko, denn das neue Glück könnte sich sehr bald als eine Illusion herausstellen.
Vielleicht kriegst Du jetzt fast Mitleid mit ihm? Wohl eher nicht. Aber er hat eben zu den falschen Mitteln gegriffen.
Du fühlst Dich jetzt verraten, hintergangen und bist enttäuscht. Denn das hättest Du nicht gedacht! Ja, manchmal überrascht einen der Ehepartner doch noch.
Du fühlst Dich ausgenützt und hast seine Hemden gebügelt, während er die andere traf. Die Vorstellung würde mich auch wütend machen.
Du bist das Opfer, das aber alles richtig gemacht hat, denn Du bist nicht ausgebrochen. Vielleicht mangels Gelegenheit, vielleicht aufgrund von moralischen Bedenken, vielleicht weil Du besser weißt, dass eine Affäre kein Problem löst, sondern nur neue schafft.
Und er muss jetzt liefern, denn er ist ja schuldig. Gemein hat er Dich hintergangen und geschwiegen und gelogen.
Muss er das? Nein, er muss gar nichts, denn er ist ein freier Mensch. Er kann sagen, es tut mir leid, es war ein Irrweg, es war nicht richtig, aber ich war damals auch zu kurzsichtig und habe nicht weit genug geschaut. Ich habe das Altgewohnte nicht mehr richtig geschätzt und es musste mir erst bewusst werden, wie wichtig und wertvoll das doch für mich ist. Es musste mir erst wieder bewusst werden, dass Du der Mensch bist, der mich am besten kennt und bei dem ich zu Hause bin.
Wenn er so was sagt und sich nun auch ein wenig Mühe gibt, Dich davon zu überzeugen, dass er es ernst meint und dass ihm wirklich etwas daran gelegen ist und Du es schaffst, die Opferrolle ein wenig zu verlassen, dann kann was Neues und Tolles daraus entstehen.
Aber Du musst ihm halt auch eine Chance geben, denn wenn Du jetzt bei jeder Dienstreise Schnappatmung kriegst und Dich fragst, ob da jetzt womöglich auch wieder eine nette und frustrierte Kollegin ... dann tust Du Dir selbst nichts Gutes. Du ziehst Dir Energie ab, indem Du schlechte Gedanken zulässt.
Auf Deiner Schulter sitzen ein paar böse, hinterhältige Kobolde. Die haben einen Heidenspaß daran, Dir was einzureden. Pass nur auf, was noch alles kommt! Wer einmal lügt und betrügt, dem glaubt man nicht ... Haha, Du bist schön naiv, wenn Du jetzt glaubst, er wird nicht mehr fremdgehen.
Und dann stell Dir mal vor, was er mit der Trulla so gemacht hast! Ha, da kommt Dir doch vor Wut und Enttäuschung die Galle hoch.
Wir wissen es besser, denn wir haben Erfahrung ... Wenn Du dem noch vertraust, bist Du schön naiv.
Es wäre doch ganz prima, wenn Du den bösen Kobolden mal die Tür zeigen würdest und sie in ihren Schrank sperrst. Denn Du sagst klipp und klar: Ja, er hat Mist gebaut, aber das ist kein Grund, dass das ganze Haus jetzt zusammenkracht. Und ich vertraue ihm, denn ich weiß, er hat dazu gelernt und er wird unsere Ehe nicht mehr leichtfertig gefährden.
Und wenn doch, werde ich es spüren und dann kann ich immer noch Konsequenzen ziehen.
Ist denn ein Fehltritt es wert, etwas Gewachsenes hinzuwerfen? Eigentlich nicht, denn auch ein Verräter hat eine zweite Chance verdient, oder nicht?
Du glaubst es jetzt nicht recht, weil Dein Blick noch zu sehr von Emotionen getrübt ist und die Emotionen sind leider größtenteils negativ. Sie kommen aus Deinen schlechten Gedanken. Du kannst schlechte Gedanken aber auch durch positive ersetzen und sagen, er will es jetzt besser machen und wird mich nicht mehr so ins Abseits stellen. Denn ich bin die Frau, die es wert ist, dass er bleibt und er ist es - trotz allem - auch wert, dass ich bleibe.
Negative Gedanken kann man überschreiben, zumindest aber wegstoßen, denn sie bringen Dich keinen Deut weiter. Die einzigen, die was davon haben, sind die bösen Kobolde, die Dich wieder da haben, wo sie Dich haben wollen. In der Negativschiene der Verzagten und der Ängstlichen.
Verlass die Opferrolle und Du wirst Dich besser fühlen. Du bist nicht nur die Enttäuschte, die Verletzte, die Betrogene. Du bist mehr als das und das weißt Du auch. Du kannst es auch steuern und lässt nicht zu, dass über Dich bestimmt wird.
Du kannst entscheiden, wo es für Dich lang geht. Und gehen kannst Du immer noch, das nimmt Dir keiner.
Auch ein betrogener Mensch kann Entscheidungen treffen, z.B. für die Ehe und für den Ehemann und für das Altbewährte, das an Glanz verloren hat. Aber mit etwas Polieren kann es auch wieder glänzen.
Du bist auch nicht der Richter, der über gut und böse entscheidet. Wenn Jemand zurück kommt, dann braucht er eine Chance, es nun besser zu machen. Und er muss trotz allem auch noch seinen Kopf oben halten können, denn mit gesenktem Haupt und im Büßerhemd kann man nicht auf Dauer leben.
Bedenke eines: glaub nicht, dass es ihm jetzt gut geht. Auch er leidet, da kannst Du sicher sein, denn er weiß, was er getan hat. Und er weiß, dass es nicht in Ordnung war. Und er weiß auch, dass er es künftig besser machen muss, wenn ihm noch geglaubt werden soll.
Verlässt Du die Rolle des getretenen Opfers nicht oder die des Richters, der ja alles richtig gemacht hat, wird es scheitern. Wenn Du aber künftig selbstbewusster agierst und auch von Deinem Wert überzeugt bist, eröffnest Du neue Wege. Nicht nur für ihn, sondern in erster Linie für Dich. Wie gesagt, Du kannst Dich jederzeit umentscheiden, das kann Dir niemand nehmen.
Auch du kannst aktiv werden und auch Du bist ein freier Mensch.
Es ist halt jetzt eine schlechte Zeit, aber Du hast es ihm ja auch versprochen: in guten wie in schlechten Zeiten.
Wenn beide das sehen und wollen, dann kann aus einer schlechten Zeit wieder eine gute werden. Aber jeder muss seinen Anteil dazu beitragen, genauso wie jeder vorher seinen Anteil zum anderen beigetragen hat.
Ich sag Dir das nicht einfach so. Ich habe es selbst erlebt, nur dass ich die Affäre hatte und nicht er. Weil mein Mann mich aber nie in die Ecke derjenigen gestellt hat, die sich ab jetzt nichts mehr zu Schulden kommen lassen darf und die ab jetzt zu Kreuze kriechen muss, konnte ich bleiben. Mein Mann ist erstens nicht der Typ für einen Richter und für einen, der sich über andere erhebt und er ist ohnehin schlauer als ich. Ich konnte meine Würde behalten, obwohl ich den Fehler begangen hatte.
Das geht nicht von heute auf morgen, das ganze muss ja auch wieder wachsen oder vielleicht muss ja etwas ganz neu wachsen. Es ist ein Prozess, für den man auch Geduld braucht. Mit sich, mit dem Ehepartner, mit der eigenen Schuldigkeit. Aber es ist irgendwie gelungen, ohne Eheberatung und Coach und auch ohne Familienrichter. Und es war gar nicht so schwer, denn beide wussten wofür sie es taten.
Und heute fühle ich mich verheirateter als vor der Affäre. Aus etwas Schlechtem ist etwas Gutes entstanden und das finde ich erfreulich, weil es nicht selbstverständlich ist.
Zeig mal dem Leben und vor allem den miesen Kobolden die Zähne und tu Dir was Gutes. Etwas für Dich ganz allein. Warum? Weil Du es Dir wert bist, ganz einfach.
19.01.2022 15:15 •
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