@Kaetzchen
Liebe Kaetzchen,
die Wertschätzung ist eine wechselseitige, möchte ich als Erstes sagen. Aber ich denke, auch Du weißt das ja.
Vieles von dem, was Du schreibst, nicht nur hier, sondern überhaupt, ist ohne Zweifel richtig, klug, weitsichtig, zeugt von einem tiefen Wissen in dieser Materie und von einer echten Beschäftigung damit.
(Ich bin mir auch bewußt darüber, daß es etwas schwierig ist, in einer solchen schriftlichen Monologform zu dialogisieren - um das vorauszuschicken.)
Das eine oder andere ist jedoch - ganz natürlicherweise, weil ja niemand allwissend und gerade alles Menschliche und vielleicht sogar teilweise ein kleinwenig Übermenschliche letztlich ohnehin unergründlich ist - diskussionswürdig.
Wie etwa diese Hormonthese. Mir erscheint das eine Teilwahrheit, und ich glaube nicht, daß etwas so Komplexes wie Liebe oder auch nur s. lle Anziehung allein auf ein paar Hormonen bzw. einer Überflutung damit beruht. Dieser Ansicht bin ich sogar ganz und gar nicht. Und es fragt sich hier doch unweigerlich: Was war zuerst da: die Henne oder das Eis (bzw. die Hormone oder die Liebe (das Verlangen)). Bringt man diese These auf den praktischen Punkt, würde es bedeuten: Gut und oft gepo.pt, ist sicher gebunden. Das glaube ich nun aber gar nicht. Auch hier scheint etwas verdreht, die Realitäten umgekehrt. Vielmehr ist es doch meines Erachtens so, daß diese Verliebtheit, die oftmals ja sogar als große Liebe empfunden wird, zu diesem erhöhten Poppdrang (oder allgemein zum Verlangen nach körperlicher Nähe) führt und nicht umgekehrt.
Zudem ist es doch so: Würde man eingedenk dieser Hormontheorie über Jahre in der anfänglichen Frequenz weiterpoppen, ganz unabhängig von Lust und Verlangen, so ließe die Bindungskraft dennoch nach. Wofür man aber zugegeben auch wiederum den Abfall der einschlägigen Hormonspiegel verantwortlich machen könnte bzw. die zunehmende Resistenz gegen ihre Wirkung (die Versuche, durch Zuführung von außen wieder einen erquicklicheren Zustand herbeizuführen, scheinen ja nicht sehr vielversprechend verlaufen zu sein). Allerdings wieder nur auf diesen einen Partner bezogen und nicht allgemein. Letztlich stünde man damit vor einem unlösbaren Problem: Entweder eine absehbare Bindung auf Zeit oder ein Verzicht auf zumindest vertieftere Lust. Jedenfalls könnte man der Liebe, besonders dieser großen Liebe gleich einmal Adieu sagen.
Und ich glaube eben absolut nicht, daß alle diese Gefühlsdinge allein eine hormonelle Angelegenheit sind. Dazu haben sie, für mich, doch bisweilen etwas zu viel Magisches an sich.
Das andere, das ich sagen möchte: Ja, mit dem Vergleich mit Dro*gen magst Du recht haben, zumindest in so manchen Fällen. Nur ist es durchaus auch bei Dro*gen ja so, daß das eigentliche Suchtpotential nicht in den Dro*gen liegt, sondern in der jeweiligen Person, in der Persönlichkeitsstruktur. Es gibt einige Voraussetzungen dafür, damit irgend etwas zur Sucht wird. Allein der Konsum ist noch nicht Sucht, das sind zwei ganz verschiedene Dinge. (Auch dafür könnte ich wieder Beispiele bringen, aber ich erspare es mir, weil es nicht sehr viel zur Sache tut.) Die Frage, auf die es hinausläuft, ist: Kann jemand damit gefahrlos umgehen oder nicht.
Meine Ansicht ist einfach diese, in allen Bereichen: Sobald jemand ein gewisses Alter erreicht hat, sollte er sich soweit kennen, um zu wissen, was er riskieren kann und was er besser bleiben lassen sollte. Und wenn ich z. B. wüßte, daß ich einen Betrug nahezu nicht überleben würde, diesen unbedingen körperlichen, se. llen Exklusivanspruch hätte, zugleich aber auch weiß, daß dies mit einer 50%igen Wahrscheinlichkeit passieren kann, so würde ich mich hüten, an eine Beziehung auch nur zu denken. Gehe ich sie dennoch ein, bin ich auch dafür verantwortlich, und diese Verantwortung läßt sich auch auf niemand anderen abschieben, auch nicht auf den Betrüger und seine jeweils Mitangeklagten. Denn ein Betrug folgt, wenn ich mich nicht irre, durchaus den ganz natürlichen Spuren eines Verlangens, das der Betrogene eben nicht mehr erfüllen konnte. Um diese vielbesungene Loyalität läßt sich im Endeffekt auch nichts kaufen, davon hat, soll es um authentische Gefühle gehen, niemand etwas. Zumindest ich möchte mit niemandem zusammen sein, der lediglich aus Loyalität, aus Rücksicht mit mir zusammen ist oder weil er mein Ausrasten oder meinen Zusammenbruch fürchtet. Das ist läppisch.
Und mich erstaunt in diesem Zusammenhang halt schon immer wieder, warum nur der miese Charakter dieser Affärenleute, ihr Lügen und Betrügen in den Mittelpunkt gestellt werden, aber so gut wie nie die Empfindlichkeit und Verletztlichkeit der Betrogenen. Denn ganz ohne diese wird sich das Drama ja auch nicht glaubhaft auf die Bühne bringen lassen.
Ich glaube bzw. weiß, daß ja auch Dir bekannt ist, daß es durchaus nicht bei allen so ist, weder in manchen Kulturen noch bei manchen einzelnen Personen. Das heißt, allein auf die Natur wird man sich hier nicht berufen können. Sonst wären freizügigere Kulturen oder Zeiten (die gab es ja auch hierzulande schon) oder Partnerwechsler oder Pärchenpartys mit wechselfältigen Absichten ja ganz undenkbar. Was immer dahinterstecken mag - aber die Natur ist nicht das beste Argument und kann schon gar nicht das einzige sein.
Was mir vielmehr aufgefallen ist in den letzten Jahrzehnten, das ist, daß die Empfindlichkeit fortwährend zugenommen hat (nicht allein auf dieses Thema bezogen), daß keiner mehr etwas aushält oder aushalten zu können glaubt, daß bei jedem Schmarren sofort eine Therapie her muß, daß jeder Charakterzug gleich etwas Krankhaftes sein muß usw. Das Spektrum des individuell und kollektiv Aushaltbaren scheint mir ja schon auf ein ganz dünnes Fädchen zusammengeschmolzen.
An den diversen Widrigkeiten des Lebens wird sich allerdings auch durch eine Steigerung der Empfindlichkeiten nichts ändern lassen, weil das Leben eben seinen eigenen Gesetzen folgt, ganz unabhängig von den Wünschen und Idealen des Menschen.
Gesund etwa wird auch jeder bleiben wollen, aber daß er es für immer bleiben wird, ist sehr unwahrscheinlich, selbst wenn er noch so herumturnt und auf die Ernährung achtet usw. Ganz ohne Leiden wird sich jedenfalls das Leben nicht leben lassen. Daher schiene es mir doch wesentlich sinnvoller, sich gegen die Widrigkeiten zu wappen, als dann, wenn vielleicht auch unter großem Verständnis, daran zu zerschellen.
Auch das Liebesleid kann ja ein sehr vielfältiges sein und beschränkt sich nicht allein auf Affären. Und nirgendwo wird sich sein Ursprung immer so ganz auf andere abschieben lassen.
Ich könnte ja sogar Dich als Beispiel nehmen, wenn Du sagst, eine so enge Beziehung, bei der man dauernd zusammenpickt, willst Du gar nicht mehr. Was, wenn zwischen Dir und jemandem eine Liebe entflammt, der aber eben genau das will? Dann wirst Du ihm notwendigerweise Liebesleid zufügen, wenn Du Deiner Haltung treu bleibst.
Die Beispiele, von denen ich berichtet habe, mögen zwar hanebüchen wirken, aber sie waren nicht als Vergleich gedacht, sondern als Beispiele, daß es durchaus nicht immer so sein muß, wie es allgemein dargestellt wird.
Ich kannte auch nicht nur die eine Seite (der Betrügerinnen), sondern auch die andere, mit Ausnahme eines Falles.
Bei der einen Frau mit der Wohnung war es z. B. so, daß das die unmittelbaren Nachbarn waren. Die hatten sogar einmal einen Dreier versucht (mit zusätzlichem Mann), der aber nicht gar so zufriedenstellend verlaufen sein dürfte. Die haben es einfach so gemacht, daß dieses Thema gar nicht angesprochen wurde, nach dem Motto, was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Und daß sich die Affäre nicht negativ auf ihr eigenes Liebesleben ausgewirkt hat, durfte ich mir mit bisweiligem Erschrecken oder auch morgenstündlicher Verärgerung mitanhören.
An einem Mangel an Empathie leide ich durchaus nicht, nebenbei gesagt, und auch ich habe schon mit vielen Leuten aller Art und Schattierung darüber gesprochen. Ich weiß, daß es furchtbar sein kann, wenn das ganze Leben und mit ihm alle weiteren Lebenspläne zusammenbrechen. Und zudem habe ich es ja auch schon selber erlebt, aus welchen Gründen auch immer. Ich sage ja nicht, daß es einfach wäre, und ich bin auch weit davon entfernt, Affärentipps zu geben. Das Einzige, das ich sage, ist, daß eine Affäre nicht notwendig eine Art Vernichtungsgefühl mit sich bringen muß und daß man auch sich selber und seine Reaktionen zumindest ein wenig hinterfragen sollte. Denn wenn man einfach sagt, daß sei halt so, dann muß man das gleichermaßen dem Betrüger zugestehen und kann nicht aus guten Gründen Anklage erheben.
Wobei es aber natürlich auch immer darauf ankommt, worum es eigentlich geht: vor allem um S., um Verliebtheit, gar um Liebe.
Was für mich, abschließend gesagt, jedenfalls klar ist, ist, daß alle diese Gefühle, ob die guten, ob die schlechten, immer mit einem selber zu tun haben. Im Betrugsfall schlicht und einfach damit, inwieweit der eigene Selbstwert, der Wert auch für den anderen, über S. definiert wird, über diese Exklusivität.
Und hier vermute ich doch einen möglichen Irrlauf nicht nur des Denkens, sondern auch des Fühlens. So ganz scheinen wir das Thema S. ja nach wie vor nicht in den Griff bekommen zu haben. Das scheint ein Thema zu sein, daß den Menschen gehörig in der Birne herumspukt in allen möglichen Weisen und Affektiertheiten. Wenn man etwa an die Zeiten denkt, in denen Homos. lle noch eingesperrt worden sind, Ehebruch ein Schuldgrund im Scheidungsfall war oder gar daran, daß vor etwas mehr als 100 Jahren Frauen, die bei der Mastur. tion ertappt worden sind, gewissermaßen als vordringlicher Notfall ins Irrenhaus verfrachtet worden sind, dann kann man sich wohl nicht des Eindrucks erwehren, daß S. offenbar mit einer schwerwiegenden Erbkrankheit ursprünglich geistiger Natur behaftet sein muß.
16.02.2018 03:32 •
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