Die letzte Rose
Rosen sind ihre Lieblingsblumen. Bevor sie geheiratet hatten, brachte er ihr jeden Tag Rosen.
Als sie ihre Wohnung bezogen, kamen die Alltagssorgen. Die Räume mußten möbiliert werden,
die Vorhänge gekauft, der Boden verlegt und was sonst noch alles für die Wohnung angeschafft werden muß. Das letzte Geld ging für die Wohnung drauf, und nichts blieb mehr übrig für ihre Lieblingsblumen, die Rosen.
Waren wirklich die Geldsorgen die Ursache, oder übertünchte schon der Alltag ihre Liebe, daß er keine Rosen mehr brachte ?
Dann kam ihr Kind, ein Mädchen.
Sie mußten Wäsche, Bettchen, Wagen und Kleidung kaufen. Auch jetzt blieb kein Geld mehr für Rosen. Doch zu feierlichen Anlässen brachte er immer noch einen großen Strauß Rosen mit, so wie früher.
Doch dann machte sie Bekanntschaft eines Mannes, der ihr alles bot: Ein Haus, ein Auto, für das Kind würde er ein teures Internat bezahlen. Und ihr würde er täglich neue Rosen ins Zimmer stellen lassen. Dann hätte sie plötzlich keine Sorgen mehr:
Geld war genug da, und alle ihre Wünsche würden erfüllt.
Sie versuchte diese Bekanntschaft ihrem Mann zu verheimlichen - erst vor der Trennung wollte sie mit ihm darüber sprechen. Doch er bemerkte ihre Wandlung. Nun sagte sie ihm alles. Er versuchte nicht sie zurückzuhalten, denn er wußte, daß er ihr nichts Neues bieten konnte: Nur seinen kargen Verdienst. Das Kind wollte er behalten. Sie aber wünschte, daß es die Kleine einmal besser haben sollte : In einem Internat.
Das Weihnachtsfest feierten sie noch gemeinsam. Er hatte eben die letzte Rate für den Wohnzimmerschrank bezahlt. Da blieb wenig Geld für Geschenke. Für das Kind kaufte er eine kleine Puppe, wie es immer der Wunsch des Mädchens war. Und für seine Frau kaufte er die letzte Rose, eine große rote Rose.
Sie hatte kein Geschenk, denn sie wollte in ihm nicht die Hoffnung nähren, daß sie blieb.
Das Kind jubelte, als es sein Geschenk sah. Als seine Frau ins Wohnzimmer trat, zeigte er mit seinen schwieligen, schweren Händen zur Rose. Langsam schritt sie hin und nahm mit beiden Händen die große rote Rose aus der Vase. Vorsichtig führte sie die Rose an ihr Gesicht und verbarg es darin. Sie dachte an ihre erste Liebe, an ihre gemeinsamen Sorgen, an ihr Kind. Sie dachte an die Zeit, da sie Nächte am Krankenbett ihres Kindes saßen, ihre Hände hielten und nur den Wunsch hatten, daß es gesund werden möge.
Wie klein waren doch alle anderen Sorgen daneben ! Sie dachte an ihren Mann, der ihr an jedem Zahltag seinen ganzen Lohn überreichte, ohne etwas für sich zu behalten, und daran, daß er sie nicht gefragt hatte, ob sie etwas in die Ehe brächte oder nicht. Er hatte sie genommen, arm, wie sie war, und sie hatten ihre Existenz gemeinsam aufgebaut. Und jetzt wollte sie plötzlich ein besseres Leben führen, ohne Kind, ohne ihn. Er sollte zurückbleiben, wie sie es jetzt besser haben wollte - eine schmähliche Flucht !
Tränen rannen ihr über die Wange, als sie sich zu ihrem Mann drehte. Langsam schritt sie auf ihn zu, ein wenig beschämt, die Rose zart vor sich hertragend, mit den Händen schützend, daß ihr kein Unheil widerfahre. Groß war ihre Liebe wieder da - wie früher. Sie stellte sich vor ihn. Zitternd und ängstlich kam ihre Frage: Willst Du mich trotzdem noch behalten? Freudig erregt und unbeholfen nahm er ihr Gesicht in die Hände und küßte sie auf die Stirn.
Das Kind, das von alledem nichts verstand, drängt sich zwischen beide, nahm sie fest an den Händen und strahlte den Lichterbaum an.
(von Leopold Langs)