Liebe I.,
Mittlerweile gehen wir beide seit 5 Monaten getrennte Wege, seitdem hörte ich nichts mehr von dir und du nichts mehr von mir. In dieser Zeit konnte ich einiges aufarbeiten und denke, nun endlich zu verstehen was mit uns eigentlich passiert ist. Es bedarf meinerseits einiges an Psychotherapie und ich weiß nicht, wie das ganze ohne meinen Therapeuten, der mich auf meinen aktuellen Weg geleitet hat und zu diesen Erkentnissen verholfen hat, für mich ausgegangen wäre. Die letzten Monate waren für mich eine Reise zu meinen tiefesten psychischen Abgründe, eine Welt voller Schmerz, Trauer, Einsamkeit und tiefster Sehnsucht. Ich lernte mir bisher unbekannte Seiten von mir kennen, die ich nun irgendwie als Teil meiner selbst akzeptieren und in mein Leben integrieren versuchen möchte.
Als wir uns kennenlernten, dachte ich du wärst das Beste was mir je passieren konnte, konnte mir nicht vorstellen, welchen Verlauf das ganze nehmen sollte. Ich ließ mich voll und ganz auf dich ein und ich liebte dich über alles mit all deinen Stärken und Schwächen. Ich wusste jeden Moment mit dir zu schätzen und mit dir verbrachte ich einige der schönsten Monate meines Lebens. Du zeigtest mir was es heißt absolutes Glück zu erleben. Du gabst mir alles, was ich mir wünschen konnte und noch viel mehr. Es war ein absoluter Höhenflug und alles mit dir fühlte sich absolut richtig an. Du sagtest mir, dass es dir mit mir gleich ginge, diese Gefühle auch für dich einzigartig und unbekannt waren, du dir wünschen würdest deine Zukunft mit mir zu verbringen. Das glänzen in deinen Augen, dein Strahlen über dein wunderhübsches Gesicht, wie sich deine Stimme in meiner Gegenwart veränderte, dein gesamtes Verhalten ließen mich nicht daran zweifeln, dass dies so war. Zu diesem Zeitpunkt war es für mich ein perfektes Geben und Nehmen - ich dachte mit dir meine große Liebe gefunden zu haben, nicht einmal in meinen schlimmsten Albträumen hätte ich mir vorstellen können, wie schnell sich das alles dann veränderte.
Von einem Tag auf den anderen, als du mir noch am Vortag deine große Liebe beschrieben hattest, brachst du den Kontakt zu mir für 2 Wochen nahezu vollständig ab. Für mich war das die Hölle auf Erden, so im Ungewissen zu hängen. Bei der darauf folgenden Aussprache, erzähltest du mir, wie leid es dir tut, wie du so bist. Du erzähltest mir, dass du als Kind sehr lange in der Psychiatrie warst, damals mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung diagnostiziert worden bist. Dass du weißt, wie sehr du mich schlussendlich verletzten würdest, wie sehr dir das Angst macht und dass du den Kontakt abgebrochen hast, weil du bemerkt hattest, wie du in deine alten Muster zurückfallen würdest - wie du plötzlich nur noch das Negative in mir sahst, aber dein Kopf dir noch gesagt hätte, dass dies nicht so sei. Ich liebte dich immer noch über alles und obwohl ich wusste, was Borderline bedeutet, wollte ich an der Beziehung festhalten und weiter zu dir stehen. In den nächsten Wochen kamen von dir immer wieder sehr seltsame Andeutungen: Dass sich ein anderer Mann, mit dem du einmal ein paar Dates hattest, bei dir erkundigt hätte wie es dir so ginge, du aber nur aus Höflichkeit kurz zurückgeschrieben hattest - ihm gesagt hättest, dass du glücklich vergeben seist und ansonsten nicht weiter auf ihn eingegangen wärst - du diesbezüglich offen mit mir sein willst um Missverständnisse zu vermeiden. Kurz darauf hast du dich versprochen und benanntest mich mit einem anderen Männernamen. Ob dies Zufall war, oder ein anderer Mann etwas mit unserer Trennung zu tun hatte, weiß ich bis heute nicht. Verändern würde es schlussendlich wenig, außer die auch noch heute sehr liebevolle Erinnerung und das Bild, das ich von dir habe. Kurz darauf machtest du Schluss: Du wüsstest nicht wieso, mit mir sei immer alles perfekt gewesen, trotzdem seien deine Gefühle für mich von einem Tag auf den anderen verschwunden. Du wünschtest, dass dies nicht so sei, aber du könntest es nicht ändern. Noch einmal erwähntest du, dass ich mit dir sowieso niemals glücklich geworden wäre und bestimmt jemand besseren finden würde, dass du glaubst, dass ich das alles irgendwann verstehen würde und dir dann schlussendlich dankbar wäre. Schweren Herzens packte ich die Sachen, die ich noch bei dir hatte, bei der Verabschiedung brachen wir beide in Tränen aus, ich umarmte dich noch länger und schlussendlich küssten wir uns noch ein letztes Mal, wünschten uns gegenseitig das Beste. Noch heute schießen mir sofort noch die Tränen in die Augen und Trauer überwältigt mich, wenn ich nur an diesen Moment zurückdenke.
Nach dem anfänglichen Schock und einigen Tagen zombiehaften Daseins, geprägt von gewaltiger innerer Leere, folgten Trauerschübe, in einem Ausmaß, wie ich sie noch nicht gekannt hatte. Diese treten auch heute immer noch regelmäßig auf. Der Unterschied ist, dass ich diese nun besser annehmen kann, mir diese Trauer mittlerweile erlaube und verständnissvoller mit mir selber umgehen kann - wieso diese berechtigt ist, weiß ich nun mittlerweile aus meiner Therapie: Meine Kindheitserinnerungen waren immer recht positiv, dachte ich sei ein glückliches Kind gewesen. Alles genau zu beschreiben würde den Rahmen dieses Briefes sprengen, schlussendlich erleuchtete die Therapie, dass ich meine gesamte Kindheit und Jugend schwer, vorallem emotional, vernachlässigt wurde und ich niemals einen Platz hatte, indem ich mich angenommen, komplett akzeptiert so wie ich bin und für das was ich bin geliebt fühlte. Was daraus resultierte war, dass ich mich an diesen Zustand gewöhnte und mir dabei nichts mehr dachte. Laut meines Therapeuten, sei es genau das Talent eines Menschen mit Borderline, jemand anderem genau dieses Gefühl vermitteln zu können: Du bist für mich perfekt so wie du bist. Mit dir liebe I., erlebte ich zum ersten Mal in meinem Leben mich bedingungslos akzeptiert und geliebt zu fühlen, einen Zustand absoluter Geborgenheit und Nähe, der mir mein ganzes Leben abging. Ich bin dir heute noch sehr dankbar dafür, dass ich mit dir diese Erfahrungen machen durfte. Du hast mir ein bisher unbewusstes Loch gefüllt, allerdings ist es so, dass dieses nun wieder offen ist, seit du dich von mir getrennt hast. Der Unterschied ist, dass ich es nun kenne und der Umgang damit ist sehr schwierig. Es gibt mir allerdings die Möglichkeit, es selber füllen zu lernen, mir selber die nötige Zuwendung und Liebe zu schenken und schlussendlich dadurch die Möglichkeit große Entwicklungsschritte zu machen und meine Persönlichkeit weiter zu festigen.
Ich liebe dich immer noch. Ich weiß, dass ich langsam loslassen sollte, allerdings scheine ich dich momentan noch zu brauchen. Vielleicht um das besagte Loch noch mit den Erinnerungen an dich füllen zu können und mich an einen Zustand erinnern zu können, wie es ist wenn es gefüllt ist. Es ist mir wichtig, dass du weißt, wie dankbar ich dir bin, für die Zeit die ich mit dir verbringen konnte. Ebenso dafür, dass du mir aufgezeigt hast, was mir in meinem Leben immer gefehlt hat und mir dadurch nun die Möglichkeit gegeben hast, daran zu arbeiten. Ich hoffe dir geht es gut und dass du nun wieder glücklich bist.
In Liebe
B.
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Danke an diejenigen die diesen Brief durchgelesen haben. Irgendwie ist in mir noch das Bedürfniss, dieser Frau noch mitzuteilen, was sie für mich für eine Bedeutung hat/hatte und ihr persönlich noch dafür zu danken. Wie ist eure Meinung diesbezüglich, ist das Blödsinn?
18.05.2018 21:38 •
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