Und was die Affäre langfristig bringen?
Angenommen, Ihr führt die Affäre so weiter. Alle drei Wochen, wenn alles klappt, ein Treffen, dazwischen nur virtuelle Kontakte. Aber auch auf diese verkürzten Kontakte bist Du mittlerweile scharf und süchtig. Bleiben sie aus, kommt es zur Enttäuschung, kommen sie, verfällst Du wahrscheinlich umgehend wieder in Euphorie. Gott sei Dank, da ist sie wieder. Denn diese Frau ist mein Dealer. Sie bestimmt, ob ich den Stoff bekomme (Zuwendung, trostvolle Worte, Geborgenheit, Interesse, Anteilnahme) und wieviel davon.
Mittlerweile kannst und willst Du ohne den Stoff gar nicht mehr leben. Aber Du spürst und ahnst, dass etwas Unheilvolles mit Dir passiert ist und Du Dich jetzt im Hamsterrad der emotionalen Abhängigkeit befindest. Die Affäre beschert Dir neben kurzen Kicks mittlerweile mehr Frust und Traurigsein.
Somit hast Du die Traurigkeit über den Verlust gelieber Menschen nun gegen eine neue Traurigkeit eingetauscht.
Und unterm Strich überwiegt die Traurigkeit inzwischen bei weitem. Stelle mal die momentanen Kicks Deinen depressiven Phasen gegenüber. Die Bilanz dürfte auf der Gewinnerseite niederschmetternd aussehen.
Und troztdem: diese Affäre zu beenden erscheint Dir schlimmer als Deine momentane Lage. Denn da ist ja immer wieder die Hoffnung auf den nächsten Kick!
Dass Du mit dieser Frau über das Trauerforum zusammen gekommen bist, erschleißt sich mir durchaus. Ihr habt beide Verluste erfahren und gemeinsame Erfahrungen verbinden Menschen ungemein. Da steht der Ehepartner oft etwas hilflos daneben oder er sagt so mitfühlende Sätze wie: Jetzt reiss Dich mal am Riemen. Es ist schlimm für Dich, verstehe ich, aber andererseits geht das Leben weiter. Dies und jenes steht an, muss geregelt werden. Und es ist ja jetzt schon einige Monate her, also komm mal allmählich wieder in die Puschen.
Du fühlst Dich dann überfordert und unverstanden und nicht akzeptiert. Es ist leider tatsächlich so, dass sich nicht trauernde Menschen unheimlich schlecht in Trauernde hinein versetzten können, ebenso wenig wie Gesunde in Kranke.
Den Gesunden nervt die schlechte Verfassung des Partners, die als Bedrohung und Unvermögen eingeordnet ist. Ob Trauernder oder Kranker - beide können nicht wie gewohnt funktionieren. Kommen dann die Ansprüche des Partners doch, was ja normal ist, dann folgt oft der innerliche Rückzug. Man wird ja eh nicht akzeptiert, man wird ja nicht verstanden, es gibt zu wenig Fürsorge und Trauerbegleiitung.
Es entsteht in einer Beziehung ein massives Ungleichgewicht, was die Lebenstüchtigkeit anbelangt. Der Gesunde fühlt sich oft überfordert, hat Angst um den Partner und kann die Situation oft kaum mehr aushalten und hat das Gefühl, jetzt alles allein regeln zu müssen. Denn auf einmal hat er einen Partner an der Seite, der nicht mehr wie gewohnt funktioniert.
Trauerphasen können selst für langjährige und scheinbar stabile Beziehungen eine ernste Belastungsprobe sein und selbst wenn beide Elternteile z.B. um ein Kind trauern, dann entfernen sie sich nicth selten durch die immense Trauer voneinander anstatt sich gegenseitig stützen und beistehen zu können.
Nun hast Du also in der Affäre zunächst genau das gefunde, was Dir fehlt. Diese Frau versteht Dich, teilt Deine Probleme und Du verspürst wieder Trost. Alles verständlich, ich kann das sogar gut nachvollziehen.
Aber Du lebst für den Moment und Du siehst keinerlei Konsequenzen. Wie lange soll denn diese Affäre bestehen? Über Jahre? Führ sei weiter und Du wirst merken, dass sich auch die Affäre verändert. Sie hat sich ja schon verändert. Denn Du hast jetzt das Problem, dass die Hochphasen das emotionale Niederigwasser nicht mehr ausgleichen können. Im Gegenteil, die Ebbe ist viel lang andauernder als die Flut.
Beide steckt Ihr in Ehen, habt Verpflichtungen, Verantwrtlichkeiten, die Ihr erst Mal beiseite wischt. Zu schön ist es zusammen und zu schön ist es, wenn wieder eine Nachricht von ihr eintrifft! Du kannst es nicht erwarten, sie anschauen zu können. Verziehst Dich aufs Clo oder in den Keller, um ja gleich antworten zu können.
Eine langfristige Lösung ist nicht in Sicht, es läuft plan- und ziellos dahin. Ihr könntet Euch beide trennen und dann schauen, ob eine Beziehung funktionieren könnte. Aber das ist nicht sehr wahrscheinlich, denn Ihr habt nur ein Standbein: Eure Illusion vom Verstandensein und Angekommensein, die im Alltag keinen Bestand haben würde.
Dann kommen mit Sicherheit Eigenarten des neuen Partners zutage, die verwundern, stören und verstören. Ach so, so kannte ich sie ja gar nicht! Ihr hattet ja niemals einen Alltag und konntet die Alltagsfähigkeit nicht prüfen. Dann folgt oft die Enttäuschung, denn das was Euch verbindet, konntet Ihr in einen Alltag nicht hinüber retten.
Dann kommt womöglich das schlechte Gewissen. Ich habe meine langjährige Partnerin verlassen, ich hab es mir sehr einfach gemacht und ich habe nicht abgesehen, welche Probleme das aufwerfen wird.
Noch wahrscheinlicher ist das Szenario, dass sich vielleicht einer von Euch trennt während der Andere zaudert, aber auch in die Situation einer Bringschuld gedrängt wird. Wenn sie sich getrennt hat mir zuliebe, dann muss ich ja auch ... Eigentlich, aber etwas sperrt sich in mir dagegen. Denn auf einmal übt einer ungewollt Druck aus und der andere muss damit umgehen, dass er Druck spürt, den er kaum abbauen kann.
Beide Szenarien können sehr unbefriedigend sein. Alternative: Ihr fahrt weiterhin beide zweigleisist und benützt die Affäre als emotionale Erholungsphasen. Ja, schön gedacht, aber wie das jetzt zumindest bei Dir aussieht, weißt Du ja. Denn etwas in Dir hat sich verändert. Unbeabsichtigt wurdest zu einem J., der an der Nadel hängt.
Ich fasse mal zusammen: Ihr beide benützt die Affäre, um Euch das zu verschaffen, was Ihr in der Ehe vermisst. Ihr lauft einer Illusion des Glücks hinterher, aber Glück hält nicht ewig und Illusionen zweimal nicht. Langfristige Aussichten sind wohl kaum gegeben, denn Ihr steckt beide fest. Oder aber Deiner Affärenfrau geht es damit besser als Dir, denn sie ist ja der Dealer und hat damit die Position des Autarken und des Mächtigen, während Du in der Looserrolle bist.
Du hast dieser Affäre und dieser Frau zu viel Raum eingeräumt, sie dominiert Dein Leben, aber satt wirst Du doch nicht.
Du möchtest jetzt diese emotionale Abhängigkeit so umgestalten, dass sie für Dich erträglich wird. Dass die Leichtigkeit der Anfangszeit wieder kommt, wo doch alles so schön war und als Du die Kicks in Deine Alltagswelt rüber retten konntest.
Ich kenne ehrlich gesagt keine Möglichkeit, keinen Trick, der Dein Los erleichtert und Dein Leben wieder runder macht. Es gibt diese Möglichkeit nämllich nicht. Du kannst Dir einreden, dass Du noch von der Affäre profitierst, Du kannst gut gemeinte Ratschläge in den Wind schießen, denn sie gefallen Dir nicht. Du kannst die negativen Begleiterscheinungen zeitweise ausblden, z.B. durch Arbeit oder Kontakte mit anderen, aber Du wirst immer wieder an den Punkt zurück kommen, dass Du im Loch festsitzt.
Gegen emotionale Abhängigkeit gibt es ein Mittel. Die Rosskur nämlich. Abbruch der Beziehung, Abbruch des Online-Kontaktes.
Ich wette, bei dem Vorschlag fängt Dein Herz heftig zu klopfen an, Du fängst womöglich leicht zu schwitzen an, Aufregung strömt durch Deinen Körper und etwas in Dir scheit laut und vernehmlich: Nein, alles, nur das nicht!
Ich kenne das allzu gut. Ich war auch so, dass ich mir sagte: Ich erdulde lieber das alles, dieses krasse Ungleichgewicht, die Ängste vor dem Verlassenwerden als in den Entzug zu gehen.
Mach Dir keine Sorgen, das ist nicht nötig! Denn früher oder später regelt das Leben das von selbst, denn diese Zwischenzustände, dieses Sitzen zwischen Stühlen ist auf Dauer nicht erträglich. Einer wird die Reissleine ziehen, wieder klarer zu denken anfangen und wird dann den Anderen in die Eiswüste schicken (müssen). Denn irgendwann muss eine Klärung wer, es ist so, weil der Mensch so etwas auf lange Sicht nicht aushält. Irgendwann muss eine Lösung her, weil die immer noch besser ist als diese ewigen Gefühlsschwankungen, denen Du ausgesetzt bist. Entweder Du trennst Dich oder sie. Vermutlich eher sie, denn ich vermute, dass Du die Position des passsiven Leidenden übernommen hast. Es kann sogar sein, dass der Kick der Affäre ihre Ehe wieder belebt.
Wenn Du eine Lösung für Dein Problem siehst, wenn Du weißt, wo Du langfristig gesehen hin willst, dann schreibe das gerne. Aber ich persönlich sehe nur schwarz und keine langfristige Perspektive.
Affären haben immer ein Ablaufdatum. Denn früher oder später hält sie einer nicht mehr aus oder zieht nicht mehr die gewohnte Befriedigung daraus oder sie läuft sich tot, weil sie ihren Zweck erfüllt hat. Trauernden Momente des Verständnisses und des Trostes zu schenken.
Löse Dich von dem, was Dir schon länger nicht mehr gut tut. Ich konnte es nicht, aber es regelte sich, weil er die Affäre beendete. Der Druck meinerseits war zu groß und er als der überlegene Part entschied dann über die Trennung. Danach war ich gezwungen, mich irgendwann auch zu lösen. Es dauerte sehr lange, aber es wurde schrittweise besser. Es ist möglich, eine emotionale Distanz zu einem Dealer herzustellen. Entweder aus freier und selbstständiger Entscheidung heraus oder weil über einen entschieden wird.
Frag Dich mal, wo Du gerne in einem oder in zwei Jahren stehen möchtest? Ich wette, Dir fällt nichts ein.
Tut mir leid, aber ich habe keine guten Tipps für Dich außer dem, das mal langfristig zu betrachten, falls Du das kannst.
Wer sich nicht entscheidet, über den wird entschieden. Ich habe es erlebt und überlebt und heute sage ich, es war das Beste, was er für mich tun konnte, indem er entschied.
27.04.2021 13:24 •
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