Liebe Gemeinde,
wir (sie 32, ich 43) lernten uns im Dezember über ein Online-Portal kennen. Da wir 150 KM voneinander entfernt wohnen, kam es erst Anfang Februar zu einem Treffen.
Wir waren gleich Feuer und Flamme. Es fühlte sich alles so leicht an und irgendwie vertraut. Wir sahen uns dann 2 Wochen später wieder, gingen in eine Ausstellung, spazieren und zum Abendessen. Wir hatten uns viel zu erzählen, alles war gut.
Bereits eine Woche später waren wir ein Paar, nachdem wir ein Wochenende in einem schönen Setting (Schlosshotel) verbracht hatten. Es fühlte sich gut an!
Wir sahen uns dann wegen der Entfernung überwiegend am Wochenende. Wir sind beide in zeitlich anspruchsvollen Berufsfeldern tätig und schafften es trotzdem, eine gewisse Beständigkeit, einen gesunden Rhythmus zu etablieren.
Alle Inkompatibilitäten schlug ich gedanklich in den Wind. Bei einem allerersten Treffen bei mir zuhause störte sie sich an einem Bild (unter sehr vielen kleinen gerahmten Photos, die bei mir aufgestellt sind!) von einer langen vergangenen Ex-Beziehung. Ich entfernte des lieben Friedens willens das Photo.
Die erste Unwucht kam wegen ihres Misstrauens gegenüber einem gleichgeschlechtlich Freund von mir, mit dem ich hin und wieder koche. Ihr fiel tatsächlich die Vorstellung schwer, dass ich einen Mann mit Handtasche zu einem meiner engen Freunde zählte Daran entzündete sich dann der erste (gemäßigte) Streit.
Ansonsten hatten wir eine schöne, verliebte Zeit, wir waren im ständigen Kontakt, lachten viel, hatten großartigen, gleichgerichteten S., alles fühlte sich gut an.
Bis auf den Tag, an dem ich ihr meine engsten Freunde vorstellen wollte. Ich merkte schon bei der Planung des Abends, dass sie von der ganzen Vorstellung irgendwie nicht begeistert war. Als ich dann erwähnte, dass auch mein besagter gleichgeschlechtlich Freund kommen würde, kippte die Stimmung endgültig. So weit, dass ich zwischendurch den Abend ausfallen lassen wollte.
Der Grillabend bei mir fand dann doch statt, wenn auch zu bereits negativen Vorzeichen. Eine sehr gute und langjährige Freundin von mir, in ihrem Alter, äußerlich ähnlicher Typ, ladete ich im vorauseilendem Gehorsam gar nicht erst ein, was diese sehr enttäuschte.
Der Abend verlief recht harmonisch, wenn auch, für unsere Verhältnisse im Freundeskreis, mit angezogener Handbremse. Die Katastrophe trat ein, nachdem eine der Anwesenden Frauen, Typ alternder Hippie, Mutter zweier Kinder, die mit ihrem Mann da war, mir im Überschwang 2x ein Küsschen gab- auf den Mund. Sie macht das halt so, nicht nur bei mir, ich habe mir nichts dabei gedacht.
Für meine Freundin war es eine Demütigung, ein Verrat, ein Bruch ihres Vertrauens. Sie warf mir vor, sie zu vernachlässigen, um jemanden anderen zu gefallen. So weit, so klar, so klärungsfähig.
Leider entspann sich entlang dieser Gegebenheit ein Streit, den wir bis morgens um 4 führten und noch am nächsten Tag nicht klären konnten. Wir drehten uns immer wieder im Kreis. Trotz meiner Entschuldigung und dem Versprechen, dass dies nicht wieder vorkommen würde. Der Streit entlarvte sie einen Dünkel angesichts ihrer höheren beruflichen / gesellschaftlichen Stellung als die Schuldige Freundin von mir, die mich frösteln ließ.
Auch am darauf folgenden Abend am Telefon konnte sie das Thema nicht aussparen. Es war der Moment, in dem ich erstmals echte Zweifel an der Beziehung hatte, an unserer Kompatibilität, daran, wie es später mal aussehen würde, wenn wir JETZT SCHON so streiten würden. Wenn auch nicht laut, das sei an dieser Stelle betont.
Das Tragische an unserer Beziehung ist, dass zwischen Zeugung und Entdeckung der Schwangerschaft genau dieser Streit fiel. Sie wartete mit dem Schwangerschaftstest bis ich bei ihr war und wir entdeckten gemeinsam das positive Ergebnis.
Meine Reaktion war angesichts des Wunders dieser Schwangerschaft (sie nimmt seit Jahren die Pille) beinahe euphorisch, selten zuvor, wenn überhaupt je, fühlte ich mich jemanden so nahe. Unser Motto wurde schnell wir schaffen das!, irgendwie.
Natürlich schlichen sich schnell Zweifel und Ängste ein, die wohl jeden überkommen, der in einer solchen Situation steckt, aber vor allem bei ihr. Rasch machte sie mir klar, dass sie sich nicht vorstellen könne, das Kind alleine groß zu ziehen. Ergo würde sie aufgrund meiner deutlich besseren Wohnsituation und ihrer größeren örtlichen Flexibilität bei mir einziehen (müssen). Ich versuchte mich mit dem Gedanken anzufreunden und dachte daran, dass besondere Zeiten besondere Handlungen erforderlich machen.
Was wir nie schafften war eine gewisse Euphorie, ein so machen wir es, weil wir es WOLLEN- Stimmung einzustellen. Der Zweifel nagte und nur selten stellte sich ein Hoch-Gefühl ein.
In diese etwas depressive Stimmung hinein erklärte sie plötzlich unvermittelt, dass für sie in dieser Konstellation zwingend eine Ehe gehören würde. Wenn sie schon so ungeplant und überraschend in diese Situation hinein gekommen wäre, dann würde sie so viel klassische Familie wie möglich herstellen wollen. Im Übrigen wolle sie Sicherheit haben, dass ich mich nicht bloß des Kindes auf diese Situation einstellen würde sondern auch, weil ich mich für sie als Frau entscheiden würde. Für sie ist das Eingehen einer Ehe keine große Sache, wenn man sich ohnehin auf ein Zusammenleben miteinander einlässt.
Leider bin ich da etwas anders gepolt bzw. persönlich negativ betroffen (meine Eltern ließen sich früh scheiden mit ziemlich drastischen Konsequenzen für mich). Ich fühlte mich irrsinnig unter Druck gesetzt, um nicht zu sagen erpresst. Ich konnte nicht glauben, dass sie ihre Bedürfnisse absolut setzte und meine überhaupt keine Berücksichtigung finden sollten. Als sie meine Nachfrage, ob sie eine Ehe zur Bedingung machen würde, wiederholt mit ja beantwortete (99 % der Frauen würden in dieser Situation genau so reagieren), war für mich der Augenblick der Rückzugs gekommen.
Unser Kontakt wurde sehr dürftig in den nächsten 48 Stunden und ich schlug vor, uns am nächsten Tag zu sehen. Ich fuhr dann zu ihr hin und werde nie den Augenblick vergessen, wie sie mich mit großen, erwartungsvollen Augen anblickte, wie ein Angeklagter, der auf sein Urteil wartete. Ich redete nicht lange drum herum und erklärte ihr, dass ich- auch angesichts der vergangenen Wochenendes, an dem wir zu keiner Lösung gekommen waren, an dem es in einem Moment sogar einmal aus ihr herausplatzte, dass wir uns wohl nur gegenseitig im Weg stehen würden, mittlerweile überzeugt wäre, dass wir gemeinsam nicht glücklich werden könnten. Ein Wort gab daraufhin das andere, ich versuchte so viel wie möglich zu erklären, warum ich das meinte, nannte ihr Beispiele aus unserer gemeinsamen Zeit, einfach um ihr zu vermitteln, dass ich mich nicht vor der Verantwortung eines gemeinsames Kindes drücken würde oder, wie sie vermutet, ich ein solchen Egoist sei, der sein Leben nicht verändern möchte.
Im Nachhinein hätte ich ihr gerne noch so viel mehr erklärt, vor allem aber fühle ich mich miserabel, schuldig, ohne schuldig zu sein. Ich habe- aus guten Gründen- unsere Beziehung beendet; Gründe, die ich zuvor verdrängt hatte, die mir jetzt, angesichts der Frage, ob wir wohl ein gemeinsames Leben mit Kind hinbekommen würden, immer drängender in den Vordergrund rückten.
Ich habe keinen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung und fühle mich dennoch erbärmlich angesichts der Situation, in der sie sich befindet. Ich habe mich von einer schwangeren Frau getrennt. Grausam. Sie möchte das Kind übrigens definitiv behalten und ich kann nur hoffen, dass wir einen Modus finden werden, in dem das Kind so viel gesunde Mutter-Vater-Beziehung aufbauen kann wie es nur geht.
Natürlich kann ich hier nur einige wesentlich Facetten unserer Beziehung streifen, ich hoffe ihr bekommt trotzdem ein Bild.
War jemand schon mal in einer ähnlichen Situation? Wie würdet ihr euch fühlen? Wie groß wären eure Schuldgefühle?
Mein einziger Trost besteht darin, dass ich ihr keine Versprechungen gemacht haben, das Kind nicht gewollt war und ich die Alternative, nämlich das Zusammenleben mit Kind (wir haben beide noch nie eine Wohnung mit jemanden geteilt), zumindest potentiell als angekündigte Katastrophe betrachte. Der Kater angesichts einer anderen Entscheidung wäre womöglich noch größer als die gegenwärtige Situation.
Danke für eure Hilfe vorab.
28.05.2017 12:24 •
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