Hallöchen allerseits,
ich schreibe, weil ich in letzter Zeit eine Art Unwohlsein, einen Knoten in der Magengegend verspüre, wenn ich an meine Beziehung denke und nach neuen Betrachtungsweisen darauf suche - ganz anonym und von Menschen, die mir frei ins Gesicht sagen (bzw. schreiben), was sie denken, damit ich vielleicht einen Schritt weiter komme oder eine neue Perspektive auf die Sache entdecke.
Wir sind seit 8 Jahren zusammen, heute ich bin 24 Jahre alt, er ist 31.
Vor rund vier Jahren haben wir geheiratet (er ist kein Deutscher). Wir beide studieren und haben bald unseren Abschluss.
Als ich ihm mit 19 das Ja-Wort gab, war ich tatsächlich überzeugt, mit ihm mein Leben verbringen zu wollen. Ich habe ihn einfach über alles geliebt und hielt ihn für einen soliden, zuverlässigen Partner und einen netten, bereichernden Menschen. Vor etwa 2 Jahren habe ich angefangen, an unserer Zukunft zu zweifeln. Damals dachte ich, ok, wenn es wirklich nicht mehr funktioniert, kann man sich auch scheiden lassen; heute weiß ich, dass das nicht so einfach ist. Ich hatte und habe bei dem Gedanken an eine gemeinsame Zukunft einfach kein gutes Gefühl mehr, zumindest meistens nicht. Da spielten wahrscheinlich viele Faktoren rein.
Wir haben uns beide verändert, vor allem bin ich erwachsen geworden. Es ist mir aufgefallen, dass unsere Werte in gewissen Situationen stark auseinander gehen. Er ist sehr konservativ, ich bin eher liberal eingestellt. Leider hat sich das nun auch auf unsere Beziehung ausgewirkt; er hat Probleme damit, wenn ich mit männlichen Freunden alleine einen Kaffee trinken gehe, steht jedem auffälligen Verhalten sehr kritisch gegenüber (ich war mal auf einer Kostümparty eingeladen und bin verkleidet Bus gefahren, ganz schlimm für ihn), ist s.uell nicht aufgeschlossen etc. Für mich ist das schon schwer genug, und in Sachen Kindererziehung wäre es wirklich kritisch. Außerdem gibt es viele Hobbies und Neigungen, die wir nicht teilen können; ich bin ein reiselustiger und belesener Nerd , er ist eine Couchpotatoe mit Fußballfieber und Kartenspieltalenten. Er hat keine Ahnung, was RPGs sind und wer George Orwell oder Ray Bradbury sind, ich kann absolut nicht nachvollziehen, was er an alten Western-Filmen findet. Er hört Plastik-Pop und Balladen, ich höre Rock und Indie. Manchmal sehne ich mich nach einem Partner, der mich besser versteht, und das geht ihm bestimmt ähnlich.
Zum anderen hat sich eine Art Parallel-Leben entwickelt. Ich habe den Drang, möglichst viel zu erleben, zu organisieren und zu arbeiten; er ist ein eher bodenständiger und passiver Typ. Früher war das eine ausgleichende Kombination, doch das scheint immer schlechter zu funktionieren. Er kümmert sich nicht um Unternehmungen mit seinen Freunden oder mir, verpasst viele Vorlesungen, hält sich im Haushalt zurück, bleibt wenn möglich bis morgens um 7 auf und schläft bis 16 Uhr, ist oft alleine unterwegs, möchte aber gleichzeitig nicht mehr mitkommen, wenn ich ihn einlade mit meinen Freunden etwas zumachen, ergreift auch s.uell kaum die Intitiative und verbringt den ganzen Tag am liebsten mit seinem Handy auf dem Sofa. Insgesamt ist er durch und durch passiv, und das hat angefangen, mich zu stören, weil er mich aktiv damit belastet. Ich sorge für unsere gemeinsame Freizeit, den S., die Wohnung, das Essen, sein (!) Studium und unsere finanziellen Perspektiven. Und er erwartet auch von mir, dass ich dies organisiere. Klar ist es nicht einfach für ihn, aber versucht gar nichts erst, seine Hausarbeiten selbst zu schreiben, sondern wartet bis einen Tag vor Abgabetermin und bettelt dann,damit ich es für ihn mache. Im ersten Semester war es noch ok, er hatte schließlich noch Sprachprobleme, und ja, er macht zumindest seine Referate selbst, aber langsam fühle ich mich ausgenutzt. Wegen der mangelnden Studienleistungen ist auch sein Studienkredit gestrichen worden, sodass ich einen extra-Kredit genommen habe und mehr arbeiten gehe (studienbegleitende Nebenjobs).
Außerdem stehe ich in letzter Zeit wirklich unter Druck. Viele Leute um mich herum beginnen, zu heiraten und Kinder zu planen, und ich bin mir nicht sicher, ob ich ihn heute nochmal heiraten würde. Ich will uns beiden gegenüber fair sein, ich will mir sicher sein, vor allem um seiner selbst Willen, denn er meint es ernst. Er ist wirklich ein guter Mensch, hat echte Familienwerte, ist mitfühlend und geduldig. Er hat eine gute Frau verdient, und allein die Tatsache, dass ich ein schlechtes Bauchgefühl habe, allein die Tatsache, dass ich in dieses Forum schreibe, ist ihm gegenüber ungerecht; ich will ihn voll und ganz , ohne jeden zweifel lieben und ihn respektieren, aber irgendwie kann ich das glaube ich gerade nicht, und das macht mir Angst. Zudem, und ich schäme mich dafür, mir das einzugestehen, frage ich mich manchmal schon, wie es mit einem anderen Mann wäre; ich habe keinerlei Erfahrungen vor ihm gemacht und frage mich, ob ich die ganze Zeit im Dunkeln tappe.
Das sind vermutlich einige der Gründe für mein schlechtes Bauchgefühl.
Manchmal haben wir jedoch diese schönen Momente zusammen, und wenn ich in seinen Armen liege und wir über irgendeine Serie lachen, oder er mir morgens im Schlaf ein ich liebe dich entgegenmurmelt, ist die Welt für mich in Ordnung. Wenn wir etwas gemeinsam unternehmen, ist es meistens gut, und er hat in den letzten Tagen versucht, sich zu ändern, da kam fast wieder das alte Prickeln zurück. Wir genießen ein gemeinsames Picknick, die Natur, Theaterstücke (insofern sie nicht zu abstrakt sind) und historische Gebäude. Ich bin mir sicher, dass ich ihn liebe, weiß aber nicht, ob ich ihn als einen Freund und Menschen oder als meinen Partner liebe.Vor einem Jahr hatten wir schon mal eine große Krise wegen all dieser Dinge, wir wollten uns ändern, er wollte mehr Interesse und ich mehr Verständnis zeigen. Dennoch fühle ich mich heute wieder schlecht. Er gibt sein Bestes und hat es verdient, dafür Dank und aufrichtige Liebe zu ernten, aber ich weiß nicht, ob ich das dauerhaft kann.
Nebenbei, im Falle einer Trennung und Scheidung könnte er dennoch hier bleiben. Es wäre nicht einfach, aber für ihn ist gesorgt.
Rede ich mir da nur etwas ein oder sollte ich das Bauchgefühl ernst nehmen?
03.04.2012 23:53 •
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