Ihr Lieben,
meine Frau hat mir einen Brief geschrieben. Ich gebe hin Euch zu lesen, damit ihr beide Seiten kennt. Ich denke nicht, dass es indiskret ist. Eure Meinung, auch wenn sie hart für mich ist, würde mich sehr freuen.
Lieber K.,
ich habe lange über der Kiste mit den Bildern gesessen gestern Abend. Und dabei eine halbe Flasche Wein ausgetrunken.
Südfrankreich, Griechenland, die verwackelten Fotos von M.s Geburtstag, die die Kinder selber gemacht haben. Ich habe viel gelacht und viel geweint. Und ich habe in mich hinein gehört.
Die Fotos aus Südfrankreich mit E. und R. hatte ich besonders lange in der Hand. Von mir gibt es nicht viele, von Dir schon. Tolle Bilder. Und ich wusste auch, warum ich mich in Dich verliebt habe. Von diesen Bildern strahlt so viel Selbstbewusstsein und Klarheit. Dann die Fotos, die ich vor Thommys Laden geschossen habe. Vor Deinem Konzert. So schön.
Und wenn ich Dich jetzt sehe, bin ich traurig, weil ich das Gefühl habe, ich bin verantwortlich dafür, dass von Dir nichts mehr übrig ist. Aber das ist nur die halbe Wahrheit.
Von mir ist auch nichts mehr übrig. Nur noch die Hülle, die ich neu ausstatten will - nein muss. Ohne das Muster, dass ich seit Jahrzehnten mit mir herumtrage.
Und ich war traurig, weil ich mich gefragt habe, wie wir das verlieren konnten, was da zu sehen war. Aber wenn ich ganz genau hinschaue, weiß ich auch, dass es viele Dinge gibt, die dazu geführt haben, dass es jetzt ist, wie es ist.
Ich will mich nicht rechtfertigen. Glaub mir. Nichts liegt mir ferner. Ich versuche zu analysieren. Ich bin darin lange nicht so gut wie Du und ich komme nur sehr langsam voran.
Anders als Du denkst, betrachte ich die Dinge nicht nur schwarz/weiß. Es gibt Bereiche in meinem Leben, da tue ich das tatsächlich. Ich bin Perfektionist. Aber nicht in Beziehungsfragen. Ich lasse die Menschen um mich herum, wie sie sind. Ich bastle nicht an ihnen herum. Du durftest immer sein, wie Du willst. Dafür habe ich mich in mein Schneckenhaus zurück gezogen.
Frau Z. hat mich gefragt, wieso ich glaube, dass ich nicht mit Dir gesprochen hätte. Da habe ich gesagt, weil Du es so empfindest und ich Dir glaube. Dann hat sie mich gefragt, ob ich es versucht hätte. Ich habe gesagt: ja, immer wieder. Und was dann passiert sei? Dann hättest Du mir erklärt, wie die Dinge richtig sind und zu sein haben, wenn ich sie besser verstehen will und zufriedener sein möchte.
Ich habe zu Dir aufgeschaut. Es gab keine Ebene auf Augenhöhe. Die konnte es auch nicht geben, weil ich die Erfahrung nicht hatte. Es war in Ordnung so. Mit jedem Jahr, das verging, bin ich erwachsener geworden. Habe ich mich weiter entwickelt.
Mit der Geburt von M. hat sich für mich so vieles verändert. Es war erwachsen-werden im Schnelldurchlauf. Weil Du nicht so an meiner Seite sein konntest, wie ich es mir vielleicht gewünscht hätte, wenn ich es hätte wahrnehmen können. Aber ich habe unser Modell für normal gehalten. Ich habe nicht hinterfragt. Das ist eines meiner großen Defizite. Das weiß ich auch. Und so blieben die Strukturen zwischen uns dieselben. Ich habe weiter zu Dir aufgeschaut.
Was uns wohl am meisten entfremdet hat, ist genau dieser Umgang miteinander. Ich habe mich ungefragt auf Dich verlassen. In allen Bereichen. Ich habe meine Verantwortung aufgegeben, weil Du mir immer wieder erklärt hast, wie mein Leben richtig laufen könnte, wenn ich so und so handle. Das hast Du auch ungefragt getan. Und ich weiß auch warum: aus Liebe. Und ich wiederum habe gedacht, Liebe ist, wenn ich das mache, was Du für richtig hältst. In meinem inneren muss ich da schon gewusst haben, dass das nicht richtig ist. Denn je mehr Zeit wir miteinander verbracht haben, umso zerrissener wurde ich.
Wir kennen unsere Fehler jetzt, beide. Und trotzdem hängen wir selbst in der Trennung in unserem Muster fest. Du sagst mir, was ich machen soll, damit Du und ich und M. doch noch glücklich werden und ich ... ich verweigere mich dem. Ja. Das stimmt. Anders als in all den Jahren zuvor.
Weil ich das Gefühl habe, es ist die einzige Chance, mich aus diesem Muster zu schälen. Es ist erst der Anfang. Es ist ein langer Weg vor dem ich stehe. Genauso wie Du. Deiner ist noch weitaus schwerer als meiner. Die Verletzungen, die Dir in Deiner Kindheit zugefügt wurden, sind nicht weniger schmerzhaft. Und ich werde die Verantwortung für alles tragen müssen, was passiert. Da hast Du völlig Recht. Anders als Du glaube ich nicht unbedingt, dass es in einer Katastrophe enden muss.
Die Verantwortung für das, was in den letzten 14 Jahren passiert ist, die tragen wir beide.
So lange wir nicht gesund sind, beide nicht - ist es nicht gut, wenn wir zusammen bleiben.
Und noch mal, diese Erkenntnis und der Entschluss der daraus gefolgt ist, habe ich unabhängig von M. W. getroffen. Das mag bei M. F. tatsächlich anders gewesen sein. Auch da hast Du Recht. Vielleicht habe ich da wirklich an einen Retter geglaubt und mich blenden lassen. Der Fall dieses Mal liegt anders.
Ich gehe diesen Weg, weil ich mir sicher bin, dass er gut ist für mich. Ich glaube sogar, dass er gut sein kann für Dich und am Ende auch für M., weil er es künftig mit Eltern zu tun haben wird, die für sich stehen. Die Kraft haben werden und wieder Leben können. Beide für sich, ja. Erst einmal. Die Zeit wird zeigen, was daraus wird. Denn wir beide werden ein Leben lang verbunden sein über unseren wundervollen Sohn. Irgendwie.
Aber ich kann am Ende nur für mich sprechen. Und ich bin kein Therapeut.
M.s Frau hat ihm, ähnlich wie Du mir, mehrfach die Möglichkeit gegeben, umzukehren. Er hat es nicht getan, nicht wegen mir - sagt er zumindest - sondern weil er sich sicher ist, dass es für ihn in diese Beziehung schon seit langem kein zurück mehr gibt.
Jeder von uns trägt die Verantwortung für sein eigenes Leben, jeder muss es unabhängig von anderen für sich leben können.
Du magst glauben, ich sei emotional auf dem Stand einer 13jährigen. Das war ich, weil Du mich nicht aus diesem Zustand entlassen hast. Aus Liebe, um mich zu beschützen. Das hast Du nicht bewusst getan. Das weiß ich. Ich nehme es Dir auch nicht krumm. Wir sind was wir sind. Aber wir können uns verändern. Vielleicht nicht zusammen. Zumindest nicht im Moment. Aber wir können versuchen, das Beste draus zu machen. Ich möchte eigentlich nur gesund werden. Und ja, auch wenn es schmerzhaft ist, ich kann es nur auf diesem Weg.
Liebe ist das Kind der Freiheit - das ist ein altes französisches Sprichwort. Das heißt nicht, dass jeder machen kann, was er will. Sondern das jeder für sich im Kopf und in den Entscheidungen was sein Leben angeht, frei ist. Wir waren beide nicht mehr frei. Schon lange nicht mehr. Und das hat uns und unserer Beziehung das Genick gebrochen.
Ich bin immer für Dich da, wenn Du mich brauchst.
A.
26.08.2012 14:47 •
#27